Die Gewissensfrage

"Ich arbeite in einem Zeitschriftenladen, in dem die rechtsextreme National-Zeitung verkauft wird. Muss ich meinem Arbeitgeber gegenüber ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich zu einem Kunden, der die National-Zeitung kauft, eher unfreundlich bin und ihm mit abweisender Körperhaltung und eisigem Blick gegenübertrete?" Jochen P., Frankfurt


Laut dem offiziellen, vom Bundesinnenministerium herausgegebenen Verfassungsschutzbericht kann die National-Zeitung auch als Presseorgan der rechtsextremistischen DVU angesehen werden. In ihr, so der Bericht, finden sich Agitation gegen Ausländer mit dem Ziel der Aushöhlung des Prinzips der Menschenwürde, antisemitische Propaganda sowie tendenziöse und verharmlosende Beiträge zur nationalsozialistischen Vergangenheit. Lauter Dinge, bei denen mir das kalte Grausen kommt. Insofern könnte man überlegen, ob hier nicht statt der Frage nach dem eisigen Blick andere angebracht wären: Sollten Sie sich weigern, diese Publikation überhaupt zu verkaufen? Ein ernstes Wort mit dem Arbeitgeber reden? Oder notfalls in einer der ausliegenden Zeitungen den Stellenmarkt durchforsten?

Andererseits ist die National-Zeitung trotz ihrer Einschätzung durch den Verfassungsschutz nicht verboten. Deshalb kann sie sich auf die Pressefreiheit berufen. Dies führt auch dazu, dass sie die Vertriebskanäle der Presseerzeugnisse nutzen kann und somit an Kiosken erhältlich ist. Persönlich würde ich lieber in einer Gesellschaft ohne derartige rechte Postillen und dem von ihnen verbreiteten Gedankengut leben. Ich würde das aber nicht wollen, wenn es nur auf Kosten der Pressefreiheit möglich ist. Ganz im Sinne von Rosa Luxemburgs »Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden«. Sie beschneiden aber keine Freiheit, wenn Sie die National-Zeitung mit deutlichem Zeichen der Ablehnung verkaufen. Und es handelt sich bei den Inhalten dieser Zeitung auch nicht um eine andere politische Meinung, die Sie zwar nicht teilen, aber doch respektieren sollten. Es geht um Gedankengut, das unser Zusammenleben vergiftet. Deshalb: Wenn Ihr Gewissen Ihnen hier jegliche Freundlichkeit verbietet, ist das auf jeden Fall mehr als gerechtfertigt. Normal 0 21
Quellen:
1) www.bmi.bund.de oder www.verfassungschutz.de
(Die zitierten Einschätzungen zur National-Zeitung finden sich auf den Seiten 100-102)
2) Rosa Luxemburg, Die russische Revolution. Eine kritische Würdigung, Berlin 1920 S. 109; Gesammelte Werke Band 4, S. 359, Anmerkung 3 Dietz Verlag Berlin (Ost), 1983.

3) Zum Recht eines Arbeitnehmers, seine Tätigkeit aus Gewissensgründen zu verweigern, siehe Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 29.1.1960 (1 AZR 200/58, NJW 1960, 1734) und vom 20.12.1984 (2 AZR 436/83, NJW 1986, 85). Zu den Grenzen: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.6.1999 (1 D 104/97, NJW 2000, 88)