Tief im Verborgenen

Zwei Schwestern wurden in ihrer Kindheit schwer traumatisiert. Wodurch, wissen sie viele Jahre lang nicht zu sagen. Doch als ­erwachsene Frauen sind sie überzeugt, sich wieder erinnern zu können – und zeigen ihren Vater wegen Missbrauchs an.

Die WHO meint, dass eine Million Mädchen und Jungen in Deutschland sexuelle Gewalt erlebt haben.

Erinnerungen sind unzuverlässig. Manches vergisst man, weil es belanglos ist. Manches verdrängt man, weil man sich dafür schämt. Manche Erinnerungen ­verändern sich. Doch ohne Erinnerung verliert jeder Mensch nicht nur die ­Geschichte, die er für sein Leben hält, er verliert auch sich selbst, seine Identität.

Dieser Text handelt von zwei Schwes­tern und ihren Erinnerungen. Die Er­innerungen entkamen den Schwestern immer wieder, aber die Schwestern ­ihnen nie. Beide sind heute etwas über vierzig Jahre alt. Die Ältere scheint auf den ­ers­ten Blick selbstbewusst, stark und zupackend. Die Jüngere wirkt zart, zerbrechlich und scheu.

Die Ältere ist verheiratet, lebt mit ihrem­ Mann und ihrem Kind in einem Einfamilienhaus in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen und arbeitet als Beamtin. Die Jüngere lebt allein in Bayern in einer kleinen Wohnung, hat Abitur, ist allerdings erwerbsunfähig und frühverrentet.

Beide Schwestern stehen vor ihrem Leben wie Forscherinnen, die versuchen, ein unbekanntes Land zu erkunden. Sie beide sind schwer traumatisiert. Als sie Kinder waren, haben sie einen Teil ihrer Erinnerung abgespalten und tief im Innern ihres Gedächtnisses vergraben. Sie haben das nicht bewusst getan. Es waren ihre Gehirne, die sie schützen wollten.