Das Beste aus aller Welt

Unser Kolumnist Axel Hacke hat Aktien gekauft - und die Kurse sind gefallen. Dann hat er Aktien verkauft - und die Kurse sind gestiegen. Seitdem nimmt er die Krise persönlich.

Die Krise. Einerseits hat sie etwas Dunkles, Ungenaues, das Schlimmste für die menschliche Psyche. Kein wahrnehmbarer Gegner, sondern düstere Bedrohung, von der man nicht weiß, ob sie einen konkret ereilt, wann, wo, in welcher Form.

Andererseits ist die Angelegenheit sehr präsent. Vor längerer Zeit habe ich ein paar Aktien eines großen deutschen Konzerns gekauft, für 88 Euro das Stück, nicht sooo teuer eigentlich, aber doch eine Idiotie. Am Tag darauf fielen die Werte, wirklich AM TAG DARAUF! Das empfand ich als Kränkung. Ich hatte gelesen, dass man so was aussitzen müsse, am besten nicht mehr in die Zeitung schauen, das werde wieder irgendwann.
Aber was ich nicht kann, das ist: nicht in die Zeitung schauen. Also schaute ich – und als ich dieses Schauen nicht mehr aushielt, verkaufte ich die Aktien, für 17,50 Euro, das ist ein Verlust von... Ach nee. Nee!
Jedenfalls stiegen diese Aktien AM TAG DARAUF (ich schwör!) um zehn Prozent. Seitdem nehme ich die Krise persönlich. Man scheint mich zu beobachten, um gegen mich zu handeln. Ich bin ein Indikator für das, was man nicht tun sollte. In der folgenden Nacht erwachte ich schreiend, mein rechter Arm (der Arm, mit dem ich die Aktien gekauft hatte!) war eingeschlafen, gefühllos, taub, ich dachte, er werde absterben, und schrie. Finanzmärkte, vernahmt ihr meine Stimme?! Ich wedelte, ruderte mit dem Arm, bis er wieder zu spüren war, dann fiel ich in Umnachtung zurück, ein entsetzliches Erlebnis, auch für die Familie, die sich besorgt am Lager des vom Dax gebeutelten Vaters versammelt hatte.

Bruno, mein alter Freund, erzählte, seine Frau habe sich neulich im Schlaf neben ihm aufgerichtet, ihn angestarrt und laut gefragt: »Wer sind Sie?«
»Was für eine Frage!«, sagte ich. »Wer bin ich? Das kann ich kaum tagsüber beantworten, geschweige denn in der Nacht. Ich könnte im Moment allenfalls sagen, wer ich nicht bin. Kein Mann der Krise. Kein Mann für Aktien.«

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»Schon, schon«, sagte Bruno nachdenklich. Er habe es in erster Linie ver-letzend gefunden, dass seine Frau ihn plötzlich siezte. Nach so vielen Jahren.

Vielleicht ist die Krise gar nicht so schlimm. Vielleicht ist es ja unsere Wahrnehmung, die sie schlimm macht, die immer hysterischeren Reaktionen auf jede Art von Problem. Vielleicht schaukelt sich das gegenseitig hoch. Oder runter. Oder hin. Oder her. Jedenfalls sind wir schon bei geringeren Anlässen in der Vergangenheit halb wahnsinnig geworden, BSE, Waldsterben. Ist nicht unsere Grundaufgeregtheit das eigentlich Besorgniserregende?

Jedenfalls las ich in der FAZ die Besprechung eines Buches über die Geschichte der Spanischen Grippe, worin die These vertreten wird, dass deren nächster weltumspannender Ausbruch nur eine Frage der Zeit sei, mit entvölkerten Orten, blauschwarzen Leichen... Beschämend, wie mich Erleichterung überkam, als ich las, der Schwerpunkt einer solchen Pandemie werde wohl anderswo liegen, nicht bei uns.

Direkt daneben die Rezension eines Werkes des verstorbenen Philosophen Bollnow über Das Wesen der Stimmungen. Stimmung, las ich, sei gegenstandslos, »ein ungerichtetes Zumutesein«, im Gegen-satz zur Freude über etwas, zur Hoffnung auf etwas oder zur Liebe zu etwas, im Gegensatz zum Gefühl also. Und dann: »Wie ich mich einem Ding zuwende und wie es mir erscheint, ist von vornherein durch die Stimmungslage bedingt, in der ich mich befinde. Nur in ängstlicher Stimmung begegnet mir Bedrohliches, und nur in einer heiteren Gemütsverfassung kommen mir die beglückenden Erlebnisse wie von selbst entgegen.«

Tja. Wie soll ich sagen? Stimmung!, Leute. Stimmung...
Mein elf Jahre alter Leser J. aus Sörgenloch (nicht: Sorgenloch!) hat im Wortstoffhof den Begriff »Personalverkauf« abgegeben, gefunden am Schalter einer in der Nachbarstadt befindlichen Firma. Zusammen mit seinem Vater habe er das Wort betrachtet. Dann habe der Vater gesagt: »Normalerweise werden die ja einfach entlassen.«

Illustration: Dirk Schmidt