Eminem: Bereit oder breit?

Eminem...Eminem...Stimmt, was ist eigentlich aus dem geworden? Fünf Jahre lang war es um den größten Hip-Hop-Star der Welt still. Der Grund: Drogen. Jetzt sieht es so aus, als sei er wieder sauber und gesund. Aber packt er wirklich ein Comeback? Eine Begegnung in Detroit.

(Drogen und Tabletten zerstörten fast sein Leben: Eminem)

Am Rande Detroits betritt der drogenkranke Rapper Eminem ein Billardzimmer in den Katakomben einer Konzerthalle und sieht dabei blendend aus. Wie ein Straßenköter, der zum ersten Mal im Leben gründlich gewaschen worden ist. Es ist Ende April, draußen scheint die Sonne, drinnen glänzt Eminems Haut rosa und sein Kampfgewicht von 58 Kilo hält er nun auch schon den dritten Monat in Folge. Eminem lächelt und schüttelt wohlerzogen Reporterhände. Nicht wiederzuerkennen, der Kerl: Noch im Februar, bei der Präsentation seiner Memoiren The Way I Am in Manhattan wirkte er fade und abwesend. In den Anfangsjahren seiner Karriere war er dafür bekannt, jedem Unbekannten misstrauisch und übellaunig gegenüberzutreten. Brauchbare Interviews gab er selten. Nun verhält er sich wie ein soziales Wesen.

Eminems Betreuer Don sagt: »›Em‹ läuft jeden Morgen 13 Meilen. Bei jemandem, der zur Sucht neigt, muss man die Energie nur in produktive Bahnen lenken, dann kommt er schnell in Form.« Don weiß, wovon er redet, er begleitet den Rapper seit 1999.

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In diesen Wochen setzt Eminem nach beinahe einem halben Jahrzehnt zum Comeback an, und damit es ein Erfolg wird, hat er nicht nur im Studio hart gearbeitet, sondern auch in seinem Kopf: »Ich musste einsehen, dass ich süchtig war und mir nur selbst helfen kann. Monatelang war ich mal zwei Wochen auf Entzug, zwei Wochen draußen, wieder zwei Wochen in der Klinik – den Rhythmus zu durchbrechen hat auch viel mit Selbstachtung zu tun.«

Gerade zehn Monate ist es her, als Fotos auftauchten, die einen aufgeschwemmten Eminem im Rollstuhl zeigten. Sein Gesicht fahl wie Kokain und rund wie eine Ecstasy-Pille. So schob man ihn durch einen Garten – den Garten der Entziehungsklinik, in der er sich mühte, seine Sucht nach Drogen, Tabletten und Alkohol zu besiegen.

Wer diese Bilder sah, musste sich ernsthaft sorgen um den Mann, der zwischen 1999 und 2005 vier wegweisen-de Alben veröffentlicht hatte. Damals wurde Eminem zum erfolgreichsten Rapper aller Zeiten, vom Massenpublikum gleichermaßen geliebt wie von der Hip-Hop-Szene respektiert. Er gewann Grammys, Oscar, Platin-Auszeichnungen.

Selbst Intellektuelle schätzten ihn als Poeten: »Da gibt es diesen Eminem«, schrieb der Nobelpreisträger für Literatur, Seamus Heaney, »er gibt uns ein Gefühl dafür, was möglich ist. Erschüttert seine Generation wie ein Stromschlag. Das gelingt ihm dank seiner subversiven Haltung und seiner poetischen Energie.« Doch irgendwann hatte der Erfolg Eminem überfordert: »Je berühmter und reicher ich wurde, desto schneller wuchs die Auswahl an Pillen im Backstage-Raum.«

2005 brach er aus Erschöpfung eine Welttournee ab und versteckte sich fortan in seiner Heimatstadt Detroit. Ein Jahr später heiratete er zum zweiten Mal seine Jugendliebe Kim, mit der er die 14-jährige Tochter Hailie hat, und verkaufte die Hochzeitsbilder an das Magazin Hello!: Da steht der Rapstar in einem lächerlich schlecht sitzenden Anzug und hält sich an einem Blumenstrauß fest. Wenige Monate später ließen sich die beiden erneut scheiden.

Den Tiefpunkt erreichte Eminem, als 2006 sein ältester Freund und engster Vertrauter Proof in einem Detroiter Nachtclub mit drei Kopfschüssen getötet wurde. »Ein Jahr lang dämmerte ich rum, bis ich überhaupt wieder einen klaren Gedanken fassen konnte«, sagt Eminem.
Alles deutete darauf hin, dass er für den Hip-Hop die Rolle übernehmen würde, die Liz Taylor und Liza Minnelli für das klassische Showgeschäft spielen: als Drogenwrack, das von einer glorreichen Vergangenheit zehrt.

Doch niemand sollte den Fehler begehen, die Widerstandskraft von Marshall Bruce Mathers III zu unterschätzen, Sohn von Deborah und Marshall Bruce II, geboren 1972 in St. Joseph, Missouri, durch eine harte Kindheit in einer ärmlichen Ecke des armen Detroits gewappnet für jede Krise, die das Leben bereitstellt. So lautet jedenfalls die Botschaft, die Eminem der Welt in diesem Frühling senden will.

(Lesen sie auf der nächsten Seite: "Dre und ich sind wieder bereit zu Schandtaten«, sagt Eminem, »wie damals, als alles losging.")

Er hatte in den vergangenen vier Jahren nie aufgehört, Songs aufzunehmen, und nun verfügt er über 300 fertig produzierte Stücke, von denen er die besten auf zwei Alben veröffentlicht, die im Mai und im Herbst erscheinen. Titel: Relapse und Relapse II – »Rückfall« also.
Der Titel des Albums spielt nicht nur auf Eminems Geschichte mit Drogen an, sondern auch auf seine musikalische Vergangenheit. Bis auf das Stück Beautiful produzierte die Hip-Hop-Legende Dr. Dre sämtliche Songs. »Dre und ich sind wieder bereit zu Schandtaten«, sagt Eminem, »wie damals, als alles losging.«

Nachdem sein Demo-Tape 1998 auf Dres Schreibtisch in Kalifornien gelandet war, verlor der Produzent von 50 Cent und Snoop Dogg keine Zeit, brüllte seine Mitarbeiter an: »Besorgt mir sofort diesen weißen Kerl.« Die ersten beiden Ergebnisse ihrer Zusammenarbeit, The Slim Shady LP und The Marshall Mathers LP, gewannen Grammys und gehören zu den meistverkauften Alben aller Zeiten. »Vanilla Ice hatte es für weiße Jungs unmöglich gemacht,

als Rapper Respekt zu bekommen«, erzählt Eminem. »Aber nachdem Dre mich produzierte, hatte ich das Gütesiegel und wurde endlich ernst genommen.« Die beiden entwickelten einen Sound, der oft von eingängigen Pop-Melodien geprägt war, von Eminems genialem Gefühl für Sprache und Reime und von Texten, die an Brutalität und Obszönität kaum zu übertreffen waren.

Der Schlüssel zum Millionenerfolg bestand jedoch darin, dass ihm das Publikum die autobiografischen Geschichten abkaufte. Zu Beginn der Karriere erzählte er vom Leben als Kind im Trailer Park mit einer drogenabhängigen Mutter, von den Schwierigkeiten mit dem eigenen Kind und seiner Frau Kim, später dann vom plötzlichen Ruhm und Reichtum.

97 Bonnie and Clyde von der The Slim Shady LP etwa beschreibt, wie Eminems Alter Ego Slim Shady gemeinsam mit Tochter Hailie deren Mutter Kim ermordet und verscharrt. Nicht alle Hörer wollten oder konnten in solchen Geschichten die Abstraktion erkennen. Eminem stammte aus asozialen Verhältnissen und drückte mit Hilfe eines Alter Ego die Wut der weißen Unterschicht aus.

Zum Rap gehörte damals noch der Skandal: George W. Bush bezeichnete Eminem als »größte Bedrohung für Amerikas Sicherheit neben den Taliban«. 2003 leitete das Weiße Haus sogar Ermittlungen ein, weil der Rapper dem Präsidenten angeblich persönlich drohte. In We As Americans hatte sich Eminem George W. Bush tot gewünscht.

Jetzt versuchen es Dre und Eminem also mit demselben Konzept, das ihnen zu Beginn des Jahrzehnts half, mehr als 50 Millionen Alben zu verkaufen: eingängige Melodien, unverschämte Texte, Reime so exakt wie Marschflugkörper. Auf der ersten Single We Made You beleidigt Eminem ein paar Dutzend Persönlichkeiten, darunter übliche Verdächtige wie Sarah Palin, Jessica Simpson und die berühmte Bewohnerin von Entziehungskliniken, Amy Winehouse; 3 A.M. beschreibt die Gedankengänge eines Serienkillers. Andere Songs bleiben streng geheim bis zur Veröffentlichung des Albums.

Doch selbst Eminem scheint sich nicht ganz sicher zu sein, ob die Konzepte von 1999 zehn Jahre später noch funktionieren. Damals profitierte er vom sogenannten Krieg der Kulturen, der in Amerika wütete, als Demonstranten im ganzen Land und Abgeordnete in Washington Rapmusik verbieten lassen wollten – da waren zersetzende Texte ein sicheres Mittel, die Herzen der Kinder aus der weißen Mittelschicht zu erobern. Seinerzeit gab es weder Reality-TV noch Twitter oder Youtube, Napster, Facebook oder Youporn; ein schwarzer Präsident war undenkbar, ein weißer Rapper eine Sensation.

Die Kunstform Rap befindet sich derzeit in einem noch erbärmlicheren Zustand als der Rest der Popkultur: Vergewaltigt von stumpfsinnigen Geschäftemachern, die Hip-Hop auf vergoldete Bentleys und runde Hintern reduzierten; von Legenden wie Nas und KRS 1 längst für tot erklärt. Unterdessen haben digitale Downloads die Verkäufe der meisten auf CD gepressten Rap-Alben in vierstellige Bereiche gedrückt. »Wir müssen viermal so hart arbeiten wie früher, um die Hälfte zu verdienen«, sagt Don, Eminems Begleiter. Was will Eminem uns und sich mit Relapse also beweisen?

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Eminems neue Single stellt noch in der ersten Woche einen Weltrekord auf)

»Gar nichts«, sagt er. »Ob mich die Leute lieben oder nicht, ob ich verehrt werde als einer der besten oder verachtet als einer der halbherzigsten Rapper, ändert nichts an meiner Haltung: Ich werde immer der Rapper sein, der die persönlichsten Geschichten erzählt.« Die Verkaufszahlen für We Made You geben ihm recht: Mit fast einer halben Million bezahlter Downloads in der ersten Woche stellte der Song einen Weltrekord auf.

Im Emerald Theatre am Rande von Detroit zeichnet MTV heute Szenen für die große Eminem-Show auf, die die Premiere des Albums weltweit begleiten soll. Statt Fans stehen Kameras im Zuschauerraum und einige Dutzend Techniker, Redakteure, Kameraleute, die hektisch arbeiten, während Eminem wieder und wieder den Song 3 A.M. vorträgt.

Die Jeans rutscht ihm über den abgemagerten Hintern, wenn er seine typischen Ruck- und Zuckbewegungen macht. Eine Uhr breit wie eine Untertasse glänzt im Scheinwerferlicht. Ohren und Augen sind bei Eminem ungewöhnlich groß geraten im Vergleich zum Rest des schmächtigen Körpers. Wenn man dicht vor ihm steht, hat das den Effekt, dass Eminem neugierig und konzentriert wirkt wie ein Junge beim Computerspiel. Meistens lächelt er, wenn er einen Satz beendet hat, als würde er alles gar nicht so ernst meinen. Langsam scheint bei ihm die Altersmilde einzusetzen.

Als Marshall Mathers sich entschied, Rapper zu werden, war er 14 Jahre, und weil er für sein Alter zu klein gewachsen war, wurde er in der Schule schikaniert und musste Prügel einstecken. Zu Hause studierte er jeden Tag stundenlang das englische Wörterbuch und kombinierte Wörter zu Reimen, kritzelte sie auf Notizzettel, die er in einem Rucksack stets mit sich trug.

In der Schule traf er Proof, der Rap-Battles organisierte, bei denen Rapper auf einer Bühne gegeneinander antraten. Der Gewinner bekam ein paar Geldscheine. »Proof kündigte mich an, ich tat zu Beginn des Abends ein paar Mal so, als hätte ich nichts drauf. Ich bin ja weiß. Später, wenn die Einsätze stiegen, räumte ich dann ab, und wir teilten uns das Geld.« Damals schworen sich die beiden, für immer Freunde zu bleiben, auch wenn nur einer den Durchbruch schaffen sollte.

Eminem wurde ein Weltstar und er hielt Wort. Er blieb nicht nur Proof treu, sondern auch seiner Frau Kim, mit der er seit der Schulzeit und trotz der zwei Scheidungen immer mal wieder zusammen war, seiner Tochter Hailie, der Nichte Alaina und einem Cousin, die er aus Pflegefamilien befreite und für die er auch das Sorgerecht übernahm. Treu blieb Eminem auch Detroit, obwohl er vom Armenviertel 8 Mile in die vornehme Gegend von 26 Mile zog.

Wenn er nicht im Studio arbeitet, kümmert er sich um die Kinder. Hilft bei Theateraufführungen in der Schule oder fährt ein paar Jungs zum Baseball. Neulich hat er vor Hailies Klasse Gedichte vorgelesen. »Die Lehrer sind sehr gut. Sie erklärten den Kindern: Wenn der Herr Mathers den Raum betritt, ist er einfach nur Hailies Vater und nicht der Rapper.«

Eminem sagt, er wolle den Kindern bieten, was er selber nie genießen konnte: Zuneigung und materielle Sicherheit. Aber warum rappt er immer noch über das Zermetzeln von Menschen, als sei er der wütende Bengel von vor zehn Jahren? Diese Wut scheint doch längst verflogen.

»Weil Proof es so gewollt hätte«, sagt Eminem und schaut mit seinen nervösen Augen wie ein Junge, der beim Computerspiel einen übermächtigen Feind besiegen muss.

Fotos: Universal Music