»Er hörte einfach nicht auf«

Man hat Spaß, trinkt, flirtet und feiert. Doch was passiert, wenn er dann mehr will, sie aber nicht? Sechs Frauen erzählen von den Momenten, in denen sie sich nicht getraut haben, Stop zu sagen.

Die Frauen, die hier von ihren Erfahrungen berichten, haben es – anders als die Frau auf diesem Foto – nicht geschafft, Stop zu sagen.

Seit zwei Wochen twittern und posten Millionen Frauen unter #MeToo entweder nur ein »Ich auch« oder berichten über ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen. Und jede Frau, die zugibt, dass sie von sexuellen Übergriffen betroffen ist oder war, stärkt den Eindruck, der entsteht: Sexuelle Übergriffe geschehen überall. Sie sind alltäglich, so alltäglich, dass sich bisher kaum jemand darüber beschwert hat. Und es ist immer Macht im Spiel. Denn der Flirt endet da, wo der Missbrauch von Macht beginnt.

Aber es sind nicht nur potenzielle Arbeitgeber oder Chefs, die Macht über Frauen haben. Es sind nicht nur Theaterregisseure und Professoren, Ärzte und Filmproduzenten. Manchmal reicht schon eine Situation, in der der Mann glaubt, ihm stehe etwas von der Frau zu. Und in der die Frau glaubt, dem Mann etwas schuldig zu sein. Dann schlafen Frauen mit Männern, mit denen sie eigentlich gar nicht schlafen wollen. Und Männer schlafen mit Frauen, die eigentlich gar nicht mit ihnen schlafen wollen.

Die SZ-Magazin-Mitarbeiterin Lena von Holt hat mit Frauen gesprochen, die zwar Nein gesagt, das aber nicht durchgesetzt haben. Die überrascht davon waren, wie weit die Männer dennoch gingen. Und erschrocken darüber, wie unfähig sie selber dazu waren, sich zu wehren. Wie viel stärker der Impuls war, keine Schwierigkeiten machen zu wollen, als der, sich selbst zu schützen. Und weil diese Frauen nicht den Mut hatten, sich gegen die Männer zu wehren, weil sie ihre eigenen Grenzen nicht lauter und konsequenter verteidigt haben, möchten sie nicht mit ihren echten Namen auftauchen. Dabei sollte weder Lautstärke noch Gewalt nötig sein, um Männer davon abzuhalten, diese Grenze zu überschreiten.

Meistgelesen diese Woche:

Die Momente, von denen die Frauen hier erzählen, sind klein, banal, aber jeder kennt sie: Die Couch, auf der die Frau übernachtet, steht in seiner Wohnung. Oder: Er hat ihr ein paar Drinks spendiert. Oder: Es gibt kein Kondom. Oder: Eben war man noch zu dritt, plötzlich ist man zu zweit, ab da wird’s kompliziert.

Die Frauen sagen zwar Nein. Doch wenn die Männer das Nein nicht so richtig hören, knicken die Frauen ein, so tief verankert ist das Gefühl von Schuld und Verpflichtung und auch körperlicher Unterlegenheit in ihnen. Wahrscheinlich genauso tief wie das Gefühl der Männer, im Recht und überlegen zu sein.

Es sind also auch die Frauen, die die Männer die Situationen ausnutzen lassen. Und die danach darüber schweigen, was mit ihnen geschehen ist. Weil sie sich schämen. Oder möglichst schnell vergessen wollen. Ohne das Schweigen der Frauen wären die Männer nicht so mächtig. Und genau darum ist es gut, wenn so viele Frauen wie möglich erzählen, was ihnen passiert ist. Wenn so viele Frauen wie möglich ihr Schweigen brechen.

Theresa, 26
Wir waren mit ein paar Leuten unterwegs. Zwischen P. und mir hatte sich etwas angebahnt. Ich bin später mit zu ihm gegangen, und dann wollte er mit mir schlafen. Weil ich ihn nicht kannte und mir vorgenommen hatte, Safer Sex und Verhütung ernst zu nehmen, fragte ich nach einem Kondom. Da lagen wir schon ausgezogen in seinem Bett. Er hatte keins da. Also wollte ich nicht mit ihm schlafen. Seine Reaktion war recht forsch, ich hab mich sofort schlecht gefühlt. Ich hatte Angst, dass er nichts mehr von mir wissen wollen würde. Ich kam mir spießig vor, war aber trotzdem stolz, dass ich Nein gesagt hatte, und schlief neben ihm ein. Irgendwann in der Nacht wachte ich davon auf, dass er mit mir schlief. Ich lag auf dem Bauch, er musste auf mich raufgeklettert sein. Ich hatte doch am Abend ganz klar Nein gesagt, reichte das nicht? Trotzdem, es kam mir zu drastisch vor, mich körperlich zu wehren. Er war ja auch nicht brutal. Aber sehr fokussiert. Irgendwie dachte ich dann, lass ihn halt, es wird dich nicht umbringen, wenn du es über dich ergehen lässt. Dabei mutet man sich etwas zu, ohne zu wissen, was das mit einem macht. Man achtet beim Sex immer wahnsinnig auf die körperliche Gesundheit, aber die psychische wird oft vernachlässigt. Mich hat das damals sehr verunsichert. Und ich habe Respekt mir selbst gegenüber verloren.

Für mich hatte das fast nichts mit Sex zu tun. Ich war zwar geistig anwesend, lag aber nur da, das Gesicht ins Kissen gedrückt. Es gab keinerlei körperliche Nähe zwischen uns, ich war isoliert mit meinen Gedanken. Es war, als hätte mir jemand meinen Körper genommen. Wir haben uns nicht angeschaut. Vielleicht war es dadurch leichter für ihn. Hätte ich ihn angeschaut, wäre ich vielleicht auch wütend geworden. Ich habe niemandem etwas davon erzählt. Als meine Freundinnen gefragt haben, ob ich mit ihm geschlafen habe, habe ich Ja gesagt und mitgekichert. Im Nachhinein wird mir schlecht, wenn ich mich daran erinnere, weil es so übergriffig und respektlos war. Er hatte sich einfach genommen, was er wollte. Dass er den Sex genießen konnte, obwohl er wusste, dass ich nicht wollte und offensichtlich keinen Spaß daran hatte, hat mich traurig gemacht.

Antonia, 24
In Neuseeland hatte ich jemanden über Tinder kennengelernt. Es war schon das zweite Date, und ich bin mit zum ihm gegangen. Als ich neben ihm in diesem Bett lag, wirkte er, der ohnehin schon klein war, noch kleiner. Auf einmal fand ich ihn so unattraktiv, dass ich keine Lust mehr hatte, mit ihm zu schlafen. Aber nun war es zu spät, um einen Rückzieher zu machen. Ich war mit ihm nach Hause gegangen, er hatte mir Getränke bezahlt und den Abend davor auch schon. Jetzt konnte ich nicht mehr Nein sagen. Er hatte ja auf diesen Augenblick hingearbeitet, und ich hatte soweit mitgemacht, ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen und als Spielverderberin dastehen. Hätte ich Nein gesagt, hätte er das wohl schon akzeptiert, aber er wäre enttäuscht und frustriert gewesen. Mit der Reaktion hätte ich mich unwohl gefühlt. Deshalb habe ich es über mich ergehen lassen. Mittlerweile mache ich mir weniger Gedanken darüber, was andere über mich denken. Wahrscheinlich hätte ich ihn nie wiedergesehen, da hätte es mir ziemlich egal sein können, was er über mich denkt. Dieses Selbstbewusstsein kommt, glaube ich, erst später, wenn man ein bisschen älter wird. Damals wollte ich cool sein und entspannt wirken.

Charlotte, 35
Es war im Urlaub in Kroatien. In dem Haus, in das ich jedes Jahr mit meinen Eltern fuhr. In dem Sommer war ich 23 Jahre alt. Ich kannte ihn schon lange, wir hatten immer wieder was miteinander, und das war auch schön. Eines Nachmittags wollte er vorbeikommen. Es war unausgesprochen klar, warum. Ich hatte keine Lust und sagte ab. Ich wollte einen Mittagsschlaf machen, hatte mich gerade hingelegt, als ich hörte, wie jemand ins Haus kam. Die Tür war geschlossen, aber nicht abgesperrt. Dass er trotzdem reinkam, fand ich schon komisch. Er fing an, an mir rumzufummeln. Ich tat so, als würde ich schlafen. Ich wollte wissen, wie weit er gehen würde. Und dachte auch, er würde die Lust verlieren. Tatsächlich hat er das Programm durchgezogen. Und ich habe ihn gelassen. Ich dachte, wenn ich jetzt sage, dass er mich in Ruhe lassen soll, ändert das nichts. Immerhin war ich vorher oft und gerne zu haben gewesen. Darum fand ich es schwierig, in dem Moment einen Rückzieher zu machen. Ich wollte die Auseinandersetzung vermeiden und hatte Angst, mich vor ihm rechtfertigen zu müssen. Ich habe mich nicht schlecht oder ausgenutzt gefühlt, ich fand es eher skurril. Ich habe Sex zu dem Zeitpunkt als nichts Besonderes empfunden. Im Nachhinein bereue ich es auch nicht, aber ich finde interessant, wie sehr der Mensch immer noch ein Tier ist. Wenn ein Mann Lust hat, bist du als Frau im Zweifel die Schwächere, wie im Tierreich. Und das ist nicht nur eine körperliche Macht, sondern eine übergeordnete, die tief in uns drin ist.

Lisa, 21
Ich war im Auslandssemester in Südafrika. Er war mein Nachbar, ein Südafrikaner. Wir hatten uns durch Zufall beim Feiern getroffen, und er hatte den ganzen Abend mit mir geflirtet. Irgendwann sind wir mit dem Taxi nachhause gefahren, weil wir denselben Weg hatten. Er ist mit zu mir gegangen, anfangs war meine Mitbewohnerin noch dabei. Als sie ging, wusste ich: Jetzt wird’s kompliziert. Ich wollte, dass außer Küssen nichts laufen würde, er war erst 19. Aber wie und wo würde ich die Grenze ziehen? Er wollte mich überreden. Sagte, dass Alter für ihn keine Rolle spielen würde. Ich hab versucht, ihm zu sagen, dass ich nicht mehr von ihm wollte, immer wieder. Er hörte einfach nicht auf. Es hat mich solche Kraft gekostet.

Sex ist keine Verhandlungssache, darüber sollte man nicht diskutieren müssen. Entweder man will oder nicht. Ich habe das Gefühl, Männer denken, sie müssten uns Frauen verführen. Und dass Frauen ein bisschen kokettieren, aber insgeheim mehr wollen. Für mich war das damals aber keine Verführung, ich fühlte mich total unter Druck gesetzt. Ich wusste von Anfang an, dass ich das nicht wollte, und hätte es durchsetzen müssen. Habe ich aber nicht geschafft. Es war auch nicht so, dass ich währenddessen Gefallen dran gefunden hätte. Stattdessen dachte ich, es tut dir ja nicht weh und ist vielleicht auch nicht so schlimm. Aber es hat sich nicht gut angefühlt. Ich möchte ihm nicht unterstellen, dass es ihm egal ist, was eine Frau will oder nicht will. Trotzdem ist er zu unsensibel gewesen. Verzichtet man nicht lieber, als die Frau so lange zu bequatschen, bis sie endlich mitmacht? Am meisten hab ich mich aber über mich selbst geärgert. Ich dachte zu dem Zeitpunkt eigentlich, ich wäre alt genug, meinen Standpunkt zu vertreten und mich durchsetzen zu können. Und dann bin ich so umgefallen. Das habe ich mir selbst sehr vorgeworfen.

Christine, 47
Der Typ war fast zehn Jahre älter als ich und nahm mich immer von zu Hause mit nach Tübingen, wo ich studierte. Er machte keinen Hehl daraus, dass er was von mir wollte. Ich machte aber auch keinen Hehl daraus, dass ich nichts von ihm wollte. Er spielte mir Musik vor, die war gut, manchmal unterhielten wir uns, was bedeutete, dass vor allem er redete. Mehr war nicht. Das ging ungefähr eineinhalb Jahre so. Normalerweise setzte er mich ab und fuhr weiter nach Augsburg, wo er arbeitete. Einmal wurde es sehr spät. Er sagte, ich kann ja bei dir übernachten, ich schaffe es nicht mehr weiter heute. Mir war nicht so wohl dabei, aber ich konnte ja kaum Nein sagen. Also gingen wir noch in eine Kneipe, tranken was, kamen sehr spät in mein Zimmer. Mehr Platz hatte ich nicht, ein Zimmer, Matratze auf dem Boden. Es kam oft vor, dass ich von Freunden aus der Heimat Besuch hatte und mit denen in einem Bett schlief, ohne dass etwas passierte. Wir hatten alle kein Geld für Hotels und es war irgendwie abgemachte Sache, dass man sich nichts tat. Ich dachte, so wäre es auch bei uns, mittlerweile.
Kaum war es dunkel, fasste er mich an. Schweißausbruch. Wie kam ich da nur wieder raus? Reden? Mich umdrehen? Mich schlafend stellen? Ich sagte, hey, bitte, das ist doch jetzt blöd, damit machen wir alles kaputt, was gut ist zwischen uns. Er sagte, ach was, das ändert gar nichts. Zier dich nicht so. Du hast mich schon so lange heiß gemacht, du willst doch keine Spielverderberin sein.

Ich kann nicht sagen, warum dann geschehen ist, was geschehen ist. Ich wollte zwar nicht, habe mich aber nicht mit Händen und Füßen gewehrt, sondern fiel in eine Art Starre. Ich hatte von den Jungs aus meiner Clique oft gehört, wie sie über Spielverderberinnen schimpften, die es drauf anlegten, von Männern gut gefunden zu werden, dann einen Rückzieher machten und die armen Männer stehen ließen. Ich war immer irgendwie auf der Seite meiner Freunde gewesen. Doch nun war ich selber in der Situation. Da fühlte es sich etwas anders an.
Von da an fuhr ich mit dem Zug nach Tübingen. Ich konnte dem Typ, wenn ich ihm begegnete, kaum noch in die Augen sehen. Und mir selber auch eine Zeitlang nicht. Das alles ist lange her. Heute würde mir so etwas nicht mehr passieren. Weil ich verstanden habe, dass die Spielverderberin eine Erfindung der Männer ist.

Sonja, 25
Wir kannten uns schon einige Jahre. Dann küssten wir uns einmal auf einer Party, aber damals hatte er eine Freundin und ich einen Freund. Wir blieben also Freunde, platonisch sozusagen. Im vergangenen Jahr besuchte er mich in Paris. In der Bar, im Park, andauernd versuchte er, mich zum Sex zu überreden. Er fragte, ganz konkret, ich sagte jedes Mal Nein. Dabei blieb es.
Einige Wochen später wollte ich ihn in Holland besuchen und machte schon vorher klar, dass ich auf der Couch schlafen würde. Ich hätte wissen können, dass wir unterschiedliche Erwartungen an das Wochenende hatten. Aber ich vertraute ihm und fuhr trotzdem hin. Am ersten Abend haben wir gekifft. Ich konnte kaum noch sprechen oder mich bewegen, war völlig fertig. Da fing er wieder an mit Sex. Wieder habe ich Nein gesagt. Irgendwann sagte er, dann lass uns wenigstens unsere Pyjamas ausziehen, es ist so warm. Ich wollte nicht und sagte das auch, aber er ließ nicht locker, und irgendwann war der Punkt erreicht, an dem mich meine Kräfte ganz und gar verließen. Ich habe nachgegeben. Ich wollte einfach, dass er mal still ist.

Es war ätzend, am nächsten Morgen aufzuwachen und sich zu erinnern. Zu wissen, dass es wirklich passiert ist. Er war vor mir aufgestanden, weil er zur Arbeit musste, und ich dachte den ganzen Vormittag darüber nach. Versuchte, das Geschehene für mich zu ordnen. Als er zurückkam, entschuldigte er sich nicht, sondern sagte, dass es sich für ihn so anfühlte, als sei es nicht passiert, als sei alles nur ein Traum gewesen. Was ich ihm am Ende viel mehr verübele als diese eine Nacht, ist wie er sich danach benommen hat. Er hat den Kontakt abgebrochen. Das fühlte sich an, als wäre ich nur ein Punkt auf seiner To-Do-Liste gewesen, den er nun abhaken konnte. Eine Zeitlang habe ich das, was geschehen war, verharmlost. Mir war nicht klar, wie sehr ich es nicht wollte. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr denke ich, dass es sich beschissen angefühlt hat. Weil er die Situation ausgenutzt hat. Das Kiffen, einerseits. Aber es hat schon auch eine Rolle gespielt, dass ich bei ihm zu Besuch war. Ich konnte ja schlecht Nein sagen und ihn in sein Zimmer schicken. Aufstehen und weglaufen war auch schwierig, ich war allein in Holland, er wohnte in irgendeiner verlassenen Kleinstadt, es war mitten in der Nacht, ich kannte außer ihm niemanden, konnte die Sprache nicht, wo hätte ich denn hinsollen?

Foto: esthermm /fotolia.de