Schiedsrichter

Wir delegieren Anstandsvermittlung gerne an andere, glaubt Georg Diez. Der Schiedsrichter musste lange für die Rechtsprechung im Sport herhalten, bis rauskam: Richter sind auch nur Menschen.

Im an sich eher gesetzesabstinenten Bereich des Sports sind die Schiedsrichter nicht nur Ankläger, Ermittler und Urteilender in einer Person und vermischen damit zumindest zwei der drei Gewalten, die eigentlich in einer Demokratie geteilt werden müssten, die Exekutive und die Judikative. Es stellt sich mehr noch die Frage, warum hier überhaupt dieses Wort vom Richter gewählt wird, das doch zwischen biblischem Zorn und Bürgerlichem Gesetzbuch etwas sehr anderes meint.

Denn den Urteilen des Schiedsrichters fehlt jegliche gesellschaftliche Dimension, trotzdem wird ihm eine Art moralischer Autorität unterstellt. Vielleicht ist dieses Wort auch ein Panzer, eine Art Schutz, der hilft, mit den Demütigungen fertig zu werden, wenn man in der Kreisklasse von angetrunkenen Rentnern bespuckt wird. Der Fall Amerell mit seinen sexuellen Konnotationen hat den Nimbus des Schiedsrichters wieder einmal infrage gestellt. Schon der Bestechungsskandal um den jungen, leicht geleckt wirkenden Robert Hoyzer hat den Blick auf die epischen Dimensionen dieses Berufs gelenkt, zwischen Kränkung und Anmaßung. So wird wieder einmal deutlich, dass Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmung und Wirkung der Schiedsrichter auf eine Art und Weise aus-einanderklaffen, dass selbst so Strahlefiguren wie »Doktor« Markus Merk so verkrampft cäsarisch wirkten.

Merk war der Typus des Overachievers und Marathon-Manns, er symbolisierte Unparteilichkeit, die aus Übererfüllung erwuchs. Hoyzer und wohlmöglich auch Manfred Amerell dagegen sind die andere Seite des Schiedsrichters, sie stehen für Versuchung, Verführung, Versagen, Verderben, was immer dann besonders auffällt, wenn ein System sich für sehr moralisch hält, wie die katholische Kirche oder der DFB. Und so muss man auch trennen zwischen individueller Schuld und gesellschaftlicher Relevanz. Es geht eben auch um das Selbstverständnis von Institutionen, die sich unangreifbar geben, aber vor allem intransparent sind.

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Hier wird die Verbindung zu den anderen Skandalen relevant, die uns fast täglich in Alarmstimmung versetzen, wie gerade das Thema »sexueller Missbrauch«. Priester um Priester, Schule nach Schule. Vertrauen, Richtung,
Führung. Der Schiedsrichter war eine Figur im gesellschaftlichen Setzkasten, an die man die Anstandsvermutung delegiert hatte. Wie jede Idealisierung war auch diese falsch. Der Richter als Mensch? Am Ende gar keine so schlechte Nachricht.