Was haben wir denn hier für feinbeinige Exemplare unter der Lupe? Eine nicht allzu seltene Spezies, wie diese und viele andere Beweisfotos belegen, und noch dazu eine, die zwischen Tokio und Los Angeles auf der ganzen Welt zu Hause zu sein scheint: Es handelt sich um einen Typ mode- und stilbewusster Frauen, die sich häufig mit einem seltsam nach innen eingedrehten Fuß fotografieren lassen.
Man findet diesen Drehfuß auf den roten Teppichen von Filmfestspielen, Modenschauen, Charity-Events genauso wie auf Einkaufsstraßen, vor Coffeeshops oder in Internetblogs. Da wir der Annahme folgen, dass bei diesen Damen im Angesicht einer Kamera nichts zufällig geschieht, lässt sich zweifellos davon ausgehen, dass es sich bei diesem Drehfuß um ein ganz bewusst eingesetztes Stilmittel handelt, dessen Bedeutung es zu entschlüsseln gilt. Nennen wir diesen Drehfuß zum besseren Verständnis: den Fashion-Fuß.
Was will uns dieser seltsam eingedrehte Fashion-Fuß sagen? Und warum taucht die x-beinige Fashionista gerade in letzter Zeit so auffallend häufig auf? Steht dem Fashion-Fuß etwa eine ähnliche Karriere bevor wie einst dem »cheese«, das als automatische Reaktion fast von allein geschah, sobald eine Kamera auf einen Menschen gerichtet wurde, der auf eine bestimmte Art wirken wollte? Früher machte ja fast jeder »cheese«, der in eine Kamera guckte –heute ist das »cheese« allerhöchstens noch bei solchen Menschen zu beobachten, die auch nach der Landung in einem Flugzeug klatschen.
Beim Anblick eines Mädchens mit einem derart eingedrehten Fuß assoziiert jeder Betrachter natürlich als Erstes: wahnsinnig süßes Geschöpf! Ein wenig unsicher vielleicht, irgendwie verletzlich, schüchtern und unschuldig; aber auch rührend verschmitzt, mit einem Hauch verspielter Lolita-Sexiness. Hier scheint es sich um jemanden zu handeln, der noch nicht mit beiden Beinen fest auf der Erde steht, vielleicht auch gar nicht stehen will.
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Hören Sie hier "Artgerechte Haltung", gelesen von Kerstin Greiner.
»Huch, jetzt habt ihr mich aber erwischt!«, scheint die Lollipop-Pose auszudrücken, »dabei hab ich mir heute doch gar nicht so was Tolles angezogen!« Manchmal geht das Füßchen sogar mit hängenden Schultern und einem schief gelegten Köpfchen einher, was das Geschöpf noch putziger erscheinen lässt. Irgendwie muss man die Fashion-Fuß-Mädchen mögen, weil sie Sanftmut und Kindlichkeit ausstrahlen und bescheiden wirken. Allerdings auch ein ganz klein wenig doof.
Da wir aber wissen, dass weder ausgeprägte Bescheidenheit noch Unschuld ins Repertoire der meisten dieser Fashionistas gehören, mag ein zweiter, vertiefender Blick noch weiteren Aufschluss über die Fashion-Fuß-Pose geben und eine zusätzliche, versteckte Botschaft entschlüsseln. Denn der kindlich eingedrehte Fuß ist eine Haltung, die augenscheinlich weder dem sorgsam ausgewählten Outfit noch der Situation gerecht wird, eher im Gegensatz dazu steht. Diese schlaksige, scheinbar zufällig hingerotzte Haltung, dieses fast provozierend dusslige Dagestehe kann auch als eine Form der Rebellion betrachtet werden, als die Antithese zum All-American-Girl- oder Supermodel-Gehabe, zum Küsschen-in-die-Luft-Gewerfe, zur Hollywood-Diva-Gestik. »Was interessieren mich Eleganz, Grazie, Anmut?«, lautet der geheime, versteckte Code hinter der Pose. »Ich habe zwar einen 3000-Dollar-Dress an, stehe aber trotzdem so da, wie es mir passt. Sorry, Leute, aber ich muss meine Klamotten nicht respektvoll tragen!«
In den Vereinigten Staaten werden solche Posen schon als »Don’t care«-Posen oder als »Rich bored«-Look betitelt. Schon suchen Agenten für Werbekampagnen gezielt nach Mädchen, die besonders schön x-beinig, krummrückig, lächerlich schief dastehen können, und kultivieren damit jene »Ich bin so reich, so schön, so gelangweilt, was kommt als Nächstes?«-Einstellung, die in den letzten Jahren besonders von Stars wie Paris Hilton, Lindsay Lohan und anderen verbreitet wurde.
Und so verwundert es kaum, dass der Fashion-Fuß besonders häufig dann zum Einsatz kommt, wenn die Kamera vor jungen Frauen klickt: Wer sonst hat gleichzeitig Spaß am Süßsein wie auch an der Rebellion? Die freche und unorthodoxe Haltung zieht die Blicke auf sich; wer nur schön ist, bleibt unter vielen Schönen
unauffällig. Die Fashion-Fuß-Mädchen wissen, dass im Gedächtnis bleibt, wer aus dem Rahmen fällt, wer vom Gewohnten und Vertrauten abweicht. Auch wenn das bedeutet, ein bisschen dumm dastehen zu müssen.