Wir stehen zusammen (oder?)

Thomas Struth fotografiert Familien aus aller Welt. Wie sich die Menschen dabei aufstellen, verrät mehr als jede Therapiegruppe.

SZ-Magazin: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch mit Familienfotos zu veröffentlichen?
Thomas Struth:
Anfang der Achtzigerjahre hatte ein befreundeter Psychoanalytiker seine Patienten gebeten, ihm Familienfotos aus ihrer Kindheit mitzu-bringen. Er wollte sich ein Bild von ihrem Familienleben machen. Auf vielen Fotos war mit verblüffender Klarheit zu erkennen, welche Beziehung die Menschen zueinander haben. Die Direktheit der Fotos war beeindruckend. 1982 haben wir das Projekt dann gemeinsam ausgestellt. Und von diesem Zeitpunkt habe ich immer wieder Familien porträtiert. Bis dahin waren eher Städte und Architektur Ihr Thema.
1985 habe ich die Bilder einer japanischen und einer schottischen Familie nebeneinandergelegt. Dabei erkannte ich, dass all die Dinge, die mich an Architektur und an Städten interessieren, bereits im Kleinen in Familienverbänden vorhanden sind: die Dynamik, die Wechselwirkung, das Einsame, das Unbewusste.

Woran erkennt man, wie einzelne Familienmitglieder zueinander stehen?
Wenn ich sie fotografiere, stellen sich die Menschen instinktiv dorthin, wo sie sich am wohlsten fühlen. Wenn die Kinder vorn stehen und die Erwachsenen dahinter, dann hinterlässt das einen gewissen Eindruck. Allerdings ist dies natürlich Spekulation, ich mache hier keine wissenschaftliche Arbeit.

Sie haben auf der ganzen Welt fotografiert. Wodurch heben sich die Familien in verschiedenen Ländern voneinander ab?
Kann ich nicht sagen. Ich möchte viel mehr zeigen, was sie verbindet. In meiner Generation, die in den Sechzigern und Siebzigern aufwuchs, war Familie immer ein Thema: Inwieweit lehne ich mich gegen meinen Vater oder meine Mutter auf? Was habe ich Positives von meinen Eltern übernommen? Wie emanzipiere ich mich von der eigenen Herkunft? Verwandtschaft ist ein verbindendes Element. Und das spürt man auf den Bildern.

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Die Familie Shimada haben Sie mit deutlichem Abstand zueinander in deren Garten fotografiert.
Das Bild machte ich am Ende meines siebenwöchigen Japan-Aufenthaltes. Ich habe lange überlegt, wo ich die Familie porträtieren soll. Schließlich habe ich den Garten gewählt, weil die Leute dort entscheiden mussten, auf welchem Stein sie stehen. Leider war mir nicht klar, dass sich Japaner eigentlich nie dorthin stellen würden.

Warum nicht?
Weil der Garten dafür nicht da ist. Der ist nur zum Betrachten gedacht. Da gibt es zwar eine Brücke und einen Teich und sogar Wege, über die man laufen kann, aber die Stelle, an der die Familie steht, ist nicht zum Draufstellen gedacht. Das war sehr unaufmerksam von mir.

Die Familie hat sich trotzdem dort hingestellt.
Aus Freundlichkeit. Mir zuliebe.

Inwieweit beeinflussen Sie die Stimmung auf Ihren Bildern?
Dadurch, dass ich bin, wie ich bin. Die Porträts zwischen 1989 und 1997 sind zum Beispiel etwas starrer. Bei den späteren Bildern komme ich näher an die Leute heran. Da war ich auch entspannter.

Dürfen immer alle Familienmitglieder mit aufs Bild?
Im Bildband Familienleben gibt es auch einige Fotos von Paaren. Prinzipiell bevorzuge ich klare Strukturen: Eltern und Kinder oder Eltern, Kinder und Enkelkinder, also drei Generationen. Es kann auch vorkommen, dass Schwiegertöchter und Schwiegersöhne dabei sind, aber die geben dem Bild wieder eine ganz andere Stimmung. Ich persönlich finde die direkte Familie am besten.

Die Blutsverwandten?
Ja, genau.

Ist es eigentlich gut zu lächeln, wenn man fotografiert wird?
Auf den Familienbildern lächeln nicht so viele Menschen. Es heißt oft, wenn alle lächeln, sehen alle gleich aus. Aber es können doch auch nicht alle verschieden schauen. Meiner Meinung nach gibt es genug Fotos, auf denen Leute lachen.

Ihnen ist ein gewisser Ernst lieber?
Es ist ja auch ein ernstes Thema, das sind jetzt nicht ein paar Kumpels oder irgendwelche Mädchen, die sich zum Ausgehen chic machen. Das ist eine Familiengeschichte.

Haben Sie Ihre eigene Familie einmal fotografiert?
Ja, habe ich. Die Bilder habe ich aber nicht veröffentlicht, es war mehr eine Ablichtung. Ich konnte meine eigene Familie bildnerisch nicht interpretieren.

Der Bildband »Familienleben« erscheint in diesem Monat bei Schirmer/Mosel.