Das Beste aus aller Welt

Die Bären im Yellowstone-Nationalpark sind faul und dick geworden. Sollen wir den alten Olli Kahn auswildern, damit es da draußen wieder so etwas gibt wie eine Bedrohung?!

Vor einer Weile haben Bärenzähler die Grizzlys im Yellow-stone-Nationalpark und Umgebung gezählt. Sie kamen auf 603. Das ist viel, dreimal mehr als 1975. Damals wurde die Grizzly-Jagd verboten, aber mit welchem Ergebnis?

Die Bären haben sich vermehrt, wie man sieht, erstens – und zweitens? Sie sind faul und dick geworden, sie ziehen sich im Sommer nicht mehr in die Berge zurück wie früher, »wir haben hier Bären, die den ganzen Sommer in den Feldern herum- liegen und Hafer fressen und fetter und fetter werden«, sagt Jamie Jonkel, der als Beruf »Grizzly Manager« angibt. Bitte, gibt es denn nichts auf der Welt, was Bestand hat?

Ich bin mit Karl May aufgewachsen, da gibt es Schilderungen von Grizzly-Überfällen, die dem härtestgesottenen Ego-Shooter die Daumen zittern lassen, detailgenaue Geschichten von grauen Riesenbären, die kleinen blonden Mädchen die Schädel zerbeißen, die Gehirne herausschlürfen und ihre Glieder einzeln fressen, außerdem Hunde in der Luft zerreißen und sich auch von hundert Messerstichen nicht aufhalten lassen – man las das mit vierzehn, schloss dann die Zimmertüre von innen ab und stellte einen Stuhl mit seiner Lehne unter die Klinke, nur für den Fall, dass so ein Monster das elterliche Eigenheim des Nachts überfiele, weil es Appetit auf einen Happen Vierzehnjährigenfleisch hätte.

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Und nun liegen adipöse Warmduschergrizzlys im Haferfeld oder weiden friedlich ein Feld mit Luzernen ab und weinen abends in den Armen ihres Managers, weil vielleicht beim Mittagessen ein Elch über sie gelacht hat? Gibt es denn gar keine wilden Tiere mehr? Fängt bald auch der weiße Hai an, Algen zu fressen und sich am Strand in Florida Streicheleinheiten zu erbetteln? Sollen wir den alten Olli Kahn auswildern, damit es da draußen wieder so etwas gibt wie eine BEDROHUNG?!

Jetzt aber mal was ganz anderes: In der Wüste Namib im Westen Afrikas haben Geologen, wie jetzt zu lesen war, den ältesten Sand der Welt entdeckt. Es soll in dieser Wüste Sandkörner geben, die mindestens eine Million Jahre alt sind, jedes Sandkorn für sich wohlgemerkt, nicht alle zusammen. Das erscheint mir insofern bemerkenswert, als ich mir noch nie in meinem Leben Gedanken über das Alter von Sand gemacht habe. Man sieht einen Baum und versucht zu schätzen, seit wie vielen Jahren er wohl an seinem Platz stehen mag. Man besucht eine Kirche und denkt an das Jahrhundert, in dem sie erbaut wurde. Man betrachtet sich im Spiegel und weiß, wie viele Jahre dieses Gesicht da auf dem Buckel hat, sozusagen.

Aber Sand? Alter Sand? Die Geologen sagen, man könne das Alter von Sand anhand des Auftretens bestimmter Isotope von Uran und Blei und der Nukliden aus Beryllium, Aluminium und Neon im Quarz berechnen. Aber werden wir nun, dies wissend, je wieder so im Sand liegen können wie zuvor? Können wir im kommenden Winter das Eis auf dem Bürgersteig noch arglos sanden wie einst? Wird nicht in unserem Kopf die Frage rumoren: Wie viele uralte Blei-Isotope, die schon unter den Füßen der Neandertaler knirschten, wirfst du hier achtlos in den Dreck?

Und dann wird der Tag kommen, an dem es auf den Werbetafeln im Baumarkt heißt: Lassen Sie Ihr Kind nicht mit irgendeinem Sand spielen, hier ist extraweicher Jungsand aus West-Wangerooge für seine kleinen Finger! Der Hausbesitzer wird, durch den Weinkeller führend, erzählen, der Mörtel dafür sei mit handgealterten Krümel-körnern aus der frühen Würm-Kaltzeit angerührt, abgeschmeckt mit speziellen Beryllium-Isotopen aus Madagaskarsand.

Sand, der jetzt noch so ganz und gar x-beliebig ist, wird von der Luxusbranche entdeckt werden. In teuersten Lofts wird man in Becken, gefüllt mit Jahrgangssand, liegen, und mit müde wedelnden Handbewegungen werden die Menschen den Hausgrizzly zurück in sein Zimmer scheuchen, der mit einem Buch im Maul ins Zimmer schlappt und wieder mal Karl May vorgelesen haben will.

Illustration: Dirk Schmidt