»Es kann gar nicht hoch genug sein«

Keiner entwirft derzeit aufregendere Damenschuhe als Christian Louboutin. Uns erklärt er, warum Länge eben doch alles ist.  

Herr Louboutin, Sie tragen heute bunte Sneakers. Kaufen Sie viele Schuhe?
Christian Louboutin: Oh ja. Ich habe eine große Sammlung.

Wie groß?
So 300, 400 Paar werden es schon sein. Ich werfe Schuhe nie weg, das ist das eine. Das andere: Ich liebe neue Schuhe. Sobald sie einen Kratzer haben, rutschen sie bei mir in eine andere Kategorie: Dann mag ich sie zwar noch, aber es ist nicht mehr dasselbe.

Braucht man als Mann denn mehr als, sagen wir, sechs Paar Schuhe?
Natürlich nicht. Praktisch betrachtet, braucht ein Mann zwei Paar Schuhe für die Abendgarderobe, zwei Paar Sneakers, ein Paar Loafer, zwei Paar Stiefel und was für den Strand. Alles, was darüber hinausgeht, hat was Obsessives.

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So wie bei Ihnen?
Möglicherweise. Ich kaufe ja auch Unmengen an Krawatten, obwohl ich Krawatten gar nicht gern trage. Das heißt, ich würde sie schon gern tragen, aber nach spätestens einer Stunde bekomme ich Beklemmungsgefühle. Ich liebe die Farben, die Stoffe, die Haptik, die Muster.

Eine Ihrer Kundinnen besitzt angeblich mehr als 6000 Paar Louboutins.
Sie meinen Danielle Steel, die amerikanische Bestsellerautorin? Das muss man relativieren, sie hat ja so viele Töchter. Sie kauft sie also nicht nur für sich. Aber es stimmt, sie ist meine beste Kundin. Sie kommt regelmäßig nach Paris geflogen und kauft den Laden leer.

Das würde ein Mann nie tun. Warum machen es Frauen?
Männer haben ein ganz anderes Kaufverhalten. Sie kaufen Schuhe, um sie möglichst lang zu tragen, sie putzen und polieren sie liebevoll, sie sehen sie als Investition in die Zukunft. Das alles interessiert Frauen nicht. Frauen definieren ihre Körpersprache über die Schuhe. Für Männer ist der Schuh nur ein Accessoire. Frauen, die mit ihren Schuhen experimentieren, spielen immer auch mit ihrer sexuellen Ausstrahlung.

Was macht den High Heel so sexy?

Der Schuh selbst ist ja ein erotischer Fetisch, doch man muss als Frau kein Fetischist sein, um High Heels zu mögen. Der High Heel formt den Körper, er verschiebt den Schwerpunkt nach vorne, was dazu führt, dass man den Po herausreckt, das Kreuz durchdrückt, was wiederum die Oberweite betont. Er macht aus der geraden Körperlinie eine S-Kurve. Gehen Sie einfach mal in ein Schuhgeschäft, und schauen Sie den Frauen beim Anprobieren zu. Sie treten vor den Spiegel und schauen als Erstes auf ihren Körper, auf den Po, die Brust. Erst dann auf den Schuh.

Das erklärt nicht, warum man gleich Hunderte davon besitzen muss.
Frauen sprechen eine eigene Sprache. Können Sie sich noch an den Film Das Piano von Jane Campion erinnern? Ein toller Film, nicht wahr? Und trotzdem konnte ich als Mann damals nicht verstehen, warum er Frauen so unglaublich bewegt hat.

Kann man als Mann jemals die Frauen verstehen?
Nur wenn man sich auf sie einlässt. Als ich noch selbst hinter der Kasse stand in meinem Pariser Geschäft, kamen immer wieder Frauen und sagten: Ich bin die Imelda Marcos von Berlin, ich bin die Imelda Marcos von der West Coast und so weiter. Das hat mich damals stutzig gemacht, denn Imelda Marcos, auch wenn sie Tausende Paar Schuhe besaß, war immer noch die Frau eines Diktators. Also habe ich mir Artikel aus Zeitungen und Magazinen über sie besorgt. In allen wurde das Bild einer verachtenswerten Frau gezeichnet. Aber sie waren alle von Männern geschrieben, verstehen Sie?

Nein.
Es war ein gefundenes Fressen für die Männer, die Obsession einer Frau zu diskreditieren. Da ist dieses arme Land, dieser Diktator, und dann diese Frau, die nichts Besseres zu tun hat, als Tausende von Schuhen anzuhäufen. Offenbar können Frauen das trennen. Sie sehen nur eine Frau, die besessen ist von Schuhen, sonst wären nicht so viele Imeldas zu mir in den Laden gekommen. Männer werden es nie ganz verstehen.

Umso interessanter ist es, dass fast alle wichtigen Schuhdesigner Männer sind: Roger Vivier, Manolo Blahnik, Pierre Hardy …
Da spielt etwas hinein, was ich generell in der Modewelt beobachte: Männer, die für Frauen entwerfen, denken abstrakter als Frauen, die Damenmode entwerfen. Sie sind nicht so befangen wie Frauen, die automatisch auch immer darauf achten: Wie trägt sich das, wie fühlt sich das an auf der Haut, ist es auch bequem? Männer verschwenden keinen Gedanken daran und können sich so ungestört in ihre ästhetische Traumwelt flüchten. Vielleicht ein Vorteil.

In der realen Welt waren High Heels immer auch ein Politikum.

Ich habe nie verstanden, warum High Heels und Weiblichkeit so negativ besetzt waren, warum Frauen als dumm und naiv galten, wenn sie ihre Weiblichkeit auslebten. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass dieses Thema langsam durch ist. Ich habe ja die Debatten all die Jahre miterlebt: Anfang der Neunzigerjahre galten Frauen in High Heels als Spielzeug, dann als kastriert, dann als mächtig. Jetzt hat sich das Gott sei Dank aufgelöst. Es ist alles ein wenig spielerischer und undogmatischer geworden. Man trägt High Heels heute nicht, um zu einer Gruppe zu gehören, sondern weil es Individualität bedeutet.

Manche Feministinnen finden High Heels immer noch sexistisch, weil sie die Frau zum Sexobjekt degradieren.
Das sind meist Feministinnen, die in den Siebzigerjahren hängen geblieben sind. Die heutige Generation sieht das anders und feiert Frauen wie Lady Gaga, deren Macht und Stärke vollkommen über ihre Weiblichkeit definiert ist. Lady Gaga hat kein Problem mit High Heels. Der High Heel ist ja nicht nur ein modisches Statement. Er kann sehr viel Selbstvertrauen geben.

Wie das? Man muss ja immer Angst haben zu stolpern.
Eine Frau, die klein ist, kann High Heels als Weg in ein neues Leben empfinden. Sie zieht einen Schuh mit 16-Zentimeter-Absätzen an und, zack!, ist sie auf einen Schlag so groß wie Sie und ich. Das verändert natürlich sofort die Kommunikation und die Sicht auf die Welt, weil man endlich auf Augenhöhe mit den anderen ist.

Wie hoch ist zu hoch?
Das ist relativ. Vor zehn Jahren waren zwölf Zentimeter zu hoch, jetzt gilt das als niedrig. Es kommt darauf an, wie man es betrachtet. Als Arzt würde ich sagen: Ab zwölf bekommt man Gleichgewichtsprobleme, weil der Körperschwerpunkt verschoben ist. Man muss sich schon anstrengen, um darin zu gehen. Als Designer sage ich: Es kann eigentlich nicht hoch genug sein.

Es kommt einem so vor, als hätte der High Heel die It-Bag abgelöst als wichtigster Modeaufreger.
Das liegt auch daran, dass im Frauenschuh eine große Portion Weiblichkeit steckt. Die Tasche ist und bleibt ein Accessoire. Eine nackte Frau, die High Heels trägt, wirkt nicht unnatürlich. Es ist nichts Komisches an ihr. Es ist ein sinnliches Bild. Denken Sie an die Fotografien von Helmut Newton. Eine nackte Frau mit Hut wirkt sofort angezogen, eine mit Tasche fast schon surreal.

»Ergonomie hat mich noch nie interessiert«

Was wäre denn das Pendant zum High Heel in der Männermode?
Es ist definitiv nicht die Krawatte. Das Einzige, was mir in den Sinn kommt, ist vielleicht die männliche Stimme. Sie umgibt den Mann und ist Ausdruck seiner Sinnlichkeit. Ganz ehrlich: Ich glaube, es gibt keins.

Sie sagten mal, das, was Sie machen, sei keine Mode. Was dann?
Ich denke nie an Kleider, wenn ich einen Schuh entwerfe. Mich interessiert die Mechanik der Modeindustrie einfach nicht, auch wenn ich ihr unterworfen bin. Es gibt so viele Menschen, die davon träumen, Teil dieser Modeindustrie zu sein. Das hat mich nie interessiert. Mich haben die Tänzerinnen, die Showgirls in den Musikhallen interessiert. Für sie wollte ich Schuhe entwerfen. Aber davon hätte ich auf Dauer nicht leben können. Ich betrachte meine Schuhe eher wie ein Juwelier seinen Schmuck: gemacht für die Ewigkeit.

Sie entwerfen etwa 150 Schuhe pro Saison. Wie arbeiten Sie?

Es gibt keine festen Rituale, außer dass ich mich zweimal im Jahr völlig isoliere und wegfahre. Zeichnen ist nicht das Problem, das geht immer, aber um eine Kollektion zusammenzustellen, brauche ich Abgeschiedenheit für mindestens zwei Wochen.

Wo fahren Sie hin?
Für die Sommerkollektion an einen warmen Ort und für die Winterkollektion an einen kühlen. Man kann einfach besser über Sommerschuhe nachdenken, wenn es draußen 34 Grad hat.

Wo waren Sie zuletzt?

Letzten Winter war ich in meinem Landhaus in der Bretagne. Für die Sommersaison fliege ich meist nach Ägypten, wo ich auch ein Haus habe. Doch diesmal war ich in Brasilien bei Freunden.

Dann setzen Sie sich hin, und es fließt nur so aus Ihnen heraus?
Ich brauche keine Vorlagen oder Fotos, wenn Sie das meinen. Ich fahre da hin, um mich zu isolieren. Aber natürlich werde ich von Erlebnissen, Bildern, Eindrücken inspiriert. Nur verlasse ich mich dabei auf den Filter im Kopf und meine Erinnerung. Das ist der Unterschied zwischen Inspiration und Kopie. Es ist nicht so, dass ich eine Samba-Kollektion mache, nur weil ich gerade in Brasilien bin.

Haben Sie einen bestimmten Typ Frau im Kopf, wenn Sie Schuhe entwerfen?
Nein, das geht ja auch gar nicht, denn keine Frau ist immer die gleiche Person. Man spielt ja als Mensch immer verschiedene Rollen. Ich bin mit vier Schwestern aufgewachsen, aber es fühlte sich an, als wären es vierzig gewesen.

Hat Ihnen das geholfen, die Frauen zu verstehen?
Definitiv. Frauen verhalten sich anders, wenn ein Mann anwesend ist. Aber ich war ja noch ein Kind, während meine Schwestern schon Teenager waren. Sie haben mich gar nicht wahrgenommen. Es war wie in einem Harem, oder besser: wie in einem Theaterstück. Ich habe mitbekommen, wie sie sprechen und worüber. Und meine Ohren waren sehr groß.

Was haben Sie gelernt?
Keine Angst vor Frauen zu haben. Sie nicht als Rätsel zu begreifen. Frauen funktionieren nämlich genau wie Männer. Männer halten Frauen ja immer für ein Mysterium. Dabei sind Frauen unter sich genauso brutal, gemein, offen oder liebevoll wie Männer, wenn sie unter sich sind. Sie sprechen genauso explizit, ja fast schon chirurgisch über Sex wie Männer.

Vorhin meinten Sie, ein Mann könne die Frauen nie verstehen.
Nie ganz, aber Frauen verhalten sich nicht anders als Männer. Sie ticken nur anders.

Wie wichtig für Ihre Karriere war die Idee mit den roten Sohlen?
Sehr wichtig. So ein Erkennungszeichen verbindet. Es ist ein geheimer Code. Und Menschen lieben es, zu einer verschworenen Gemeinschaft zu gehören. Dabei ist es subtil genug, um nicht aufdringlich zu sein. Es heißt, Louboutins halten besonders lange.

Was ist Ihr Geheimnis?
Es gibt gewisse strukturelle Dinge, die ich anders mache, aber das bleibt mein Berufsgeheimnis. Nur so viel: Ich habe viel von der Arbeit mit Showgirls gelernt, wie Schuhe mit hohen Absätzen konstruiert sein müssen.

Wie stehen Sie zu Manolo Blahnik?
Wir kennen uns schon lang, wenn auch nur entfernt. Wir haben gemeinsame Freunde. Er ist ein reizender Mensch. Und er ist ein Meister, was Sandalen betrifft.

Die extravagantesten Schuhe, die Sie je entworfen haben?
Das war für einen Kunden aus Asien. Es gab kein finanzielles Limit. Er wollte etwas mit Rubinen haben, also habe ich die Sohle mit Rubinen besetzen lassen, eigentlich den ganzen Schuh, er sah aus wie ein riesiger funkelnder Edelstein. Ich warnte ihn: Dieser Schuh wird dir jeden Boden zerkratzen. Aber er meinte bloß, die Schuhe würden eh nur im Bett getragen.

Welche Schuhfarbe ist wirklich sexy?
Hautfarben, weil dann der Schuh fast mit dem Bein verschmilzt. Wenn man nur zwei Paar Schuhe kaufen will, sollte man sich ein schwarzes und ein hautfarbenes zulegen.

Was, wenn sie plötzlich High Heels trägt und nun größer ist als er?
Na und? Sie glauben gar nicht, wie viele Männer Frauen sexy finden, die größer sind als sie.

Gibt es Schuhe, die Ihnen nicht ins Haus oder in den Laden kommen?

Clogs. Sie sind einfach zu laut und zu klobig.

High Heels sind nicht wirklich für den menschlichen Fuß gemacht. Muss wahre Schönheit immer auch ein wenig wehtun?
Das Schmerzempfinden ist von Mensch zu Mensch verschieden. Was einem Mann als unerträglich erscheint, ist für eine Frau vielleicht nur ein leichtes Drücken. So ein kleiner Schmerz erinnert einen ja auch immer daran, wie wichtig es ist, Haltung zu bewahren. Es drückt vielleicht ein bisschen, aber was ist das schon gegen das Vergnügen, selbstbewusst und elegant durchs Leben zu gehen? Es ist wie mit einer guten Beziehung. Auch da erträgt man die ein oder andere Schattenseite am anderen um der Liebe willen.

Wird das Bequeme überschätzt?
Ergonomie hat mich noch nie interessiert. Der Unterschied zwischen uns und den Tieren ist, dass wir eine Stufe der Evolution erreicht haben, wo es nicht alles ist, besonders naturnah oder körpergerecht zu leben.

Was hilft gegen die Schmerzen?
Es kommt auf die Frau an: Wenn sie immer Schmerzen oder Blasen hat, wenn sie öfter stolpert und sich wackelig und unsicher fühlt, sollte sie einfach die Finger davon lassen. Aber wenn sie wirklich gewillt ist, wird sie einen Weg finden, damit klarzukommen. Und wenn es ein Wodka Tonic ist.

Früher waren Pflaster das Mittel der Wahl, heute soll es Frauen geben, die sich die Füße botoxen lassen.

Dann doch lieber Carpaccio um den Zeh – aber kein rotes, das gibt nur Flecken. Carpaccio vom Kalb.

Fotos: Jork Weismann, ddp