"Ich möchte mit Freunden nicht ständig über meine Art zu leben streiten"

Nürgül Güner ist strenggläubige Muslimin und Stefanie Kleinschuster hat seit einem Jahr eine Tochter. Die jungen Frauen leben in zwei verschiedenen Welten - ein Gespräch

SZ-Magazin: Stefanie, du bist mit 16 Mutter geworden, Nurgül, du hast mit 16 beschlossen, Kopftuch zu tragen. Wie hat sich euer Leben verändert?
Stefanie: Seit der Geburt meiner Tochter Leonie bin ich keine Jugendliche mehr, ich fühle mich definitiv erwachsen.
Nurgül: Vor drei Jahren habe ich beschlossen, ein Kopftuch zu tragen, seither fühle ich mich wohler. Ich hab es später aufgesetzt als üblich, nachdem ich mich sehr viel mit dem Islam beschäftigt habe. Im Koran steht in einigen Versen, dass sich die Frau bedecken sollte. Es gibt aber keinen Zwang, jeder sollte es für sich selbst entscheiden. Je mehr ich gelesen und gelernt habe, desto überzeugter wurde ich, dass ich ein Kopftuch tragen will.

Wie haben eure Freunde reagiert?
Nurgül: Ich habe es meinen Freunden vorher gesagt, einige haben etwas komisch gekuckt, sie mussten sich dran gewöhnen, ich bin die Einzige mit Kopftuch an meiner Schule. Eine Woche später haben sie mir Komplimente gemacht, wie gut es mir steht.
Stefanie: Bei mir gab es offene Kritik, als ich von meiner Schwangerschaft erzählt habe. Ich war ja erst 16. Eine Freundin fragte, ob es unbedingt sein muss, dass ich das Baby bekomme. Aber sie hat meine Entscheidung dann doch akzeptiert. Sonst wär sie wohl nicht mehr meine Freundin.

Was ist euch besonders wichtig bei einer Freundschaft?
Stefanie: Freunde müssen zu einem halten. Egal, was passiert. Ich war früher Punk und bin in Fußgängerzonen rumgehangen. Wenn dann mal Polizei gekommen ist, wollte man schon, dass alle zusammenhalten, dass einen niemand verrät. Aber das ist eben nicht immer so, sehr traurig.
Nurgül: Ja, Freunde sollten an allen Tagen da sein, an den guten und an den schlechten. Und mir ist wichtig, dass sie respektieren, wie ich lebe. Jetzt zum Beispiel esse ich erst bei Dunkelheit, weil Ramadan ist, und das will ich nicht ständig rechtfertigen müssen.
Stefanie: Wenn ich jemanden mag, ist es doch total egal, ob er anders lebt als ich. Ich hab auch eine muslimische Freundin. Sie ist Türkin und sehr gläubig. Ich hör mir gern Geschichten aus ihrem Leben an.
Nurgül: Das sehe ich genauso. Ich hab auch christliche und nicht gläubige Freundinnen. Die meisten kenne ich aus der Schule, manche auch aus dem Interkulturellen Verein, in dem ich mich engagiere.

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Hindert dich dein Glaube manchmal an der ein oder anderen Freundschaft?
Nurgül: Nein, ich bin frei in meinen Entscheidungen. Auch das Kopftuch trage ich freiwillig. Meine ältere Schwester trägt zum Beispiel keins.

Habt ihr ein gutes Verhältnis?
Nurgül: Auf jeden Fall, mit meiner Schwester kann ich über alles reden! Sie versteht mich immer.
Stefanie: Wie schön. Meine fünf Geschwister sind leider alle jünger, das kleinste ist vier Monate alt. Vielleicht wird daraus ja später mal eine Freundschaft.

Was ist wichtiger, Familie oder Freunde?
Nurgül: Familie steht für mich an erster Stelle, dann kommen Freunde. Meine Eltern kennen viele meiner Freunde und sie mögen und akzeptieren sie auch.
Stefanie: Meine Freunde von früher kannte meine Mutter nicht. Als ich erfahren habe, dass ich schwanger bin, hat sie aber mit mir zusammen das Mutter-Kind-Haus ausgesucht, in dem ich jetzt lebe. Nun weiß sie also, mit wem und wo ich meine Zeit verbringe.

Und wo lebt der Vater deiner Tochter?
Stefanie: Ich hab zwar mal fünf Monate mit ihm zusammengewohnt, aber jetzt hab ich keinen Kontakt mehr zu ihm.

Was hat deine Tochter in deinem Leben verändert, außer, dass du nun Mama bist?
Stefanie: Leonie war meine große Chance, mich von ein paar Leuten zu verabschieden. Von angeblichen Freunden, die mir gar nicht gutgetan haben.

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Nurgül Güner,
Schülerin, 19 Jahre, ist Muslimin und hat vor drei Jahren beschlossen, ein Kopftuch zu tragen. Sie besucht das Heinrich-Heine-Gymnasium in München und macht nächstes Jahr Abitur. Danach will sie sich entweder zur MTA ausbilden lassen oder Pharmazie studieren. Nurgül engagiert sich im Interkulturellen Dialogzentrum Idizem e. V. und organisiert Treffen zwischen Muslimen, Christen und Juden.

Stefanie Kleinschuster,
Mutter, 17 Jahre, hat im Alter von 16 Jahren ihre Tochter Leonie zur Welt gebracht. Sie lebt seitdem im Mutter-Kind-Haus »Die Barke« im Allgäu und beginnt im Herbst eine Ausbildung zur Kinderpflegerin. Zum Vater ihrer Tochter hat sie keinen Kontakt mehr.