Wie schön, wenn Wiesn und Wahlkampf zusammenkommen. Da kann der Seehofer Horst publikumswirksam fordern, dass der Begriff Wiesn endlich in den Duden gehöre. Sogleich sekundierte ihm Münchens roter Oberanzapfmeister Dieter Reiter. Es folgte die älteste aller populistischen Forderungen: Es müsse selbstredend Wiesn heißen und nicht Wies'n - soweit bin ich noch d'accord, doch es fiel unweigerlich die Bezeichnung Deppenapostroph. Dabei hatte Reiter gerade noch aller Welt o'zapft is! verkündet - mit Apostroph.
Wenn der Apostroph für ausgelassene Buchstaben im Hochdeutschen steht, warum dann nicht auch Wies'n? Okay, ich finde Wiesn und Brezn und Obatzda auch schöner als das eingestrichene Pendant. Und o'zapft is passt auch. Da verzeihe ich doch gern die Sparerib's und bestelle lieber im Bierzelt nebenan Sparerribs, die klingen zumindest bezahlbar.
So einfach könnte das Leben sein, wenn da nicht der Wutbürger wäre. Denn nichts kann diese Spezies dermaßen auf die Palme bringen wie ein vermeintlich falscher Apostroph: Über Helga's Frisiersalon oder Bernie's Pils-Treff gehen im Netz Shitstorme von Apostrophen-Hass nieder. Einzig korrekt sei doch Helgas Frisiersalon, ohne Apostroph, basta. Geht's noch? Muss man deswegen Gift und Geifer über einer braven Friseurin abladen?
Arme Helga! Was weiß sie schon, dass der Duden Helga's seit 1996 wieder erlaubt. Im Duden steht als Beispiel Willi's Würstchenbude. Die Sprachoberlehrer wissen das zwar, dreschen dennoch lieber auf Helga ein und überhaupt, da könnt ja jeder kommen! Von 1901 bis 1996 war der Apostroph vor dem Genitiv-s tatsächlich vom Duden verpönt. Vor 1901 wiederum war das ganz normal: Kaiser's Kaffeegeschäft und Beck's Bier und Pierer's Universallexikon und Goethe's Werke in der Ausgabe von 1827. Nietzsche schrieb: Nach Vater's Art. Was kann am Genitiv-Apostroph so entsetzlich sein? Nichts natürlich. Dem einen gefällt's, der andere lässt es halt bleiben.
Was die Oberlehrer gar nicht wissen wollen: Wahre Meister der Sprache lassen sich von kleinlichen Vorschriften nicht verdrießen. Thomas Mann, schludrigen Sprachgebrauchs nicht verdächtig, korrigierte in seine Gesamtausgabe von 1960 wieder die Apostrophe hinein, die ein übereifriger Lektor herausgestrichen hatte. Bravo, Mann! Und zwar immer dann, wenn ein Name auf einen Vokal endet: Tonio's und Rebecca's schrieb er folglich, alles andere empfand er als hässlich. Unsere dermaßen gescheiten Wutbürger von heute würden ihn des Deppenapostrophs bezichtigen, die von gestern verbrannten seine Werke.
Gern wird ja mutmaßt (oder gemutmaßt? Eher nicht mutgemaßt, jedenfalls nicht zu verwechseln mit den Mutmaßn fürs Anbandeln auf der Wiesn), gern wird also (ge)mutmaßt, der Apostroph sei aus dem Englischen importiert. Ist er nicht, wie Goethe's Werke zeigen. Obendrein entstand der englische Genitiv-Apostroph ausgerechnet aus einem Verhörer - aus einer der Dativ-Konstruktionen, die den Sprachoberlehrern so verhasst sind, weil die es nicht abkönnen, wenn das Volk spricht: Den Genitiv my fathers house gab es im Englischen seit jeher, aber ohne Apostroph. Daneben bestand die Form my father his house (meinem Vater sein Haus, so wie bei uns der Volksmund spricht). Einige Obergescheite sahen nun den Genitiv fathers fälschlich als Verkürzung von his an: My father(hi)s house und setzten an die Stelle der vermeintlichen Auslassung den Apostroph. Fertig war der englische Dativ-statt-Genitiv- oder Genitiv-statt-Dativ-Apostroph. Lustig, gell?
Helga's Frisiersalon dank Thomas Mann endgültig gerettet. Die Wiesn darf Wiesn bleiben. Kathrin Kunkel-Razum, Chefin der Duden-Redaktion, für eine Aufnahme der Wiesn in die nächste Duden-Ausgabe. Oiso nachad, samma wiada guad, Horstl, Dieter, Oberlehrer - prost beinand, auf die Helga!
Illustration: Nathan Nankervis; Foto: Stephan Rumpf