Folge 10: Why we can't

Nach der Obama-Manie stellt sich die Frage: Warum weint eigentlich niemand bei uns, wenn Politiker Reden halten?

Die Schlacht ist geschlagen und Deutschland atmet auf. Er hat unsere Hoffnungen nicht enttäuscht. Ganz Deutschland feierte Wahlpartys, als hätte Barack Obama soeben Angela Merkel abgelöst. Dabei wurde er nur Präsident der Vereinigten Staaten. Jetzt werden die Obama-Buttons wieder eingemottet, die Amerika-Fahnen eingerollt. Die ARD hat ihre Papp-McCains und -Obamas verlost. Vorbei die Zeit der flammenden Reden, der packenden TV-Duelle, der Stadien voller Fahnen schwenkender Massen; vorbei die ganze aufgeblasene Show, die man in Amerika Wahlkampf nennt und die viele an religiöse Erweckungsbewegungen erinnert.

Die Frage ist nur: Warum weint niemand bei uns, wenn Politiker Reden halten? Und warum gab es keine spontanen Partys auf den Straßen, als Angela Merkel Kanzlerin wurde? Kann es sein, dass unsere Begeisterung für Obama am Ende viel mehr mit Neid zu tun hat? Neid auf eine politische Kultur, die Spaß machen könnte? Bei uns ist Politik im Allgemeinen und Wahlkampf im Besonderen ein kontrolliertes Geschäft. Begeisterung, ja Euphorie ist verpönt. Pflichtschuldige Standing Ovations bei Parteitagen, das ist schon das Höchste der Gefühle. Ansonsten soll bitte alles seinen geregelten Gang gehen. Politiker machen ja auch nur ihren Job. Am besten stören wir sie nicht dabei. Man macht eben sein Kreuz und dann vergehen wieder vier Jahre. Warum aber muss erst ein Obama kommen, um uns zu zeigen, wie man Menschen für Politik begeistert? Und woher diese Aversion gegen das große Spektakel?

Das mag mit unserer Geschichte zusammenhängen, die uns gelehrt hat, hinter jeder Bevölkerungswallung eine Massenhysterie, hinter jeder Form von kollektiver Ekstase einen neuen Faschismus zu wittern. Es könnte aber auch einfach sein, dass wir auf eine erschütternde Art und Weise abgestumpft sind; dass uns Politik hierzulande so fremd geworden ist, dass sie uns nur noch egal ist. Politiker nennen es Politikverdrossenheit, was immer ein wenig so klingt, als wäre es eine schleichende Erkrankung, die Wähler plötzlich befällt. Dabei wäre es in diesem Zusammenhang wichtiger zu klären, was Ursache und was Wirkung ist. Charismatiker gelten bei uns schnell als unseriöse Menschenfänger, deren Wortgeklingel nur über ihre Inhaltsleere hinwegtäuscht. Man könnte es aber auch anders sehen: Persönlichkeit, Charakter und Temperament sind bei dem Job nicht ganz hinderlich.

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Und so schauen wir gebannt, manchmal auch irritiert, nach Amerika, wo Wahlen wie ein Hollywood-Blockbuster ablaufen, wo Politiker nicht nur zu, sondern auch mit den Menschen sprechen und Freiwillige Millionen für ihren Kandidaten einsammeln. Und ein leiser Wunsch bricht sich Bahn: Wäre es nicht wunderbar, Volksvertreter zu haben, die nicht nur Parteibiografien, sondern auch Biografien haben? Die nicht nur mit Argumenten überzeugen, sondern auch entflammen und begeistern können? Anders gesagt: Ist eine politische Elite, die den Kampf im Wahlkampf betont und Partizipation einfordert, am Ende nicht viel stärker legitimiert als eine, die am liebsten im stillen Parteikämmerlein vor sich hin werkelt. Die US-Wahl sollte uns Deutsche vor allem also eines lehren: Demokratie ohne Leidenschaft ist eine langweilige Veranstaltung. Und diese Langeweile lähmt uns schon viel zu lange.