Sind das meine Augen?

Die größte Verletzung, die ein Mann erleiden kann: Er ist stolzer Vater zweier Kinder - und erfährt eines Tages, dass sie nicht von ihm sind. Protokoll eines Traumas.

Guck mal, sagte sie und hielt mir einen Test unter die Nase, wir kriegen ein Baby. Kurz habe ich gestutzt und mich gefragt, ob das zeitlich überhaupt hinkommen konnte, aber dann siegte doch die reine, große Freude. Bei Bastians* Geburt war ich dabei, ich habe die Nabelschnur durchschnitten, mein Sohn war das Allergrößte für mich. Ich dachte: Vielleicht wird jetzt alles wieder gut.

Unsere Ehe war nicht wirklich glücklich, meine Frau oft kalt wie ein Eisberg; wenn sie überhaupt Gefühle hatte, dann verbarg sie sie vor mir. Leider änderte sich zwischen uns durch Bastis Geburt gar nichts, sie blieb schweigsam, distanziert und kalt. Aber mit dem Kleinen war sie toll, eine richtig gute Mutter. Zwei Jahre später legte sie mir wieder einen positiven Schwangerschaftstest auf den Frühstückstisch. Wie sollte denn das gehen? Seit Monaten hatten wir keinen Sex mehr. Sie aber fragte, ob ich die Nacht nach der Party vergessen hätte, als wir beide betrunken waren? Dann fing sie an zu weinen und sagte: Du tust ja gerade so, als ob dieses Kind nicht von dir wäre. Was für eine Party, welche Nacht meinte sie? Trotzdem misstraute ich meinen Gefühlen, weil ich mir sicher war: So eine Geschichte denkt sie sich nicht einfach aus.

Auch über Marvin* habe ich mich sehr gefreut. Doch nach seiner Geburt wollten die Zweifel überhaupt nicht mehr aufhören. Weder er noch Basti sahen mir im Geringsten ähnlich – und meiner Frau auch nicht so richtig. Ich bin blond und kräftig, die Kinder sind schmal und dunkelhaarig. Monatelang habe ich gegrübelt, dann habe ich meine Frau auf meine Zweifel angesprochen. Sie ist daraufhin aufgestanden und wortlos aus dem Zimmer gegangen. Ihr Verhalten hat mich leider nicht überrascht.

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So ganz unschuldig an meinem Unglück bin ich ja auch nicht gewesen: Ich habe viel zu oft weggeschaut und ihr noch das unmöglichste Verhalten durchgehen lassen. Schon am Anfang unserer Beziehung ist sie immer wieder auch mit anderen ausgegangen, sie hat es nicht einmal verheimlicht. Und wenn ich wissen wollte, ob da was läuft mit anderen Männern, sagte sie nur: Was du nicht weißt, macht dich nicht heiß. Und ich bin einfach nicht der Typ, der hinwirft, wenn es schwierig wird.

* Namen von der Redaktion geändert


Doch irgendwann habe mir die alten Kalender in der Küche geschnappt und nachgesehen, was überhaupt los war zu der Zeit, als meine Frau schwanger wurde: Bei Bastian war sie auf Betriebsausflug. Bei Marvin auch. Trotzdem ergab das noch kein Bild für mich. Doch dann machte sich plötzlich der Chef meiner Frau aus dem Staub. Heute vermute ich, meine Frau hatte ihm erzählt, dass ich einen Verdacht habe, und er hatte Angst, dass alles auffliegt.

Er ließ seine Frau und die Kinder zurück – sogar seine eigene Firma. Und da endlich dämmerte es mir. Der Chef und ich, wir kannten uns gut. Manchmal ist er vorbeigekommen bei uns. Es gibt ein Foto, da sitzt Basti auf seinem Schoß, mit den Fußballschuhen, die er ihm geschenkt hatte. Wegen der Kinder habe ich es noch ausgehalten mit meiner Frau. Ich habe mir immer gesagt: Erst müssen die Kinder größere Hände bekommen. Hände, mit denen sie sich wehren können. Damals waren sie ja erst sieben und neun.

Aber dann habe ich mich in eine andere Frau verliebt, die war herzlich und großzügig. Und ich dachte: Wenn ich meine Frau jetzt nicht verlasse, leiden die Kinder nur noch mehr. So habe ich an einem Dienstagabend um neun meine Sachen in blaue Müllsäcke gepackt und bin ausgezogen. Meine Frau stellte mir ein Ultimatum: Eine Woche gab sie mir Zeit, die Entscheidung zu überdenken. Ich habe das Ultimatum ignoriert und stattdessen im Internet einen Vaterschaftstest bestellt.

Als ich meine Jungs das nächste Mal besucht habe, habe ich ihnen mit Wattestäbchen Speichelproben abgenommen und ihnen gesagt: Wisst ihr, dass man auf diese Weise herausfinden kann, wie ordentlich Kinder sich die Zähne geputzt haben? Sechs Wochen später bekam ich das Ergebnis: Eine Vaterschaft ist auszuschließen, stand da, in beiden Fällen.

»Stellen Sie sich vor, dass Sie Jahre für Ihre Familie ackern, Überstunden schieben, um das Eigenheim zu finanzieren, jeden Abend nach der Arbeit nach Hause gehen, um die Kinder ins Bett zu bringen und ihnen noch eine Geschichte vorzulesen. Und dann stellt sich heraus, dass Sie belogen wurden«, sagt Peter Thiel, Familientherapeut in Berlin. »Von einem Augenblick auf den anderen ist alles weg, wofür diese Männer gearbeitet und woran sie geglaubt haben. Sie haben nicht nur in Unkenntnis gelebt, sondern jahrelang jemandem vertraut, der ein Doppelleben geführt hat. Sie wurden systematisch nicht ernst genommen. Und man hat ihnen keine Wahl gelassen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen – vielleicht hätten sie ja auch beschließen können, noch einmal von vorn anzufangen mit einer anderen Frau.


Wenn die Lüge auffliegt, geht alles verloren: die Beziehung, das Vertrauen, das Weltbild. Das ist eine Kränkung, so schmerzvoll und heftig, dass man es sich kaum vorstellen kann.« Als ich die Wahrheit erfuhr, war meine Frau mit den Kindern noch im Urlaub, ich musste warten, bis ich sie anrufen konnte: Ich habe einen Test gemacht, habe ich gesagt, ich bin nicht der Vater. Ach, einen Test, sagte sie nur, das war alles. Dann legte sie auf.

Die nächsten Wochen konnte ich weder schlafen noch essen, 25 Kilo habe ich ab-
genommen. Ich nahm Beruhigungs- und Schlafmittel, bis ich völlig zugedröhnt eine Verkehrsinsel überfahren habe. Zu allem kam auch noch der finanzielle Druck: So lange, bis ein Gericht feststellt, dass man nicht der biologische Vater ist, muss man Unterhalt zahlen. Die Vaterschafts-klage war mir aber vor allem aus einem anderen Grund wichtig: weil ich den Gedanken unerträglich fand, dass dieser Chef aus Feigheit alles stehen und liegen gelassen hat, die Firma verkaufte und 500 Kilometer weiter weggezogen ist.

Der vom Gericht angeordnete Test bestätigte schließlich, dass er der Vater beider Kinder ist. Ich verlor alle Rechte an meinen Söhnen. Aber meine Frau hat mir erlaubt, die Kinder alle 14 Tage zu sehen. Das hätte sie nicht tun müssen.
Seit zwei Jahren haben es Männer in meiner Situation besser: Seit April 2008 können sie sich überlegen, ob sie rechtlicher und sozialer Vater der Kinder bleiben wollen. Wie viele sogenannte Kuckuckskinder es in Deutschland gibt, weiß niemand genau. Oft wird behauptet, jedes fünfte bis zehnte Neugeborene sei von einem anderen Mann gezeugt worden als von jenem, der sich für den Vater hält.

Professor Harald Euler, der an der Universität Kassel über die Psychologie der Vaterschaftsungewissheit forscht, hält diese Zahlen für übertrieben: »Die Häufigkeit liegt wohl eher bei unter drei Prozent.« Bei 682 514 Neugeborenen im Jahr 2008 wären das trotzdem noch etwa 20 000 Kuckuckskinder. Aus evolutionspsychologischer Sicht ist jeder einzelne Fall so etwas wie eine genetische Kränkung: »Ein Kuckuckskind schadet dem betrogenen Mann doppelt – er investiert nicht nur in die Nachkommen eines anderen, er wird auch um seine eigene Chance gebracht, sich fortzupflanzen«, sagt Euler.

Möglicherweise verfolgen Frauen, die sich nicht von ihrem eigenen Mann schwängern lassen, unbewusst eine durchaus vernünftige Fortpflanzungsstrategie: »Ähnlich wie bei finanziellen Investitionen streuen sie ihre Anlagen lieber, statt alles auf eine Karte zu setzen. Eine Studie ergab, dass sogenannte Vaterschaftsdiskrepanzen bei später geborenen Kindern etwas häufiger
vorkommen als bei Erstgeborenen. Das stützt die Vermutung, dass Frauen nicht unbedingt alle ihre Kinder nur von ein und demselben Mann bekommen wollen.«

Nach meiner Scheidung habe ich wieder geheiratet. Wir wohnen nur zehn Kilometer von meiner Exfrau und den Kindern entfernt. Gemeinsame Kinder werden wir nicht mehr bekommen, mit Mitte vierzig ist man aus dem Alter raus. Manchmal denke ich: Jetzt gibt es kein Kind, das meine Gene in sich trägt, kein Gesicht, in dem ich Spuren von mir finden könnte. An meiner Liebe zu den beiden Kindern hat das aber nichts geändert. Ich war bei ihrer Geburt dabei, so ein Band kann nichts zerschneiden.


Gerade war ich mit den Jungs wieder in Dänemark, vielleicht zum letzten Mal. Sie sind jetzt 14 und 16. Sie haben sich nie beschwert, aber als Vater merkt man es, wenn den Kindern andere Dinge wichtiger werden als Familienurlaub an der Nordsee. Angst macht mir nur, dass die beiden noch immer nicht wissen, wer ihr richtiger Vater ist. Sobald ich länger darüber nachdenke, überfällt mich Panik. Dann bilde ich mir ein, dass sie die Wahrheit schon längst kennen, und beruhige mich erst wieder, wenn sie wie aus der Pistole geschossen »Papa« zu mir sagen.

Ich weiß, das Schweigen hat nicht viel Gutes gebracht. Aber was ist, wenn ihr Leben unter der Wahrheit so zusammenkracht wie damals meines? Neulich habe ich meine Ex durch ihre Schwester fragen lassen, wann wir es den beiden nun sagen wollen. Jetzt noch nicht, wurde mir ausgerichtet. Wie lange ich noch schweigen will, weiß ich nicht.

Mit meiner Ex habe ich bis heute nur über Geld geredet, niemals über die Geschichte mit ihrem Chef. Sie sträubt sich vollkommen. Immer noch habe ich keine Ahnung, ob die Sache zwischen ihnen über Jahre ging oder nur ein paar Wochen, ob es Liebe war oder etwas rein Sexuelles. Ich glaube, die Ehefrau des Chefs weiß noch weniger als ich. Ich hatte mir auch schon überlegt, zu ihr zu fahren und sie zu fragen, was sie von der ganzen Geschichte eigentlich weiß. Nur, was soll es bringen?

Die Frau vom Chef ist wirklich eine Nette, früher haben wir uns zu viert getroffen, sie hatten ja auch zwei Kinder, und man verstand sich. Mit meiner neuen Frau albere ich gern herum. Manchmal findet sie, ich übertreibe ein bisschen, dann sage ich immer, das Leben ist doch schon ernst genug. Ich versuche jetzt, fröhlich zu sein.

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Okka Rohd erwartete einen Mann zu interviewen, der verbittert war, weil die Kinder, die er für seine hielt, nicht von ihm waren. Stattdessen traf sie einen lebensfrohen Menschen, der glücklich in seiner neuen Beziehung ist. Trotz allen Schmerzes, den ihm seine Exfrau zugefügt hat, will er nicht schlecht über sie reden: "Ich bin auch nicht frei von Schuld, ich habe zu lange weggeschaut." Gut möglich, dass dies der Schlüssel ist, warum es überhaupt so weit kommen konnte.