»Ich wollte einen Star, den wirklich alle kennen«

Yvonne Reichmuth hat sich als Designerin in Zürich selbstständig gemacht. Als sie auf Instagram It-Girl Kylie Jenner mit einem ihrer Stücke sieht, weiß sie: Jetzt hat sich etwas verändert.

Kylie Jenner hat über 150 Millionen Follower auf Instagram. Für Designerinnen wie Yvonne Reichmuth ist es großes Glück, wenn ihre Produkte für so viele Leute sichtbar gemacht werden.

Illustration: Lina Müller

SZ-Magazin: Seit sechs Jahren arbeiten Sie als Designerin in Zürich und können davon leben. Wie besteht man als kleines Label in diesem riesigen Mode-Markt?
Yvonne Reichmuth: Indem man gar nicht erst versucht, mit den großen Labels mitzuhalten. Zwei Dinge habe ich mich gefragt, bevor ich als Designerin anfing: In welchem Bereich ist meine Leidenschaft so groß, dass ich mich jeden Tag damit beschäftigen will? Und wofür gibt es überhaupt eine Nachfrage? Leder fasziniert mich. Für meine aktuelle Kollektion habe ich Lederaccessoires für Männer gemacht, weil ich merkte, dass sich das Angebot für sie meistens auf Gürtel und Portemonnaies beschränkt.

In einer Branche, in der Trends alles sind, wollen Sie »zeitlose Stücke« produzieren. Wie geht das?
Ich mache nur eine neue Kollektion pro Jahr. Das hat auch damit zu tun, dass wir als kleine Marke gar nicht die Ressourcen haben, mehr herzustellen. Und ich produziere nachhaltig: Das Leder kommt aus der Toskana und wird ohne Chemikalien verarbeitet. Das allermeiste fertigen wir selber in unserem Atelier in Zürich an. Alle meine Stücke bleiben im Sortiment. Dass viele Konsumentinnen in jüngster Zeit mehr Wert auf Nachhaltigkeit legen, kommt mir natürlich entgegen.

2015 dann war der Fall Ihres Lebens: Es kursierte ein Bild von Kylie Jenner mit einem Ihrer Stücke – ein amerikanisches It-Girl, das Mode aus Zürich trägt.
Ein Bekannter hatte dieses Bild von Kylie Jenner zufällig auf Instagram gesehen, sie trägt meinen Fringe Belt, einen schwarzen Ledergürtel mit langen Fransen. In dem Moment war mir klar: Jetzt hat sich etwas verändert.

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Was denn?
Wenn jemand mit dieser Popularität etwas von dir zeigt – Kylie Jenner hat über 150 Millionen Follower auf Instagram –, ist die Chance groß, dass die Modemagazine das Bild weiterverbreiten und dein Label bekannt machen. Gerade in unserer Branche ist Aufmerksamkeit alles. Mein Team und ich versuchten dann, so schnell wie möglich den Namen unseres Labels ins Spiel zu bringen, wir verlinkten das Bild auf Instagram. In einem Online-Artikel wurde der Fringe Belt schließlich namentlich erwähnt. In der ersten Woche gingen über zehn Bestellungen ein.

War diese prominente Trägerin vor allem Glück?
Ein bisschen Glück gehört dazu, aber nicht nur. Ich arbeite mit einem Showroom in Los Angeles zusammen, wo sich die Stylisten der Promis für Auftritte und Shootings bedienen. Jenners Stylistin ebenfalls. Dass sich dann jemand, der alles haben kann, für ein Stück von mir entscheidet, ist eine schöne Anerkennung. Bereits 2013 bestellten Stylisten von Lady Gaga Stücke aus meiner ersten Kollektion, sie hat dann aber nichts angezogen. Manchmal klappt es nicht. Ich würde aber nie jemanden dafür bezahlen, damit er sich in meinen Kleidern ablichten lässt. Das wäre meinen zahlenden Kundinnen gegenüber unfair. Unter ihnen sind viele Frauen, die ganz normal verdienen.

Ebenfalls 2015 haben schon Monica Bellucci und Janet Jackson etwas von Ihnen getragen. Was war bei Kylie Jenner anders?
Die Bilder von Bellucci und Jackson waren in einem Magazin abgedruckt. Wenn aber eine junge Frau wie Kylie Jenner ein Bild auf Instagram postet, dann verselbstständigt sich das innerhalb von Sekunden. Frauen wollen den Style imitieren und die Stücke nachkaufen – sofort, online. Zum ersten Mal hatten wir eine längere Warteliste, und der Gürtel wird bis heute bestellt. Wenige Monate davor sagte ich noch: Jetzt will ich mal jemanden haben, den wirklich alle kennen!

Da war also schon die konkrete Hoffnung, international bekannt zu werden?
Klar wollte ich auch außerhalb der Schweiz bekannt sein, hier ist der Markt sehr klein. Es geht immer um die Frage, wie man seine Stücke zu den Leuten bringt. Bei jeder neuen Kollektion verschicke ich Lookbooks an Medien, Agenten und Stylisten. Instagram funktioniert wie ein digitales Lookbook, einfach viel schneller. Und gratis. Als ich als Designerin anfing, gab es Instagram noch gar nicht.

Wie hat sich das finanziell für Sie ausgewirkt?
Sagen wir es so: Seither gehen ständig Bestellungen bei mir und meinen drei Mitarbeiterinnen ein, Tendenz steigend. Wir brauchen Monate, um die Liste abzuarbeiten. An manchen Stücken, etwa einem Cape mit Kristallen, arbeiten wir eine Woche lang. Seit diesem Jahr hilft uns ein Team in Florenz, weil wir an unsere Grenzen stoßen. Und durch diese breite Öffentlichkeit ergeben sich neue Kontakte, die wiederum neue Aufträge ergeben. Sängerin Erykah Badu schrieb mir kürzlich auf Instagram und bedankte sich.

»Was heißt das denn: ›Ich habe es geschafft?‹«

Jetzt haben Sie es also geschafft, könnte man sagen?
Nein. Was heißt das denn: »Ich habe es geschafft?« Die Arbeit ist kein Berg, den man erklimmt, und danach ist fertig. Für eine bestimmte Woche habe ich es vielleicht geschafft, und bestimmte Ziele habe ich erreicht. Aber mir ist bewusst, dass es nur ganz wenige Brands überhaupt schaffen, länger als zehn Jahre zu bestehen. Der Modemarkt ist wahnsinnig umkämpft. Die große Herausforderung ist, die Aufmerksamkeit beizubehalten, die mein Label erhalten hat. Ich bin jetzt in meinem sechsten Jahr. Ich hoffe einfach, dass ich als Designerin weiterhin von meiner Arbeit leben und meine Angestellten finanzieren kann.

Was ist das nächste Ziel?
Ich will mit meinen Produkten an mehr Orten vertreten sein, international in den größeren Städten. Zurzeit kaufen die meisten bei mir direkt, über Onlinebestellungen. In Los Angeles bin ich momentan Gastdesignerin in einem Laden, da kann ich temporär meine Stücke verkaufen.

Eine Art Pop-up-Store?
Es ist eher so, dass ich dort pop-uppe: Das Geschäft ist permanent, aber die Kleider im Angebot wechseln. Dadurch, dass die Leute vor allem online einkaufen, müssen sich die Läden inzwischen etwas einfallen lassen, um die Kundinnen anzulocken.

Was für Sie als Designerin eine große Chance ist.
Genau. Und in einem Geschäft gibt es einen persönlichen Kontakt zu den Kundinnen, was in der digitalen Welt ja komplett fehlt. Eine solche Nähe haben oftmals auch die großen Marken nicht.

Wäre es vielleicht sinnvoll, nach Amerika auszuwandern?
Das überlege ich mir immer wieder. Einmal im Jahr reise ich nach Los Angeles, um meine neue Kollektion zu präsentieren. Dann bleibe ich etwa zwei Wochen dort, habe Pressetermine und treffe Leute aus der Branche. Im Moment funktioniert das so für mich.

Trauen Sie Ihrem Erfolg?
Ich will ihn mit Vorsicht genießen. In der Mode ist nichts beständig, die Dinge ändern sich die ganze Zeit. Mir hilft, dass ich jeden Tag mit den Händen an meinen Stücken arbeite, dass ich meine Arbeit also ganz konkret vor mir sehe. Das gibt Bodenhaftung.