Die Gewissensfrage

»Ich habe vor Kurzem die sechsjährige Beziehung zu meinem Freund beendet, weil er seit mehreren Monaten ein Verhältnis mit einer anderen Frau hat. Am Anfang war es typisch weibliche Intuition, dann ließen mich ›dumme Zufälle‹ immer misstrauischer werden. Darauf angesprochen, leugnete er immer alles mit fadenscheinigen Erklärungen. Um ihn nicht fälschlicherweise zu verdächtigen, fing ich an, ihn zu kontrollieren: Ich fuhr zweimal zum Haus dieser Frau und stellte fest, dass er dort übernachtet haben musste, und fand auf seinem Handy auch eine Nachricht, die das bewies. Ist mein Verhalten moralisch zu vertreten?« SABINE D. , DÜSSELDORF

Viele der hier notwendigen Überlegungen kennt man – aus der Innenpolitik. Im Endeffekt wollen Sie wissen, ob zur Enttarnung von Verbrechern, welche das Gemeinwesen der Beziehung gefährden, neben Beschattungen auch die heimliche Durchsuchung von Handy-Speichern zulässig ist. Thematisch übersteigt das beinahe die umstrittene Online-Durchsuchung in Richtung auf eine drahtlose Variante. Falls Sie nun noch das ›Bund‹ in Bundeswehr auf den fürs Leben umdeuten und militärische Einsätze zur Verfolgung von Eheterroristen fordern, haben Sie sich flugs dafür qualifiziert, das Innen- und Familienministerium in Personalunion zu führen.Sie bemerken meine Vorbehalte? Ganz wie bei der politischen Debatte darf man hier nicht darauf verfallen zu sagen: Der Mann hat keinen Schutz verdient, denn er hat selbst das Vertrauen missbraucht. Der Fahndungserfolg allein kann die Mittel nicht rechtfertigen, sonst landet man am Ende bei totalitärer Überwachung und Folter – in Liebes- wie in Staatsdingen. Dennoch: Obwohl ich nicht zögern würde, Computer-Festplatten mit Zähnen und Klauen gegen heimliche Zugriffe der Polizei zu verteidigen, gera-te ich bei Ihrer Frage ins Stocken. Warum? Wahrscheinlich weil man doch ganz im Sinne Gustav Heinemanns seinen Partner mehr liebt als den Staat und ihm wohl deshalb auch mehr gestattet. Weil hier Schutz der Privatsphäre des einen mit der Verletzung von intimsten Bereichen des anderen abzuwägen sind. Schlussendlich weil das Unglück schon vorher eingetreten ist: der Betrug auf der einen Seite, das (womöglich unberechtigte) Misstrauen auf der anderen. Beides wirkt beziehungszersetzend. Deshalb: Schön finde ich Ihr Verhalten nicht, aber verurteilen kann ich es auch nicht.