Wir lachten, Bernd

Es war eine kleine Revolution: Eine Woche lang durften Leser die Texte dieses Heftes im Wiki komplett umschreiben. Doch auf Revolution hatten nur wenige Lust. Fazit eines ungewöhnlichen Experiments.

    Es tat ganz schön weh. Wochenlang haben wir, der 32. Lehrgang der Henri-Nannen-Schule, an den Texten fürs Internet-Spezial des SZ-Magazins gearbeitet, stundenlang an Formulierungen gefeilt und schließlich mit dem Platz und den Textchefs gerungen, und nun mussten wir unsere Texte den Laien zum Fraß vorwerfen – auf unseren eigenen Wunsch hin. Ein Internet-Heft, so fanden wir, kann nicht nur gedruckt stattfinden. Und ein Online-Auftritt zu so einem Heft darf erst recht nicht allein aus den Magazin-Texten bestehen, die einfach auf irgendeine Webseite gestellt werden. Wir wollten etwas Neues. Etwas, das dem Charakter des Netzes gerecht wird. Journalismus 2.0. Deshalb haben wir alle unsere Texte nicht nur online gestellt, sondern zusätzlich dazu ein Wiki eingerichtet, auf dem jeder Leser so lange ergänzen, korrigieren oder löschen sollte, bis ihm unser Text gefiel. Am 28.4. um 17 Uhr ging das Wiki online. Was würde wohl passieren?

    Zunächst passierte nicht viel. In den ersten Stunden wurde gerade mal ein Satzzeichen oder ein Wort verändert, von Revolution keine Spur. Doch warte, bis es dunkel wird! Kurz vor Mitternacht des ersten Abends fanden wir auf dem Wiki, was wir von Anfang an gefürchtet hatten: Statt unserer Texte waren dort Fotos von Adolf Hitler zu sehen, darunter eine Karikatur von einem Menschen mit Turban, in den eine Bombe eingewickelt war. Diese Bilder haben wir sofort gelöscht.

    Am nächsten Morgen beauftragte uns die Redaktion des SZ-Magazins, besser auf das Wiki aufzupassen. Auch die komplette Löschung des Einstiegstextes fand sie offensichtlich befremdlich. Immer wieder änderte irgendjemand die Texte zurück in ihre Ursprungsform. Zum Beispiel wurde der flächendeckende Satz "Ich lachte, Bernd", der plötzlich an der Stelle unserer Texte prangte, so hastig entfernt wie ein unerwünschtes Graffiti. Dabei wissen nur wenige, was es damit auf sich hat: Es ist der Code einer Community, die sich auf einem bestimmten Image-Board herumtreibt. Dort heißt jeder Nutzer Bernd, und genau diesen Spruch hatten wir bereits als Reaktion auf unser Fischmarkt-Video erhalten. Da diese Seite in einem unserer Texte erwähnt wird, fanden wir es sogar ganz nett, dass die User uns einen Gegenbesuch abstatteten. Wir lachten, Bernd!

    Meistgelesen diese Woche:

    Erst in den folgenden Tagen aber tat sich etwas Nennenswertes auf unserer Seite: Aus der Anleitung zum Bombenbau wurde durch Änderung weniger Worte ein Kuchenrezept, und eines unserer Interviews ersetzte ein Leser komplett durch ein anderes. Zum Begriff "Hoffen", unter dem wir unterschiedliche Prophezeiungen zum Netz gesammelt hatten, fielen unseren Lesern auch noch ein paar Beispiele ein. Und der Text über unser Fischmarkt-Video sieht mittlerweile auch ganz anders aus als vorher; wahrer wurde er durch die vielen falschen Fakten jedoch nicht.

    Allerdings haben die Leser auch einige echte Fehler entdeckt: Der dubiose "Novovirus" in unserem Text "Lüge" wurde in den tatsächlich existierenden "Norovirus" geändert, und auch bei der Umrechnung von indischen Rupien in Euro war uns ein Fehler unterlaufen. Gut, dass jemand mitlas.

    Bei der Fehlerkorrektur hat sich die Stärke des Wiki-Prinzips gezeigt. Aber wie sieht sonst das Fazit des Experiments aus? Die Öffnung der Seite hat nicht dazu geführt, dass die einzelnen Texte, von der "Weisheit der Vielen" veredelt, eine neue, höhere Qualität bekommen hätten; dazu hätte die Leserzahl vermutlich höher sein müssen. Andererseits wurde die Seite von etlichen Usern als Spielwiese begriffen und auf kreative, humorvolle Weise genutzt. Einige der Witze, die den anonymen Zuarbeitern einfielen, waren sogar besser als unsere.