Die Karawane sieht weiter

In der Wüste Dubais setzt die DSDS-Jury um Dieter Bohlen auf plumpe Orient-Klischees. Und was hat es mit den vollverspiegelten Sonnenbrillen auf sich?

Mittendrin statt nur Dubai: H.P. Baxxter, Schlagerstar Michelle, Youtuberin Shirin David, Dieter Bohlen – die diesjährige Jury von DSDS.

RTL hat seine in die Jahre gekommene Castingshow Deutschland sucht den Superstar (DSDS) in die Wüste geschickt. Leider ist das hier nur wörtlich zu verstehen – tatsächlich verfrachtete das Produktionsteam den »Auslands-Recall« der aktuellen Staffel in die Wüste außerhalb Dubais. Wo sonst könnten technische Infrastruktur sowie Akustik- und Sichtverhältnisse besser sein?

Am vergangenen Samstag war das Wüstenwettsingen dann im Fernsehen zu sehen. Optisch hatte man sich viel Mühe mit der vermeintlich landestypischen Inszenierung gemacht: Das DSDS-Jurypult erstrahlte mit ornamentaler Verzierung, daneben stand eine Wasserpfeife, in jeder Kameraeinstellung ein paar Kamele im Hintergrund. Und auch kleidungstechnisch musste man nach stilistischen Peinlichkeiten nicht lange suchen: Die Kandidaten schienen nicht nur beim Gesang, sondern auch in ihrer Interpretation mutmaßlich »orientalischer Outfits« gegeneinander anzutreten. Nachwuchssängerinnen zappelten im knappen Bauchtanz-Dress herum (ja, auch für Tanzperformances ist so ein Sandboden eher ungünstig), klimpernde Münzketten vor der Stirn und Palästinensertücher auf dem Kopf.

Und die Jury tat es ihnen gleich. Fürs exotische Wüstenshooting schmissen sich Dieter Bohlen und Scooter-Frontmann H.P. Baxxter in bodenlange weiße Gewänder und Turbane, Schlagerstar Michelle wählte eine goldgeschmückte Tunika, Youtuberin Shirin David eine Art schleierhaftes Tüllkleid mit orientalischer Verzierung, dessen durchsichtige Stoffbeschaffenheit in der arabischen Öffentlichkeit wohl eher für einen Eklat sorgen dürfte.

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Zum eigentlichen Vorsingen trugen alle vier dann aber doch wieder ihre gewöhnliche Kluft. Baxxter irgendein schwarzes Bandshirt, Bohlen irgendwas von Camp David, Michelle irgendwas Mädchenhaftes, Gesamtkunstwerk Shirin David weiterhin ihr Feenkleid. Gleichbleibender Beliebtheit erfreut sich dabei nur ein Accessoire: die vollverspiegelte Sonnenbrille.

Ihren Zenith hatten derartig verblendende Brillengläser Anfang der 2000er, als »Cyber« ein Schlagwort und die Sportsonnenbrillen des amerikanischen Herstellers Oakley der letzte Schrei waren. Seitdem wurden ähnliche Modelle fast ausschließlich an Hobby-Snowboardern in Ischgl, oberkörperfreien Inline-Skatern, glatzköpfigen Actionhelden sowie hängengebliebenen Techno-Jüngern gesichtet – bis die vollverspiegelten #reflectiveshades zuletzt von zahlreichen Bloggern und Influencern (siehe David) wiederentdeckt wurden, weil sie sich so nahtlos in den roségoldenen Instagram-Feed einfügen. Was aber lässt Bohlen und Co. zum Spiegelglas greifen?

Möglicherweise ist auch die prollige Brillenwahl ein Versuch ortsgerechter Kleidung – im luxustouristischen Dubai mit seinen künstlichen Inseln und riesigen Wolkenkratzern geht es ja auch sonst eher um Klotzen statt Kleckern. Überdies ist so eine vollverspiegelte, keinen Blickkontakt zulassende Sonnenbrille natürlich das optimale Hilfsmittel für ein ausgefuchstes Pokerface bei der Beurteilung der dargebotenen Gesangsauftritte.

Doch wir vermuten hinter der gemeinschaftlichen Brillenwahl einen anderen Grund: schlichte Eitelkeit. Wer seinem Gegenüber tief in die verspiegelten Augen blickt, kann schließlich ganz unbemerkt prüfen, ob die eigene Maske noch sitzt – bei 40 Grad kein so unwichtiges Argument.

Wird getragen von: Action-Sportlern und -Helden bzw. solchen, die es gern wären, Instagram-Stars wie Kylie Jenner
Wird getragen mit: Schmollmund und vielen Hashtags auf Instagram
Das sagt Michelle: »Dieter, kannst du mich mal angucken? Ich muss nachpudern!«

Foto: RTL / Stefan Gregorowius