Das schmutzige Geschäft mit indischen Kühen

In Indien haben sich schon Tausende Bürgerwehren gebildet, die die heiligen Kühe des Landes vor dem qualvollen Tod im Schlachthof bewahren wollen. Wir waren mit einer Miliz unterwegs.

Anders als in Deutschland stehen die Kühe in Indien nicht im Stall oder auf der Weide, sondern laufen mitten durch die Städte.

In Indien gilt die Kuh als die Göttin aller Götter. »Niemand darf die Kuh stören, belästigen oder ihr ohne Respekt begegnen. Das Töten der Kuh ist die abscheulichste aller irdischen Sünden«, heißt es in den Lehren Gott Krishnas. Sie zu essen ist für die meisten Hindus tabu. Auf Hochzeiten geht der erste Bissen an die Kuh, das Fernsehen überträgt Schönheitswettbewerbe für Kühe, religiöse Führer predigen die Heilkraft von Kuh-Urin. In fast allen indischen Bundesstaaten steht das Schlachten von Hausrindern unter Strafe. Und dennoch ist Indien der weltweit zweitgrößte Lederexporteur: Überall im Land werden Rinder zu Millionen in illegalen Schlachthäusern geschlachtet, in Hinterhöfen und sogar im Wohnzimmer. 2016 exportierte Indien Leder im Wert von sechs Milliarden Euro.

Vieles davon stammt von Kühen, die Schmuggler einfach auf der Straße eingefangen haben. Sie verstecken ihre Ware in Lastwagen, Minibussen und ausgedienten Krankenwagen, sie betäuben sie mit Chloroform oder bringen sie ins Nachbarland Bangladesh. Denn der Bedarf ist enorm, in der Mode ist Leder das Material der Stunde: Ladenketten von H&M bis Zara führen derzeit Lederculottes, Lederblusen, Ledertops, Lederkleider und Ledershorts im Angebot. Auf den Laufstegen von New York bis Mailand war Leder in den vergangenen Saisons so präsent wie zuletzt in den Achtzigerjahren. Luxushandtaschen sind begehrt wie nie. Die Lederjacke, einst ein mühsam erspartes Lieblingsstück fürs Leben, ist heute ein Fast-Fashion-Produkt wie jedes andere: Es gibt sie inzwischen immer günstiger, in immer mehr Farben und Schnitten. Und immer öfter wird sie schnell wieder entsorgt. Zara, Nike, H&M, Deichmann, Salamander, Hugo Boss, Timberland: Es gibt kaum eine bekannte Marke, die nicht in Indien produzieren lässt. An die 90 Prozent des indischen Leders landet in der Europäischen Union, Deutschland ist der zweitwichtigste Absatzmarkt.

In Indien haben gläubige Hindus der Lederindustrie nun den Kampf angesagt. Zum Beispiel Deepak Chouham, ein Familienvater von 31 Jahren. Bei Tag handelt er mit Ziegelsteinen und betreibt einen Süßigkeitenstand. Bei Nacht zieht er durch die Straßen, bewaffnet und mit Gleichgesinnten, um Kühe zu retten. »Gau Raksha Dal« heißen die Bürgerwehrgruppen, die es zu Tausenden in Indien gibt: wörtlich »Kuhrettungsteams«. Haftstrafen und Polizeieinsätze gegen illegale Tierschmuggler seien nicht genug, sagt Chouham. Er findet: »Jeder, der sich an der Kuh versündigt, sollte gehängt werden.«

Meistgelesen diese Woche:

Die SZ-Magazin-Redakteurin Xifan Yang und der Fotograf Robin Hinsch haben Deepak Chouhams Kuhschutzmiliz auf ihren nächtlichen Patrouillen begleitet, sie haben mit Tierschützern gesprochen, einem Leder-Exporteur, einem Fleischhändler. In ihrer Reportage über den Weg der heiligen Kuh aus der indischen Provinz ins deutsche Schuhgeschäft stellen Sie die Frage, ob es noch guten Gewissens möglich ist, Produkte aus indischem Leder zu kaufen.

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Holy Cash Cow

Die Kuh wird in Indien verehrt, und doch exportiert kaum ein Land so viel Rindfleisch und Leder - auch nach Deutschland. Militante Tierschützer haben Schlachtern und Gerbereien vor Ort nun den Kampf angesagt.

Foto: Robin Hinsch