Unter Polizisten gibt es freundliche und nicht so freundliche und auch diesen einen, der fragte, als er Paola im Auto nachts um eins anhielt: »Na, wo kommen wir denn her?« Auf die Gegenfrage, was ihn das angehe, antwortete er, das sei nun mal interessant, wenn eine Frau nachts durch die Stadt fahre, um eine solche Uhrzeit. Ob sie morgen nichts zu arbeiten habe?
Neulich wurde sie wieder von der Polizei gestoppt, bei Tageslicht – warum? Weil sie ihren Sicherheitsgurt zwar trug, aber nicht über die Schulter gelegt, sondern tiefer, über dem Bauch. Der Polizist belehrte sie über das korrekte Anlegen des Gurtes. Sie antwortete, er möge ihr sagen, was das koste, damit sie ihre gerechte Strafe rasch bezahlen könne, sie habe es eilig. Worauf der Beamte entgegnete, er wolle »für dieses Mal« vom Verwarnungsgeld absehen. Ob sie es aber eilig habe, sei nicht von Belang; auf eine Polizeikontrolle müsse sie jederzeit gefasst sein, das habe sie in ihre Zeitplanung einzubeziehen. Das macht sie seitdem. Fährt immer zehn Minuten früher los zu allen Verabredungen, in Erwartung von Polizeikontrollen. Wobei es seither keine mehr gegeben hat. Es ist wie mit dem Regenschirm, wenn man ihn dabeihat...
Da fällt mir ein: Die meisten von uns kalkulieren in ihre Lebensplanung die aberwitzigsten Missgeschicke ein. Wir versichern uns gegen Flut, Brand, langes Siechtum. Wir rechnen mit dem Schlimmsten, der Schweinegrippe in übelster Form, der Klimakatastrophe in globaler Niedertracht. Doch sind wir gewappnet, wenn uns plötzlich das Glück ereilt? Ich meine, nicht ein Lottogewinn, dessen Folgen jeder schon für sich durchgespielt hat, selbst wenn er nicht Lotto spielt. Sondern das unverhoffte, in jeder Beziehung unerwartete, nicht mal erwartbare Glück...
In der Zeitung las ich die Geschichte von Leo Gao und Cara Young, die in Neuseeland eine Tankstelle betrieben, und zwar so erfolglos, dass sie ihre Bank um einen Überziehungskredit bitten mussten: 10 000 neuseeländische Dollar. Als sie wenig später ihre Kontoauszüge betrachteten, sahen sie ein Gut-haben von zehn Millionen neuseeländischen Dollar, ungefähr 4,5 Millionen Euro. Ein Bankangestellter (inzwischen traumatisiert in Behandlung) hatte sich um einige Nullen vertippt.
Was taten Leo und Cara? Sie verschwanden auf der Stelle aus Neuseeland, unter Mitnahme einiger Millionen in bar und nicht ohne einen sehr erheblichen Betrag auf ein »Offshore-Konto« überwiesen zu haben.
Hier setzen meine Überlegungen ein: Wenn auf meinem Konto unverhofft Millionen eintrudelten – wäre ich gewappnet? Könnte ich binnen 24 Stunden meine bürgerliche Existenz auflösen, mich ins Ausland begeben, um das unverdiente, aber nun mal vorhandene Geld zu verbraten? Habe ich ein Offshore-Konto? Bin ich mental gerüstet für eine solche Umwälzung meiner Lebensverhältnisse?
Es klafft eine Lücke in der Lebensplanung. Wir sind nur fürs Negative gerüstet, nicht aber fürs Gute. Für den plötzlichen Anruf von Quentin Tarantino: Ich habe Sie auf der Straße gesehen, Ihr Gesicht ist unentbehrlich für meinen nächsten Film, wir drehen in zwei Wochen vier Monate lang in New York, Sie werden in jeder Szene zu sehen sein, packen Sie den Koffer. Für den Satz des Arztes nach dem Routinecheck: Sie sind nicht nur kerngesund, Sie sind unsterblich. (Zahlt eigentlich die Rentenversicherung für Unsterbliche?) Für den Anruf des Literatur-Nobelpreis-Komitees, mit einem herzlichen Glückwunsch. (Bitte, es sind schon sooo viele uninteressante und langweilige Autoren ausgezeichnet worden, da käme es auf mich auch nicht mehr an.)
Beschlussvorschlag: Wir alle werden ab heute (sagen wir: um Mitternacht) andere Menschen sein. Wir werden das Beste vom Leben erwarten. Und bitten alle unsere Banken um einen Überziehungskredit, in der Hoffnung auf einen geringfügigen Irrtum...Einer von uns wird schon Glück haben. Und er wird gewappnet sein.
Illustration: Dirk Schmidt