Super-Blau-Blutmond und andere Bindestrich-Ungetüme

Was hat der Blutmond mit dem Schweizer Kursbuch zu schaffen? Unser Autor wagt eine Reise in die unterschätzte Welt der Bindestriche.

Eigentlich wollte ich mit dem Kursbuch der Bahn anfangen, doch dann kam diese Super-Blau-Blutmond-Finsternis daher. Drei Bindestriche für ein eher dümmliches Ereignis. Oder war es eine Super-Blau-Blut-Mondfinsternis? Jedenfalls, Segen des Bindestrichs, keine Blaublut-Finsternis. Wir werden das Bindestrich-Ungetüm gleich noch locker toppen, versprochen.

Nun also: das Kursbuch. Mit dem Kursbuch ist es wie mit dem Oktoberfest: Du liebst es oder du hasst es. Ich vermute einfach mal: Sie mögen Kursbücher nicht. Ich liebe sie. Mit der Wiesn habe ich es da ambivalenter: Komme ich nüchtern ins Bierzelt, denke ich, in was für einen Affenstall bin ich denn nun schon wieder geraten. Steht die erste Maß auf dem Tisch, wandelt sich das Bild, bei der zweiten ist es großartig, mit der dritten der schönste Fleck des Planeten und am Fuße der vierten schwindet die Begeisterung mählich.

Derlei Achterbahnen der Gefühle vermeidet das Kursbuch. Weiß man all die Spalten, Pfeile, verschlungenen Pfade, geheimen Zeichen und kryptischen Fußnoten kunstvoll zu deuten, ist es fraglos eine der schönsten Ausgeburten menschlichen Esprits und verschafft allzeit den geistigen Genuss, der wiesnmäßig nur vorübergehend herzustellen ist. Vor allem aber verspricht das Kursbuch sprachliche Leckerbissen sondergleichen: Eine Orgie der Bindestriche.

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Mit Bauchgrimmen vernahm ich daher, dass sogar die Schweiz ihr Kursbuch einstampfen wollte, zugunsten einer faden Online-Version. Wird es nun doch nicht - es fanden sich unerschrockene Liebhaber, die das Kursbuch wieder aufleben lassen, bravissimo!

Zurück zum Bindestrich. Erleichtert er uns nicht das Leben, bringt er nicht Übersicht? Das gern kolportierte Beispiel ist das Druckerzeugnis. Mittels Bindestrich kann man dem Wort entlocken, was es bedeuten soll: Ein Druck-Erzeugnis oder vielleicht ein Drucker-Zeugnis (ein Zeugnis für den, der das Druck-Erzeugnis herstellt). Netter finde ich ohnehin das Musikerleben, das entweder ein Musiker-Leben ist oder ein Musik-Erleben. Ich würde ja sogar Erb-Recht schreiben. Erbrecht finde ich keine nette Einladung. Ganz passend hingegen der Erblasser - der ist schon erblasst, somit ein wahrer Erblasser.

Die schönsten Bindestrich-Ungetüme aus dem Wörterbuch:
Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede
Die-Pferde-sind-gesattelt-Rolle
Feld-Wald-und-Wiesen-...
Frühjahrs-Tag-und-Nacht-Gleiche
Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche
In-den-Tag-hinein-Leben
In-dubio-pro-reo-Grundsatz
Mund-Zahn-und-Kiefer-Klinik
Rio-de-la-Plata-Bucht
Roll-on-roll-off-Schiff
Rund-um-die-Uhr-Bewachung
4-mal-100-Meter-Staffel

Den Guckindieluft schreibt der Duden als ein Wort, was das Struwwelpeter-Buch säuberlich trennt. Man könnte also mit vier Bindestrichen schreiben: ein Hans-Guck-in-die-Luft.

Auf mehr als vier Bindestriche bringt es kein Eintrag im Duden. Nicht verzeichnet ist zudem der schöne Münchner Stadtbezirk mit der amtlichen Bezeichnung Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln; München kann aber ohnehin nicht anstinken gegen Saint-Evroult-Notre-Dame-du-Bois, ein Dorf in der Normandie mit fünf Bindestrichen. Das Französische hat es ohnehin noch mehr mit den Bindestrichen als das Deutsche.

Apropos Kursbuch: Im Schweizer Kanton Wallis liegt die viergestrichene Seilbahnstation Glacier-de-la-Plaine-Morte. Zusammen mit der Station Cabane-des-Violettes liest sich das Ganze in der Überschrift des Schweizer Kursbuchs so: Cabane-des-Violettes-Glacier-de-la-Plaine-Morte. Sieben Bindestriche, danke. Wer braucht schon ein Super-Blau-Blut-Dingsbums, wenn wir das Kursbuch haben.

Foto: dpa