"Auch in diesen Höhen wird die Luft für Frauen nicht zu dünn"

In ihrer ersten Karriere kümmerte sich Nancy Pelosi um Haus und Kinder. Nun ist die 67-Jährige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses. Und damit die mächtigste Frau der Welt.

SZ-Magazin: Madam Speaker, Sie waren als Oppositionsführerin eine der schärfsten Kritikerinnen von Präsident George W. Bush. Nun sind Sie die Mehrheitsführerin, und der Präsident muss Ihnen Reverenz erweisen. Ist das nicht auch ein süßes Gefühl der Rache?
Nancy Pelosi:
Seine freundlichen Worte während der diesjährigen Rede zur Lage der Nation berührten mich, und ich war stolz darauf, Geschichte zu machen – als erste Sprecherin des Repräsentantenhauses. Es ist ein Signal an junge Mädchen im ganzen Land, dass alles für sie möglich ist, dass Frauen Macht bekommen und Macht ausüben können. Auch in diesen Höhen wird die Luft für sie nicht zu dünn. Und ich werde hart dafür arbeiten, dass ich nicht die letzte Sprecherin sein werde.

Sind Frauen die besseren Politiker?
Sie bringen frische Ideen und einen neuen Blick in die Politik, und ich bin froh darüber, dass die Anzahl der Frauen im Kongress steigt. Je mehr gesellschaftliche Gruppen Platz am Tisch haben, desto mehr dient das Amerika. Inzwischen scheinen Sie mit dem Präsidenten persönlich gut auszukommen. Hilft das, die politischen Differenzen zu überbrücken?
Bei meinen Treffen mit dem Präsidenten diskutieren wir viel über die Fragen, in denen wir zusammenarbeiten können. Im vergangenen Jahr mahnte der Präsident zum Beispiel an, alles zu tun, um die Wettbewerbsfähigkeit Amerikas zu erhalten. Das wollen wir auch. Wir sollten uns gemeinsam bemühen, die nächste Generation von Ideengebern und Wirtschaftsführern zu fördern.

Bei dem wichtigsten außenpolitischen Thema, dem Krieg im Irak, scheinen Ihre Positionen eher unversöhnlich.
Im Irak wollen wir, dass sich die militärische Mission von einem reinen Gefechtsauftrag zu einer Verteidigungs-, Logistik- und Antiterroraufgabe wandelt. Dafür müssen auch die irakischen Truppen weiter trainiert werden. Denn zu dieser Neuausrichtung der Strategie gehört ein phasenweiser Rückzug unserer Truppen, der in den nächsten vier bis sechs Monaten beginnen sollte. Das Ergebnis wäre weniger US-Militär im Irak zu haben und doch weiter in der Region präsent zu sein.

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Tatsache ist: Amerika hat im Irak Chaos verursacht. Hat Präsident Bush nicht recht, wenn er den Demokraten nun vorwirft, dass sie sich mit ihrer Forderung eines Truppenabzuges davonstehlen wollen?
Niemand will einen Rückzug aus dem Persischen Golf, die Vereinigten Staaten müssen sich weiterhin in der Region engagieren, um unsere Freunde zu unterstützen und Bedrohungen für unsere Sicherheit und die unserer Verbündeten zu verhindern.

Was ist heute die größere Bedrohung: Terrorismus oder Klimawandel?
Beides sind Gefahren, die wir nicht ignorieren können. Amerika zu schützen sollte immer unsere erste Priorität sein. Die Vereinigten Staaten, aber auch alle anderen Länder sind von dem globalen Klimawandel bedroht. Diese Frage besitzt das Potenzial, unsere Welt und damit unsere Gesellschaft grundlegend zu verändern. Aus diesem Grund hat der Kongress begonnen, einen neuen Kurs für die zukünftige Nutzung der Energie zu skizzieren – zum Wohl der nationalen Sicherheit, der Wirtschaft und des ökologischen Gleichgewichts. Wir hoffen, dass wir die entsprechenden Gesetze bis zum 4. Juli verabschiedet haben. Dann wird der Unabhängigkeitstag in diesem Jahr auch der Energie-Unabhängigkeitstag.

Die amerikanische Wirtschaft ist immer noch die bedeutendste Wirtschaftskraft der Welt. Trotzdem klingt es bisweilen, als ob das Land am wirtschaftlichen Abgrund stünde. Woher kommt dieser Defätismus?
Die hart arbeitende Mittelklasse wird ausgepresst. Sie hat derzeit nichts vom Wirtschaftswachstum. Diese Menschen kämpfen mit explodierenden Gesundheitskosten und steigenden Studiengebühren, während sie gleichzeitig keine Garantie mehr haben, dass sie im Alter noch abgesichert sind.

Ist Amerika heute noch die mächtigste Nation der Welt?
Obwohl die USA in vielen Gebieten führend sind, wird der Abstand zu uns kleiner.

Woran liegt das – arbeiten die Amerikaner nicht mehr hart genug?
Künftiger Wohlstand verlangt, dass wir finanziell und intellektuell wieder mehr in Innova-tionen investieren. Damit Amerika die Nummer eins bleibt, müssen wir die nächste Generation von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Mathematikern durch bessere Bildungsangebote fördern. Außerdem sollen alle Amerikaner über einen Breitbandzugang zum Internet verfügen, so dass sie nur einen Mausklick von den Jobs und Chancen, die sich dort bieten, entfernt sind. So kann Amerika der globale Motor in Erziehung, Innovation und Wirtschaftswachstum bleiben.

Europäer geben den Amerikanern gern kritische Ratschläge. Was raten Sie den Europäern?
Auch wenn wir wissen, dass es immer Differenzen in gewissen Fragen geben wird, sollten wir versuchen, möglichst viel zusammen zu erreichen, etwa bei so wichtigen Fragen wie der Unabhängigkeit von herkömmlichen Energiequellen und dem Klimawandel. Das ist für uns gut, für die Europäer und für alle anderen Menschen.

Foto: ap