»So ganz gefeit ist man auch als durchrationalisierter Mensch nicht«

Viele Menschen verhalten sich abergläubisch – auch ohne es zu wissen. Der Münchner Volkskundler Rainer Wehse erklärt, warum wir vor allem in Krisenzeiten Halt im Aberglaube suchen und weshalb das nicht ganz ungefährlich ist.

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SZ-Magazin: Herr Wehse, Sie haben mal gesagt: Aberglaube ist eine Hirnfunktion. Was meinen Sie damit?
Rainer Wehse: Das erklärt sich eigentlich logisch: Selbst große Naturwissenschaftler, die sonst immer drauf bestehen, dass man etwas beweisen muss, sind gläubig. Beides ist im Gehirn angelegt. Wobei ich jetzt mal nicht trenne zwischen Aberglaube und Religion. Das ist ein bisschen provokativ, weil sich religiöse Gläubige damit auf die Krawatte getreten fühlen. Aber ich trenne es nicht.

Die Evolution ist ja so angelegt, dass wir Fähigkeiten entwickeln, die dem Fortbestand dienen. Was ist denn der Zweck des Aberglaubes?
Wehse: Es ist ein Überbleibsel aus der Zeit, in der man Dinge rational nicht erfassen konnte. Da musste man Erklärungen finden für Naturphänomene und das ging mit Glaubenssätzen. Das Gehirn funktioniert dabei so – und das ist jetzt wirklich Ergebnis der Hirnforschung –, dass man sich eine Sache länger und besser merkt, wenn sie positiv ausgeht. Hat man also eine positive Vorhersage und die tritt ein, merkt man es sich besser, als wenn es nicht eintritt. Das Gehirn registriert es als Beweis.