Plattpfirsich

In dieser Frucht steckt die zentrale Sehnsucht unserer Zeit.

Schon wieder China, ist das aber deprimierend, gibt es denn gar nichts mehr, was nicht aus China kommt? Dieser Pfirsich zum Beispiel, der so schön zerknautscht mitteleuropäisch aussieht, als sei er in all den grausamen, blutigen Jahrhunderten geformt, in denen aus Kriegen und Schlachten dieser Kontinent in seiner heutigen Kultur erwuchs, dieser Platt-
pfirsich also, der so eindeutig altmodisch aussieht, dass er heute schon wieder modern ist – warum kann der nicht einfach aus einem schattigen Tal irgendwo in der Auvergne stammen, wo ihn so um das Jahr 1640 herum ein Bauer mit schweren Holzschuhen, dem die Milch gerade mal wieder sauer geworden ist, erfindet, einfach so, weil die Welt eben Plattpfirsiche braucht? Aber nein, aus China kommt er, fast 4000 Jahre ist er alt und natürlich ist er dort auch noch das Symbol der Unsterblichkeit.

Wikipedia, eine der im Vergleich armen Erfindungen unserer westlichen Kulturblüte, die gerade mal 500 Jahre dauerte, weiß dann auch noch, dass in der daoistischen Mythologie Xiwangmu, die »Königmutter des Westens«, diese Pfirsiche in einem entlegenen Bergtal anbaut, »wo sie nur alle tausend Jahre reif werden«: Tja, und diese Zeit ist nun wohl eben wieder gekommen – »it’s all about China«, grummelte vor ein paar Jahren der weise, alte Norman Mailer, dessen rotes Gesicht selbst ein wenig an einen immerhin sehr runden Pfirsich erinnerte. Was damals noch etwas schrullig wirkte, ist heute banale Wahrheit. Und wie zum Hohn auf unsere welkende westliche Welt tauchen nun auf einmal überall diese verwachsenen, flachen Früchte auf, die doch eigentlich aussehen wie das obstgewordene Rothenburg ob der Tauber. Aber wie geht das? Wer entscheidet, dass es nicht mehr die Nektarinen sind, die wir essen wollen, eine in ihrer Mutation diffus moderne Frucht, die zwar nicht, wie oft angenommen, aus einer Kreuzung von Pfirsich und Pflaume entstanden ist – dafür aber, wie Sigrid Löffler gesagt hätte, dafür aber dezidiert spaßgesellschaftsmäßig wirkte, weil die Nektarine saftiger war als der gemeine Pfirsich und dafür noch den Vorteil hatte, dass die glatte Haut nicht so pelzig war, wenn man hineinbiss? Ein Obst für uns Frucht-Hedonisten, eine Züchtung aus unserer Zeit also, obwohl die Nektarine auch, das war klar, ursprünglich aus China stammt, aber richtig beliebt erst in den Neunzigerjahren wurde, auf dem Umweg über, ja, die
ehemalige Weltmacht USA.

Der Plattpfirsich, der deutlich intensiver im Geschmack ist als ein runder Pfirsich und auch Bergpfirsich heißt oder Weinbergpfirsich, weil er von Winzern in Spanien oder Frankreich als Schattenbaum zwischen die Reben gesetzt wurde, sendet dagegen ein ganz anderes Signal: Wir erleben die Rückkehr des alten Adels und des Antikobstes. Der Trend geht zur Fruchtfolklore. Der Plattpfirsich ist damit ein weiteres Zeichen für den Sprung in der Schüssel, die wir Moderne nennen, das Pendant der gesellschaftlichen Sehnsucht nach einer Art Manufaktum-Moderne, in der das Handgemachte mehr wiegt als das industriell Hergestellte, in der Spuren, Geschichte, das Alte wichtiger sind als das Neue, Erfundene, Künstliche.

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Was natürlich, wie so vieles im antimodernen Diskurs, hilflos falsch ist, denn ein Zurück gibt es nicht mehr: Die Weinbergpfirsiche, die wir im Supermarkt kaufen können, sind moderne weiterentwickelte Züchtungen, wie Gabriele Bastian erklärt, Chefredakteurin des in diesen Fragen unbestechlichen Fruchthandel Magazins. Aber es ist eben wie so oft in diesen Tagen, da sucht man etwas in Dingen oder auch Menschen und geheimnist etwas in sie hinein, was von wenig Realität begleitet wird. Aus einem Wirtschaftsminister, der mehr Haare hat als seine älteren Kollegen, was er durch die Extratube Gel noch betont, und der seinen Job gut macht oder weniger gut, wird dann auf einmal ein Freiherr, der sogar ein »freier Herr« ist. Ja, und der Kaiser kommt auch rasch wieder. In diesem Sinn ist der Weinbergpfirsich so etwas wie »von und zu Pfirsich«.

Foto: mauritius