Das Beste aus aller Welt

Kennen Sie den Mann, der 3000 Gießkannen vererbt hat? Und die alte Frau, die jeden Tag unter einem Zug durchkriechen muss? Axel Hacke über Pechvögel - und sein jüngstes Missgeschick.

Das Wunderbare am Internet: dass man dort allerkleinste Kleinigkeiten aus aller Welt erfährt, Geschehnisse, über die zu berichten kaum einer deutschen Zeitung und selten einem deutschen Sender der Mühe wert wäre. Dass zum Beispiel Hillary Taylor, 63 Jahre alt, wohnhaft nahe Basingstoke im Süden Englands, von ihrem Onkel Ken 3000 Gießkannen geerbt hat.

Jener Ken, pensionierter Lastwagenfahrer, war ein manischer Gießkannensammler, jedes freie Plätzchen bei ihm daheim war von Gießkannen bedeckt, und in seinem Testament verfügte er, man solle ihn in einer Gießkanne beerdigen. So geschah es. Und Nichte Hillary findet sich als Besitzerin Tausender Gießkannen wieder, die sie nie haben wollte, die sie aber auch nicht wegwerfen kann, nicht ohne schlechtestes Gewissen jedenfalls. Oder die Geschichte von Aretha Brown aus Callahan in Florida. Seit dreißig Jahren wohnt sie in einem abgelegenen Häuschen, das von der Straße durch Bahngleise getrennt ist. Was nicht schlimm wäre und in dreißig Jahren nie schlimm war. Bloß hat nun die Bahngesellschaft auf einem Gleis eine Kette von Güterwaggons abgestellt und ist nicht bereit, sie wieder zu entfernen, weshalb Aretha Brown, 66 Jahre alt und nicht mehr sehr gut zu Fuß, seit Monaten bei jedem Gang in den Ort und zurück unter den Waggons hindurchkriechen muss.

Pech, nicht wahr?

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Nicht das ganz große Pech, aber doch Pech – wobei mir wieder das Pechtropfen-Experiment an der Universität Brisbane/Australien einfällt, von dem vor Wochen hier die Rede war. Seit 1927 rinnt hier zähestes Pech langsam durch einen Trichter, erst acht Mal fiel ein Tropfen durch die Trichteröffnung in einen Becher, ein Kult der Langsamkeit und Entschleunigung, den ich beispiellos fand, bis mich Leser über ein Orgelkonzert in der Halberstadter Burchardi-Kirche informierten: Dort wird ein Stück von John Cage aufgeführt, as slow as possible, so langsam wie möglich, nach Maßgabe des Komponisten. Was bedeutet, dass nur alle paar Jahre ein Tonwechsel stattfindet, heuer zum Beispiel am 5. Juli, stets unter großer Beachtung durch die Öffentlichkeit.

Dieses Konzert begann 2001 und wird im Jahr 2639 beendet sein, das heißt, wer sich jetzt eine Eintrittskarte besorgt, wird sie oft und oft vererben können.In der erwähnten Kolumne bat ich Leser, mitzuteilen, wie ich an Pech kommen könne, worauf Herr S. mitteilte, er habe in letzter Zeit viel Pech gehabt und sei in der Lage, davon abzugeben; ich könne wählen, ob aus den Bereichen Gesundheit, Beziehung oder Finanzen.

Mich erinnerte das an Gerhard Polts Sketch über den Verantwortungsnehmer: Da gibt es den Herrn Sittich von der Firma Schilda Response GmbH und Co KG, der gegen Entgelt die Verantwortung für alles und jedes übernimmt, vom Waldsterben bis zum Schnellen Brüter. Wäre es nicht eine hübsche Geschäftsidee, eine Firma namens, sagen wir, Das Pechste aus aller Welt zu gründen, die Menschen gegen Unkostenbeitrag persönliches Pech abnimmt, sei es ein Gießkannen-Erbe oder eine Waggonkette vorm Haus, sei es auch Liebesunglück oder eine kleine Finanzkrise?

(Nein, Herr Westerwelle, bitte nicht mit der Idee kommen, die Arbeitslosen könnten den Werktätigen ihr Pech abnehmen, sozusagen als Ein-Euro-Job! Ich mache das!)

Leser S. aus Unterschleißheim entdeckte in der Pech-Kolumne damals einen Fehler: Ich schrieb, meine Bewunderung gelte dem Pechtropfen-Experiment in Brisbane auch wegen seiner »Ignoranz gegenüber der Kurzfristigkeit modernen Lebens«. Natürlich, so S., müsse es nicht »Ignoranz«, sondern »Indifferenz« heißen. Da hat er recht, und ich ziehe Konsequenzen. Der Leiter der Fremdwort-Abteilung bei Das Beste aus aller Welt hat bereits seinen Hut nehmen müssen, doch damit nicht genug.

Wie die Firma Toyota Millionen Autos wegen klemmender Gaspedale zurückgerufen hat, so rufe auch ich die Kolumne wieder zu mir. Es war gewiss kein schlimmer Fehler, aber bevor etwas passiert… Pech für mich: Bringen Sie mir die Seite mit dem Text, und ich werde persönlich und von Hand das Wort »Ignoranz« in »Indifferenz« umändern, auf Wunsch auch in »Gleichgültigkeit«.

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Wer die Pech-Kolumne korrigieren lassen möchte, kann zu einer der nächsten Lesungen von Axel Hacke kommen, zum Beispiel in Berlin, Leipzig, Stuttgart, Koblenz, Bonn und Düsseldorf. Die genauen Termine stehen unter www.axelhacke.de

Illustration: Dirk Schmidt