Das wahre Gesicht

An der Nase erkennt man den Charakter. An der Mang-Nase die Schönen und Reichen.

Im Schnitt schafft Werner Mang pro Tag fünf Nasen. Eine davon gehört Andreas Kraus*, 46. Noch ist die Nase ein Kolben wie die von Gerard Depardieu. Seit er denken kann, leidet der Rechtsanwalt unter ihr. Vor einer Operation hatte er Angst. Bis ihm sein Bruder, ein Arzt, empfahl: Geh zum Mang! Gerade ist er eingedämmert. Die Lippen sind leicht geöffnet, aus den Augenschlitzen quillt Salbe. Mang betritt den OP-Saal federnd, ein langer Mann mit hoher Stirn und wehendem Haar. Sein Blick streift die beiden Vorher-Fotos, die an der Wand kleben. »Warum kommt so einer erst jetzt? Der sieht doch aus wie Rübezahl mit dem Rüssel«, ruft er. Und los. Mit dem Skalpell schlitzt er die Nase auf, wühlt sich hoch zum ersten Knorpel.

Seit Anfang der Achtzigerjahre ist die von Professor Mang geformte Nase ein Begriff in Deutschland. Wer ein Problem mit seinem Aussehen und genügend Geld hat, geht nach Lindau, zum Mang, der in Illustrierten und auf vielen Kanälen wie ein Wanderprediger verkündet: »Schönheitsoperationen sind kein Tabu mehr. Aber Vorsicht vor Scharlatanen.« Auch wer objektiv betrachtet überhaupt kein Problem mit seinem Aussehen hat, kommt. Für manche ist die Mang-Nase ein unerlässliches Accessoire: Prada-Täschchen, Rolex, Mang-Nase. Mehr als 15000 Stück hat der Professor gemeißelt. Die meisten sind in Deutschland geblieben – etwa zehn Prozent mit ihren Besitzern in den Rest der Welt ausgeströmt. Nach Russland, Saudi- Arabien, in die USA. Mang hat lange überlegt, warum dieses Gesichtsprofil erotisch wirkt, jenes nicht. Ergebnis: Die Nase spielt die Hauptrolle. Er bevorzugt das »gotische Modell« bei Frauen – natürliches Vorbild: Christie Turlington. Schmal und gerade, niedlicher Schwung nach oben, ein 110-Grad-Winkel zwischen Nasenspitze und Oberlippe. Ein Kindchenschema-Näschen, das signalisiert: Ich bin eine Süße! Will nur spielen! Bei Männern hält Mang den »griechischen Typ« für ideal. Was Ernstes. Die Eroberer-Nase. Hannibal hatte so eine. »Man ahnt gar nicht, was die Nase ausmacht«, sagt Mang. Steffi Graf zum Beispiel: Ihre Nase, hat er einmal in der Bunten analysiert, »zerstört die Harmonie ihres schönen Gesichtes«. Wenn sie ihre Nase verkleinern und die Höcker beseitigen lassen würde – »ich bin sicher, dass das ein kleines Wunder vollbringen würde«. Man möchte Steffi die Daumen drücken, wie 1990, bei den German Open, im Kampf gegen Monika Seles – den sie dann leider doch verlor: »Widerstand!« Welch trostlose Vorstellung: Steffi mit Stupsnase.

Eine Stunde OP, ein, zwei Wochen Gipsverband – fertig ist das neue Gesicht. Schon mit 16 ist der Typwechsel ohne Weiteres möglich – wie bei der Schülerin Julia aus Baden-Württemberg. Auf den Bildern, die sie vorher zeigen, war sie ein blondes Mädchen mit kleinem Höcker auf der ansonsten unauffälligen Nase. Apart sah sie aus. Sie wollte aber nicht apart, sondern perfekt aussehen. Stundenlang stand sie vorm Spiegel und litt. »Meine Nase hat mein Gesicht verdorben«, fasst sie zusammen. Julia ist nicht doof, wie man jetzt vermuten könnte. Sie ist Gymnasiastin, interessiert sich für englische Literatur und schreibt in ihr Tagebuch Gedichte. Sie machte sich ernsthafte Gedanken über die Vollnarkose, bevor sie in den Sommerferien an den Bodensee fuhr. Warum zu Mang? Weil sie den aus dem Fernsehen kannte. Julias Mutter war anfangs skeptisch. Auch wegen der Kosten. Mang schlug diesen Deal vor: 10000 Euro minus 2000 Euro Rabatt, wenn Julia ihr neues Näschen bei Bedarf im Fernsehen vorführen würde. Da war nicht mehr viel Überredungskunst nötig – schließlich wusste die Mutter, dass Julias Traumberuf »Model« ist. Beide bereuen die Entscheidung keine Minute. Julia sagt, sie fühle sich seit der Operation viel sicherer als vorher. Zum Beispiel den Jungs gegenüber. Als Julia nach den Ferien mit Mang-Nase in die Schule kam, waren einige Mädchen neidisch. Julia berichtet: »Manche könnten wirklich auch eine schönere Nase brauchen. Aber da erlauben’s die Eltern nicht.«

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Die Klinik, in der sich Mang die meiste Zeit seines Lebens bewegt, ist längst ein Kosmos mit eigenen Gesetzen. Ein bayerisches Silicon Valley. Ist es gerechtfertigt, hübschen Mädchen wie Julia eine neue Nase zu verpassen? Solche Fragen werden kaum diskutiert. Hier gilt: Wer ein Problem mit seinem Aussehen hat, ist meist besser beim Schönheitschirurgen aufgehoben als beim Psychologen. Zurzeit denkt Mang über den asiatischen Markt nach. Einen riesigen Bedarf sieht er da. Die Chinesinnen mit ihren platten Nasen wollen auch lieber wie Nicole Kidman aussehen, hat Mang beobachtet. Er tüftelt an einer asiatischen Mang-Nasen-Version. Im April wird er nach Shanghai reisen. Dann will er eine Extra-Nase entwickeln – eine kleinere als die europäische Version. Eine, die zu den mandelförmigen Augen, zur Gesichtsform der Chinesinnen passt. Dass Mangs Idealvorstellungen nicht immer mit den Wünschen seiner Kunden übereinstimmen, scheint ihn nicht zu stören. In Internet-Selbsthilfegruppen tauschen sich Betroffene aus. Manche raten verärgert vom deutschen König der Nasen ab. »Granate 33« zum Beispiel, Mitte 30, Bedienung in einem Café. Sie sagt, sie wolle andere vor dem »Herrgott vom Bodensee« warnen: »Ich wollte eigentlich nur eine winzig kleine Veränderung, eine etwas schlankere Nase, aber sicher keine Stupsnase. Jetzt hab ich ein Barbiepuppen-Näschen.«

Kritik kann Mang nicht leiden. Unzufriedene Patienten bezeichnet er als »Querulanten und Psychopathen«. Er fühlt sich geradezu verletzt von Kollegen, die ihn nicht mögen. Eine Zeit lang hat er überlegt, die Ärzte zu verklagen, die sich in einem Artikel im Stern kritisch über ihn ausgelassen und ihn als »Aufschneider« beurteilt haben, »angetrieben von einer ausgewachsenen Profilneurose«. Die Tatsache, dass er nie seinen »Facharzt Plastische Chirurgie« gemacht habe, genügt – und Mangs gute Laune geht so schnell auf Talfahrt, wie sein Adrenalinspiegel ansteigt. »Ich sage dazu nichts«, stößt er heraus. Zieht dem schlafenden Kraus mit einem Ruck ein drei Zentimeter langes, blutiges Stück Knorpel aus der Nase, hält es stumm gegen das Licht. Die Stimmung im Raum: eisig. Fünf Minuten Schweigen. Dann sagt Mang doch was. Das Narkosemittel tropft und tropft, aber Mang hat jetzt für eine Weile aufgehört zu operieren, weil er beim einzigen, riesigen Ärgernis seines Lebens ist und dafür alle Konzentration braucht. Breitbeinig steht er da, das Haar wirr, die Augen kalt und blau wie der Bodensee vor dem Fenster; er schimpft.

Wie ungerecht er die Anfeindungen findet. Wie dieser schwerreiche Mensch, der jüngst in der ZDF-Sendung 37 Grad freimütig erzählt hat, dass »es wohl nicht viele Leute in Deutschland gibt, die ein Tageseinkommen haben, das höher liegt als meins«, sich wünschen würde, endlich nicht nur in Moskau, Los Angeles und Shanghai, sondern auch in Deutschland als Wegbereiter der ästhetischen Chirurgie, als Mahner und Rufer zu gelten. Doch er wird das Image nicht los, ein Anti-Mediziner zu sein, der den hippokratischen Eid verrät, vor allem die Passage: »Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken, nach bestem Vermögen und Urteil; ich werde sie bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht.« So gern er einfach darüberstehen, sein Leben, seinen Erfolg genießen würde – Mang kann nicht aufhören, sich zu rechtfertigen. Auch das ärgert ihn. Weil er eigentlich findet, dass er sich gar nicht rechtfertigen müsste. Deutschland kommt ihm so kleinkariert vor, so hinter dem Mond. Eine hübsche Nase, ein straffer Busen, ein faltenloser Hals: Mein Gott, wenn die Arbeit gut gemacht ist, dann ist doch alles gut!

Man kann ihm hemmungslose Selbstherrlichkeit vorwerfen. Überflüssige Operationen. Wenn’s sein muss auch noch seine eigene schiefe Nase; was viele tun, weil sie aus Mangs Normal-Gesicht den Schluss ziehen, dass er selbst den Schönheitsfimmel gar nicht hat, in den er andere Menschen hineintreibt. Der Trumpf, mit dem die »Plastischen Chirurgen« gegen ihren Kollegen antreten, er sei ja gar nicht kompetent, nur ein kleiner Hals-Nasen-Ohren-Arzt, sticht nicht und lässt auf eine Menge Missgunst schließen. Mang hat in München Medizin studiert. Fachgebiet: Chirurgie. Dazu den Facharzt »Hals-Nasen-Ohren«, Schwerpunkt »Plastische Operationen« abgelegt. Die Weiterbildung zum »Facharzt für plastische Chirurgie« gibt es erst seit 1993. Und 1993 war er schon Direktor der Klinik am Bodensee. »Den plastischen Chirurgen brauchte ich nicht mehr – ich konnte schon alles«, sagt er. Woher? Das will er jetzt endlich mal erklären. Sechs Monate hospitierte er während des Studiums bei dem brasilianischen Schönheitschirurgen Ivo Pitanguy in Rio de Janeiro. Zwischen 1982 und 1990, als Oberarzt im »Klinikum rechts der Isar«, habe er dann nichts anderes gemacht als plastische Operationen »rauf und runter«. Kopf und Hals und Brust und ab und zu sogar Fettabsaugen.

Anfang der Achtzigerjahre kam ihm in München Götz George unter die Klinge, der sich bei Filmaufnahmen die Nase gebrochen hatte. Die Bild-Zeitung war dabei – Mang über Nacht »Promi-Chirurg«. Sofort ging das Gerücht um, er hätte Michael Jackson operiert, den berühmtesten Nasen-Patienten aller Zeiten, was Mang allerdings bestreitet. Laut Presseberichten sollen Pamela Anderson, Ramona Drews, Gerd Rubenbauer bei ihm gewesen sein. Spekuliert wird sogar, dass auch Jennifer Aniston ihre tulpenförmige Nase dem Professor vom Bodensee zu verdanken hat. Sicher ist das nicht, doch ihr Foto hängt in seinem Büro.

Als das Werk an Andreas Kraus vollbracht ist, ruft Mang seinen Oberarzt, Dr. Marian Mackowski, einen mit drei Facharzt-Titeln geschmückten Arzt, der vor drei Jahren seine Stelle als Chef der Plastischen Chirurgie in Münster aufgegeben hat, um an den Bodensee zu kommen. Die beiden marschieren zum Mittagessen nach nebenan, in den Sozialraum. Mang ist immer noch in Rage. Gerade die plastischen Chirurgen, ereifern sich die beiden, hätten oft null Ahnung. Die hätten vielleicht abgehackte Finger angenäht, Verbrennungen repariert, Tumore entfernt. Aber in der Ausbildung kaum eine Lidstraffung, ein Facelifting, schon gar keine Nasenkorrektur geübt. »Verstehen Sie? Verstehen Sie?«, rufen sie immer wieder, während sie ihre Suppe löffeln. Man spürt: Mang geht es nicht nur darum, die Konkurrenz unter den Tisch zu fegen.

Es geht ihm um was Großes. Um Qualität. Um Deutschland! Er will, dass sich herumspricht: Wer ein Mang-Gesicht hat, hat kein hingeschludertes, daherexperimentiertes Gesicht. Sondern ein deutsches Qualitätsgesicht! Nicht irgendeine neue Nase. Sondern mitten im Gesicht den Porsche unter den Nasen! Auch Mackowski redet, als müsse er sein Leben verteidigen. Als Mang aus dem Raum ist, sagt er: »Wir machen hier Spitzenarbeit. Aber es ist schlimm. Bei meinem früheren Chef war ich der Größte. Seit ich beim Mang bin, bin ich für viele das größte Arschloch.« Seine Stimme klingt ein bisschen matt jetzt: »Verstehen Sie?«

Mang besitzt eine Hunderttausende Euro teure Oldtimer-Sammlung, drei Schiffe, eine schuldenfreie 25-Millionen-Euro-Klinik in Lindau, seiner Heimatstadt, direkt am See. Er ist Dauergast in Talkshows und Schönheits-Fernseh-Jurys. Die Wände seiner Klinik sind tapeziert mit Fotos aus Bunte und Neue Revue, Gala, Madame und Cosmopolitan, von denen, mitunter dicht neben ihm, Nicole Kidman und Madonna, Costa Cordalis, Katja Ebstein, Verona Pooth, Nina Ruge, Ute Ohoven, Michael Jackson, Uwe Ochsenknecht und Heiner Lauterbach in die Flure strahlen. Was nicht heißen soll, dass er sie alle poliert hat. Er lässt das offen. »Zu meinen Patienten«, sagt Mang, »schweige ich.« Ersatzweise erzählt er von sich selbst. Dass er seit 28 Jahren glücklich verheiratet ist. Seine Frau ist die rehäugige Sybille, Controllerin in der Bodenseeklinik, die immer etwas verkrampft in die vielen Kameras blickt und von der alle Welt vor allem eins wissen will: Ob sie eine Mang-Nase hat. Ja!

»Nach einem Unfall«, heißt es. Damit ist Sybille Mang in guter Gesellschaft: Fast alle Patienten, die durch Lindaus Altstadt spazieren, in Grüppchen die Cafés bevölkern und mit ihren Nasengipsen aussehen wie merkwürdige Vogelkolonien, erzählen, sie seien wegen eines Unfalls gekommen. Oder um die Nasenscheidewand begradigen zu lassen und endlich besser Luft zu kriegen.

Mang operiert so gern, dass er arbeiten will, bis er umfällt, und wenn er einmal umgefallen sein wird, dann will er Spuren hinterlassen haben. Nicht nur in Gesichtern. In einem früheren Leben, hat ihm mal ein Esoteriker erzählt, sei er ein Fürst gewesen mit tollen Ländereien. Er habe alles verloren, damals. Und jetzt baue er sich wieder ein Imperium auf. Das findet Mang einleuchtend, auch wenn das Jetzt und Hier ihn viel zu sehr fordert, als dass er seine Zeit mit Esoterik vergeuden würde. Er schreibt Bücher, in denen er seine OP-Techniken aufdröselt, aber seine Leser ebenso dazu anhält, selbst etwas für ihre Schönheit zu tun: Sport treiben, am besten täglich Sex, wenig Schweinefleisch. Seine Botschaften werden immer knapper – und irgendwie auch immer banaler, wie diese, die frischeste auf der Bodenseeklinik-Website: »Hände weg von Kokain! Positives Denken und Sport treiben! Das sind meine Ratschläge an die jungen Menschen.«

Er ist dabei, in Lindau an jeder Ecke seine Duftmarke zu setzen. Fördert in seiner »ManGallery« junge Maler, sofern diese malen, was für das Ehepaar Mang unter die Rubrik »Erotik und Schönheit« passt, hat mehr als ein Dutzend Häuser gekauft und saniert – auf allen Fassaden prangt das Familienwappen. Mang hat es ausgegraben, es geht auf den Landwirt »Magnus Mang« zurück, Mang, den Großen. Seine nächsten Pläne: eine Dependance in der Schweiz. Dann, in zehn deutschen Großstädten Kliniken zu belegen, in denen nach der »Schule Mang« ausgebildet und operiert wird: Nasen-Operationen immer nur von innen. Das ist der Trick. Wenn er darüber nachdenkt, was aus dem gutbürgerlich erzogenen Förstersohn durch Talent und »Fleiß, Fleiß, Fleiß« geworden ist, dann kommt er zu diesem Ergebnis: »Ich bin von mir begeistert. Ehrlich.« So ein Satz rutscht ihm nicht einfach raus. Er wiederholt ihn noch mal. Und wirkt dabei wie einer, der sich allmählich selbst nicht mehr geheuer ist. Einmal hat er gesagt: Die Gefahr, wenn man so einen Bekanntheitsgrad hat, »ist die Atomisierung der Person«. Es sieht nicht so aus, als ob Mang viel dagegen unternehmen würde.

Am Abend macht der Professor Visite. Andreas Kraus fühlt sich benommen, der Gipsverband drückt. Aber er freut sich auf die Zukunft mit neuer Nase. Dass es sich um eine original Mang handelt – Wert inklusive Narkose, Klinikaufenthalt & Chefvisiten: 10000 Euro –, ist ihm egal: »Ich wünsche mir, dass meine Nase keinem Menschen auffällt«, flüstert er. Mang findet das toll. Jeder zufriedene Patient zieht neue Patienten nach sich. Oder kommt selbst bald wieder, weil er mit dem ersten Eingriff auf das unendlich kreisende Schönheitsoperationen-Karussell aufgesprungen ist – und davon nie wieder abspringen wird. Mang klopft Herrn Kraus freundlich auf die Schulter, dann muss er los. Einen Vortrag halten. Über ästhetische Chirurgie – und was die Krankenkassen dazuzahlen sollten.

*Name von der Redaktion geändert.

Fotos: Bild 1: privat; Bild 2: Michael Leis, Haare & Make-up: Daniel Bauer/Pheonix