Zehn Glückwünsche zum zehnten Geburtstag

Vor lauter Debatte über die Frage, wie man die Nuller-Jahre korrekt bezeichnen soll, sind sie schon fast vergangen. Zehn Glückwünsche zum zehnten Geburtstag.

    Am Ende des Jahres werden alle auf das vergangene Jahrzehnt blicken - dabei feiern die entscheidenden Phänomene jetzt Geburtstag

    Google

    Am 21.September 1999 wurde die Testphase von Google offiziell beendet und damit ein Werkzeug für fertig erklärt, das zehn Jahre später beinahe den Stellenwert eines eigenen Mediums hat. Vor Google suchten wir mit Fireball, AltaVista oder Yahoo, dann suchten wir alle nur noch mit Google. Und dabei ist es, ganz gegen die Gesetze des Webs, bis heute geblieben. Genau wie bei der unverändert schlichten Suchmaske. Die hatte damals das herrschende, verworrene Start-Up-Durcheinander des Webs beendet und uns zu verstehen gegeben, dass es hier von jetzt an klar und ordentlich geradeaus gehen wird. Seitdem ordnet Google unser Leben Jahr für Jahr mehr. Erst unsere Nachrichten, später die E-Mails und heute auch noch Stadtpläne, Termine, Geld-Transaktionen und Fotos. Immer zentraler rückt das kleine Suchfenster in unsere Mitte und ist längst alles, was im Web der Fall ist. Wir googeln wenn uns was wehtut und wenn wir etwas kochen wollen, wir googeln wenn wir verliebt sind und auch in allen anderen Fällen, in denen wir nicht weiterwissen. Die Universalmaschine wird bald unsere letzten Lebensfragen klären und das Verb googeln wird für die Generation nach uns die Wörter „suchen“ und „orientieren“ ersetzt haben. Macht nix, dann werden mit unseren Kindern eben in den Wald gehen und dort Pilze googeln.

    Meistgelesen diese Woche:

    TV-Total

    Vor ziemlich genau zehn Jahren bekam der Mann mit den meisten Zähnen des Showbusiness seine eigene Late Night Show. Und im Gegensatz zu allen anderen, die sich an diesem Format versuchten, ist Raab immer noch da. Was womöglich an den TV-Schnipseln liegen könnte, die seit Beginn zentraler Bestandteil seiner Sendung sind, auf die man immer noch wartet wie bei der ersten Show: sekundenkurze Fernseh-Peinlichkeiten, die meist in irgendwelchen Regionalsendern vorgefallen waren. Indem er die Schadenfreude zum Prinzip seiner Sendung erhob, stellte Raab eine Verbindung zu seinem Publikum her, das sich beim Betrachten einen kurzen Überlegenheitsmoment lang auf die Schulter klopfen und johlen kann.

    Dabei hat sich der TV-Schnipsel mit dem Siegeszug von YouTube eigentlich erledigt. Denn was früher noch eine Horde unterbezahlter Studenten in Akkordarbeit bearbeiten musste, erledigt heute eine Heer von Freiwilligen im Netz – und das auch noch sehr viel schneller. Und um die Peinlichkeiten der letzten 24 Stunden noch einmal zu erleben, muss niemand mehr Raab einschalten, sondern nur auf die Mails und Links von Freunden warten, die im Laufe des Vormittags eintrudeln. Stefan Raab stört das nicht, er sendet unverdrossen und immer noch in Jeans und Sakko seine Schnipsel. Und ob man will oder nicht – damit ist er auf dem besten Weg eine der wenigen Legenden des deutschen Fernsehens zu werden

    Helgaaaaa!

    Es war eine dieser wabernden Sommernächte, in denen wir auf einer durchgesifften Festivalwiese hockten, Dosenravioli kochten oder Dosenbier tranken und uns darüber kaputtlachten, dass irgendwelche Idioten den Müllsack wegen fünf Euro Pfand geklaut hatten. Es war dunkel. In den Blutbahnen von ein paar zehntausend Musikpilgern mischten sich die verschiedensten Substanzen, von den Dixie-Klos wehte ein Lüftchen herüber und dann drang plötzlich dieser Ruf ins halbtaube Ohr, umschiffte das monotone Tinitus-Piepen und hallte aus unzähligen Kehlen zurück: Helga! Heeeeelgaaaaa!

    Ehrlich erschöpft aber glücklich fielen wir ins Zelt und in einen unruhigen Schlaf, in dem schlacksige Baggyhosen-Heinis stundenlang ihre Helga suchten. Lustig, irgendwie. Einige Jahre später fanden wir Helga überall. Getaggt auf Zeltwände, gedruckt auf T-Shirts, Helga war Kult. Jeder kannte sie und niemand wusste, wer sie ist. Bis ein Programmierer aus Niedersachsen der taz steckte, er habe Helga mit ein paar Kumpels 1999 in Scheeßel in die Welt gesetzt, um sich ein bisschen so wie Rocky zu fühlen, der aus dem Boxring nach seiner Frau ruft. Ob das nun stimmt, oder ob die wahre Helga Horstmann heißt und schon 1992 beim Bizarre-Festival wegen eines Ravioli-Büchsen-Streites vor ihrem Mann Reißaus nahm – wir wollen es eigentlich gar nicht so genau wissen. Denn längst ist Helga zu einem netten Synonym geworden, das uns an Ravioli und feuchte Wiesen, an Tinitus und Zeltnächte erinnert.

    Lesen Sie weiter aufjetzt.de wie Napster den Umgang mit Musik revolutionierte, der Berlin-Hype unter Studenten einsetzte und der Ebay-Reflex den Wegwef-Reflex ersetzte.

    Von: Marie Piltz, Christina Waechter, Philipp Mattheis, Andreas Glas, Dirk von Gehlen, Max Scharnigg Illustration: Katharina Bitzl