Bruno, mein alter Freund, flog neulich in die weite Welt hinaus, von Berlin-Schönefeld, das war einst der Hauptstadt-Airport der DDR. Irgendwie, sagt Bruno, sei er das heute noch, viel habe sich nicht geändert, ja, im Grunde sei Schönefeld »eine gelungene Mischung aus der DDR und dem West-Berlin der Achtzigerjahre«. Fluggäste, die in Schönefeld ankämen, lernten, so Bruno, Berlin zunächst in einer Art Heimatmuseum kennen: Es ist, als sei man in einem Zeitsprung in einer Stadt des vergangenen Jahrtausends angekommen.
In diesem Zusammenhang zwei Bemerkungen: Erstens landete Schönefeld kürzlich im Ranking eines Online-Reiseportals, das Kommentare von 65 000 Reisenden ausgewertet hatte, auf dem letzten Platz. Zweitens sieht man von einem dort startenden oder landenden Flugzeug aus eine andere Baulichkeit sehr gut: den Nichtflughafen Berlin Brandenburg BER, der einer ursprünglichen Planung von 1997 zufolge bereits 2007 eröffnet werden sollte. Inzwischen glauben 28 Prozent der Berliner, dass er nie eröffnet werden wird.
Das ist nun wirklich die Frage: Was wird aus dem BER, wenn er never in Betrieb gehen kann: Mal funktionieren die Türen nicht, dann ist die Entrauchungsanlage defekt, dann gehen wieder die Türen nicht, weil man sie, kaum waren sie repariert, bei der Erneuerung der Entrauchungsanlage kaputt gemacht hat. Irgendwann wird festzustellen sein: Der Regierende Bürgermeister Wowereit hat einst persönlich vergessen, den Bau einer Startbahn anzuordnen. (Davon redet jetzt bloß noch keiner, man ist in Berlin immer noch damit beschäftigt, erst mal endlich Wowereit zu vergessen.)
Interessant ist, dass bei der archäologischen Erforschung des Nichtflughafen-Geländes seinerzeit ein Dorf aus dem 13. Jahrhundert zum Vorschein kam, Dypensey hieß es. Ich bin sicher: Unter den Ruinen Dypenseys befinden sich Überreste eines slawischen Flughafens aus dem Jahr 893, der auch nie eröffnet wurde, weil man beim Bau vergessen hatte, dass es noch keine Flugzeuge gab.
Wenn man realistisch ist, geht es so weiter: Immer neue Probleme treten auf, und man wird versuchen, die immer neuen Probleme über die Jahrzehnte und Jahrhunderte immer neu zu lösen. Eines Tages wird jemand fragen: Was tut ihr da und warum? Jemand wird antworten: Wir haben es vergessen. Warum habt ihr es vergessen? Das haben wir auch vergessen. Aber wir müssen es tun, schon unsere Eltern taten es, auch unsere Großeltern und Urgroßeltern, alle haben versucht, DAS GROSSE DINGSDA in Betrieb zu nehmen, die Aufgabe lautet so. Aber wer hat euch die Aufgabe gegeben? Auch dies vergaßen wir.
In Jahrtausenden werden dann Archäologen Berlin ausgraben und sagen: Das hier war das Parlament, und der riesige bebrillte Steinkopf da war das hundert Meter hohe Denkmal des Kandidaten Schulz. Aber da, am Stadtrand, wird ein Praktikant fragen: War das der Flughafen Schönefeld? Unsinn, wird der Chef-Archäologe sagen, so was Schlechtes wäre ungeeignet als Flughafen!
Ich meine das daneben, wird der Praktikant entgegnen.
Das war lange ein großes Rätsel, wird die Antwort des Chef-Archäologen lauten, wie man lange auch nicht ahnte, was der Sinn der Pyramiden oder von Stonehenge war. Wir haben versucht, das Innere mit Robotern zu erforschen, denn Menschen wagen nicht, dorthin vorzudringen, weil wir von Röntgenbildern wissen, dass es innen keine funktionierende Entrauchungsanlage gibt. Aber die Roboter kamen nicht hinein, denn die automatischen Türen gingen nicht auf, selbst mit Gewalt nicht. So glauben wir, dass die Deutschen des dritten und dann auch noch des beginnenden vierten Jahrtausends hier einen seltsam-düsteren Kult feierten, sie wollten wohl tatsächlich etwas Sinnloses errichten. Am Ende war dies eine von Menschen aus aller Welt besuchte Feierstätte der Zweckfreiheit, von überallher kamen Touristen, um sie zu sehen.
Man erkennt das an dem riesigen Flughafen, der in den Jahren 4100 bis 4312 direkt nebenan gebaut wurde.
Illustration: Dirk Schmidt