Der weiße Schleier

Wir stellen Ihnen jede Woche junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: Jonathan May, der in Kenia Kinder mit eingeschränktem Sehvermögen porträtiert - und uns die Welt mit ihren schwachen Augen zeigt.

Name: Jonathan May
Geboren: 1979 in Sydney
Ausbildung: Australian Centre of Photography
Homepage: jonathanmayphotography.com

SZ-Magazin: Herr May, wer oder was ist "Thika"?
Jonathan May: Ein Ort in Kenia, etwa eine Autostunde von Nairobi entfernt. An der dortigen Thika Primary School habe ich die blinden Kinder für meine Serie fotografiert.

Was hat Sie in dieses kleine Dorf im afrikanischen Nirgendwo verschlagen?
Im September 2011 war ich für einen Auftrag in Kenia. Am Flughafen von Mombasa sah ich dann, während ich auf meinen Flug wartete, diese Reportage im Fernsehen: Sie zeigte die blinden Schulkinder von Thika, wie sie trotz ihrer Beeinträchtigung Fußball spielten. Ich war von der Geschichte so fasziniert, dass ich beschloss, die Schule zu besuchen. Da tauschte ich kurzerhand mein Ticket um und flog nach Nairobi.

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Hatten Sie die Idee mit den verschiedenen Blindheitsstufen zu diesem Zeitpunkt auch schon im Kopf? Die Idee kam mir erst später. In Kenia waren zu dieser Zeit nämlich gerade Schulferien und ich musste zwei Wochen warten bis ich zu den Kindern konnte. Zwei Wochen alleine in Nairobi – da hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Und nach einigem Brainstorming war die Idee mit den Blindheitsstufen dann geboren.

Wie hat Sie die Arbeit mit den Kindern der Thika Primary School verändert?
Ich habe in dieser Zeit viel gelernt – auch über mich selbst. Am meisten bewegt hat mich das Schicksal eines kleinen blinden Mädchens namens Teresa: Ihre Familie konnte die Schulgebühren nicht aufbringen, ohne die Ausbildung jedoch hätte das Mädchen später keine Chance gehabt, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Ich dachte zurück an meine unbeschwerte Kindheit und mir wurde klar, wie viel Glück ich hatte. Ich beschloss, Teresas Schulgebühren zu übernehmen. Vielleicht kann ich auf diese Weise dazu beitragen, dass sie irgendwann ein normaleres Leben führt.

Ihre Bilder sind schockierend, aber auf eine seltsame Weise auch schön. Warum wirken Bilder, die Elend dokumentieren, so oft ästhetisch? Ist es unmöglich, Elend ohne Ästhetik darzustellen?
In erster Linie geht es mir nicht darum, Elend oder Armut zu dokumentieren. Ich möchte vielmehr eine visuelle Geschichte zu erzählen. Schönheit zeigt sich im Zusammenspiel zwischen dem Menschen und seiner Umwelt: Hieraus entspinnen sich faszinierende Geschichten über die Leben, Triumphe und Kämpfe dieser Menschen. Hier zeigt sich für mich Schönheit.

Haben die Kinder durch ihre Blindheit vielleicht aber besonders aussagekräftige Gesichter? Nein, für mich sind ihre Gesichter mit den Gesichtern Gleichaltriger identisch. Nur die Augen, die stechen natürlich hervor. An den Augen kann man die unterschiedlichen Blindheitsstufen eindeutig ablesen.

Wie war es, mit den Kindern zusammen zu arbeiten? Verhalten sie sich vor der Kamera anders als die Menschen, die Sie sonst fotografieren?
In der Vergangenheit habe ich bei Werbejobs häufiger mit Kindern zusammengearbeitet – und da gibt es natürlich Unterschiede: Die Kinder aus Thika waren irgendwie entspannter und ruhiger. Sie schienen sich der Situation sehr bewusst. Dennoch dauerte eine Porträt-Session nie länger als fünf Minuten – aus Rücksicht auf die Gefühle der Kinder.

Unter Fotografen scheint es sehr populär zu sein, nach Afrika zu gehen, um dort das Leid zu dokumentieren. Woran glauben Sie liegt das?
Mir scheint es, als ob einige Fotografen das Elend nur deshalb fotografieren, weil sie eben wissen, dass sie damit den Betrachter emotional einfangen können. Hinter meiner Arbeit stand nie diese Absicht. Ich war an diesem Tag am Flughafen schlichtweg so überwältigt vom Schicksal der blinden Kinder, dass ich unbedingt eine Fotoserie daraus machen wollte. Mir fehlte nur noch das richtige Konzept dahinter. Ich wollte nicht nur einfach eine Fotodokumentation machen und die traurige Situation der Kinder für mich ausnutzen. Ich wollte die Kinder als wunderschöne menschliche Wesen darstellen und gleichzeitig vermitteln, dass hier Hilfe benötigt wird. Übrigens: Wer auch immer diesen Kindern helfen möchte, kann dies unter https://secure20.salvationarmy.org/donation.jsp tun.

Nähere Informationen zum Projekt der Salvation Army finden Sie hier.