»Heute haben viele Kinder zu viel Macht«

Sagt ausgerechnet Zoë Readhead, die Leiterin der berühmtesten alternativen Schule der Welt. Falsche Regeln und wichtige Brüche: ein Gespräch in Summerhill, neunzig Jahre nach der Gründung.

Zoë Readhead tritt als Schulleiterin von Summerhill in die Fußstapfen ihres berühmten Vaters.

SZ-Magazin: Frau Readhead, Summerhill ist vor Kurzem neunzig Jahre alt geworden, und noch immer schaut der Staat kritisch auf Ihre Schule. Gerade erst waren wieder die Inspektoren da. Was wollten die?
Zoë Readhead: Diesmal war es nur Routine. Die Inspektoren kontrollieren alle Schulen in England regelmäßig.

Eine Schule, an der der Unterricht freiwillig ist, war den Behörden lang ein Dorn im Auge. Haben Sie dafür Verständnis?
Es hat sich schon einiges geändert: Wir haben in diesem Jahr die beste Beurteilung seit unserer Gründung bekommen. Man beginnt ganz offensichtlich, unsere Arbeit wertzuschätzen.

Seit Ihr Vater A. S. Neill Summerhill eröffnete, kam immer auch massive Kritik aus der Gesellschaft. Ist sie inzwischen verstummt?
Es gibt sie bis heute – weil die Menschen uns missverstehen! Sie glauben, dass die Kinder hier tun und lassen können, was sie wollen, und dass es bei uns laut und chaotisch ist. Dabei stimmt das Gegenteil: Es geht in Summerhill sehr ruhig und diszipliniert zu. Wir könnten einiges zu den aktuellen Erziehungsdebatten beitragen!

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Ausgerechnet von Summerhill, dem Inbegriff der antiautoritären Erziehung, sollen die Leute ein diszipliniertes Zusammenleben lernen?
Zunächst mal: Mein Vater war nie glücklich mit dem Begriff »antiautoritäre Erziehung«, er hat ihn auch selbst nie verwendet. Die Wahrheit ist: Viele Eltern sind heute sehr verunsichert. Ihre Kinder sollen in Freiheit groß werden, aber niemand hat ihnen beigebracht, wie man mit einem freien Kind umgeht. Sie denken, dass alles, was das Kind tut, in Ordnung ist, aber das ist es absolut nicht! Die Kinder, mit denen wir dann zu tun haben – auch in Summerhill –, halten sich an keinerlei Regeln.

Wie waren Ihre Schüler denn früher?
Einerseits ändern sich Kinder nicht: Es hat uns Menschen Millionen von Jahren gekostet, zu werden, wer wir heute sind. Aber an der Oberfläche sieht man Unterschiede: Früher kamen viele Kinder sehr verängstigt hier an. Damals hat mein Vater eine Menge Zeit darauf verwandt, ihnen zu zeigen: Ich tu dir nichts! Ich bin auf deiner Seite!

Es gibt diese schöne Geschichte eines Schülers, der bei Ihrem Vater mit verstellter Stimme anrief und sich als seine eigene Mutter ausgab. Die vermeintliche Mutter bat Neill, ihrem Sohn Geld für ein Zugticket zu geben, das er in Wahrheit gar nicht brauchte. Neill gab dem Jungen das Geld und legte später noch ein paar Münzen drauf mit den Worten: »Eben hat deine Mutter noch mal angerufen und gesagt, dass das Ticket teurer ist.« Der Junge bekam erst einen Schreck und gab dann beeindruckt zu, dass Neill offenbar ein noch besserer Schauspieler war als er selbst.
Viele der Kinder hatten damals ziemlich schlechte Erfahrungen mit Erwachsenen gemacht. Es war wichtig, ihr Vertrauen zu bekommen.

Diese Zeiten wünscht man sich nicht zurück.
Nein, aber heute haben viele Kinder zu viel Macht. Mein Vater hat immer gesagt, dass in einem guten Zuhause Eltern und Kinder gleiche Rechte haben. In einem schlechten Zuhause haben die Eltern zu viel Macht – oder die Kinder.

Viele Eltern und Pädagogen sind auch heute noch der Meinung, dass die Erwachsenen die Familie mit Strenge regieren sollten. Bernhard Bueb, ehemaliger Leiter des Internats Schloss Salem und Autor des Buches Lob der Disziplin, zum Beispiel sagt: »Erziehung ist nur erfolgreich, wenn sie die zu Egoismus neigende menschliche Natur gegen den Strich bürstet!«
Das hat uns auch die Kirche über Jahrhunderte eingeredet: Der Mensch ist in Sünde geboren. In Summerhill gehen wir von dem Gegenteil aus: Man muss Kindern nicht beibringen, gut zu sein; alles, was wir tun müssen, ist, sie gut sein zu lassen.

Wenn nun so ein Kind ohne Regeln nach Summerhill kommt …
… hat die Schulversammlung eine Menge zu tun. Summerhill ist eine selbst verwaltete Gemeinschaft, und in der Schulversammlung, dem zentralen Gremium, werden alle wichtigen Beschlüsse per Mehrheitsentscheid gefasst. Dort werden auch sämtliche Regeln beschlossen und Verstöße dagegen geahndet.

Was war die letzte Regel, die die Versammlung beschlossen hat?

Wir haben zum Beispiel letzte Woche abgestimmt, dass man nicht auf die Wege spucken darf. Für mich ist offensichtlich, dass das nicht geht, aber offenbar nicht für alle. Also brachte jemand den Vorschlag in die Versammlung, und die Mehrheit hat dafür gestimmt. Oder das Küchenpersonal hat sich beschwert, dass bei der Essensausgabe oft so ein Lärm herrscht, dass es seine Arbeit nicht tun kann. Wir haben beschlossen, dass es ab sofort zwei Zuständige gibt, die für Ruhe in der Essensschlange sorgen. Gut möglich, dass irgendwann alle Schüler und Lehrer diese Regel verinnerlicht haben, dann schaffen wir sie vielleicht wieder ab.

Wenn Sie von Zuständigen sprechen …
… sind das Kinder. Auch die Schulversammlung wird von einem Schüler oder einer Schülerin geleitet.

Der Speisesaal mit Klavier.

Wie viele Regeln gibt es aktuell?
Zwischen 150 und 200.

Das klingt nicht gerade nach viel Freiheit.
Die Zahl ist hoch, aber es sind auch viele Sicherheits- und Hygieneregeln dabei. Was die Freiheit angeht, sind wir sehr klar: Jeder ist frei, sein eigenes Leben zu leben und zu tun, was ihm gefällt, solange er damit niemand anderen stört. Aber wenn ich nachts um eins Schlagzeug spielen möchte, hört meine Freiheit auf.

Das Kind, das bisher keine Grenzen kannte, wird sich kaum daran halten.
Dann muss es die Konsequenzen tragen. Die Schulversammlung vergibt für Regelverstöße Strafen: Das können kleinere Geldbeträge oder eine halbe Stunde Arbeitseinsatz sein. Wer etwas kaputt gemacht hat, muss es reparieren, oder wer während der Bettruhe Lärm macht, muss früher schlafen gehen.

Der neue Schüler sagt dann vielleicht: Ist mir doch egal, das mach ich nicht.
Dann bekommt er eine höhere Strafe, und unsere Ombudsmänner und -frauen – ebenfalls Schüler – versuchen, ihm zu erklären, warum das wichtig ist. Wenn er sich weiter verweigert, muss er die Schule für eine Weile verlassen. Wir haben gerade erst wieder einen Jungen für eine Woche nach Hause geschickt.

Das kann unter Umständen ein weiter Weg sein: Nur wenige Kinder sind Tagesschüler, die meisten leben hier im Internat und kommen aus anderen Teilen Englands und der ganzen Welt, ob Korea, den USA oder Deutschland.
Wir sind da sehr strikt. Das Kind soll sich zu Hause bewusst werden, ob es wirklich hier sein möchte. Und wenn es das will, muss es auch die Regeln unserer Gemeinschaft akzeptieren.

Wie ist die Wirkung?
Oft ändert sich das Verhalten der Kinder massiv, wenn sie selbst bewusst entscheiden: Ich möchte auf diese Schule gehen! Aber es gibt auch welche, die wir endgültig von der Schule verweisen müssen.

Wie gehen Sie mit Mobbing um?
Das ist bei uns zum Glück kein großes Thema, weil solche Vorfälle immer schnell ans Licht kommen. Besonders die älteren Schüler sind da wachsam. Aber wer tatsächlich jemand anderen mobbt, kommt auf die Mobbingliste: Er wird von allen Gemeinschaftsveranstaltungen ausgeschlossen und muss sich als Letzter in der Reihe beim Essen anstellen.

In vielen Familien gibt es immer wieder Streitereien, weil Eltern und Kinder unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie viel Zeit ein Kind vor dem Computer verbringen sollte. Hat Summerhill dafür Regeln?
Wir haben verschiedene Varianten ausprobiert, bis die Schulversammlung vor einiger Zeit beschlossen hat, den Gebrauch von Computern völlig freizugeben. Es ist immer spannend, wenn so etwas passiert. Meist kommt nach einiger Zeit jemand und sagt: Das funktioniert nicht! So war es diesmal auch: Einige der Kinder, die viel gespielt haben, wünschten sich eine Reglementierung, weil es ihnen zu schwerfiel, den Unterricht zu besuchen. Es war auch deutlich spürbar, dass das Schulleben fast zum Stillstand kam.

Wie hat die Versammlung entschieden?

Wir haben beschlossen, dass es erst ab 15.30 Uhr, also nach Unterrichtsende, erlaubt ist, am Computer zu spielen.

Wie sollten Eltern das Thema zu Hause regeln?
Das ist schwierig … Meine Kinder durften früher so viel fernsehen oder am Computer spielen, wie sie wollten. Sie haben alle vier ziemlich schnell einen angemessenen Umgang damit gefunden. Aber natürlich war das damals noch etwas ganz anderes. Heute ist das ein unfairer Kampf: Auf der einen Seite stehen große Unternehmen, die Milliarden von Dollar investieren, um die Benutzer an ein Computerspiel zu fesseln. Auf der anderen Seite steht ein vielleicht achtjähriges Kind – wie sollte es dieser Macht widerstehen?

Das heißt: Ohne Begrenzung geht es nicht?
Das muss man individuell entscheiden. Viele Kinder haben kein Problem damit abzuschalten. Aber wenn ich sehe, dass mein Kind nichts anderes mehr tut, als am Computer zu sitzen, würde ich sagen: Das funktioniert so nicht – wir müssen reden.

Das Kind wird nicht begeistert sein.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder, wenn man sie auf Augenhöhe und in einer ruhigen, unaufgeregten Art behandelt, absolut kompromissbereit sind. Es gibt dann keinen Grund für sie, in die Opposition zu gehen. Aber bis zu einem gewissen Grad finde ich auch wichtig, die Kinder so lange spielen zu lassen, bis sie selbst die Erfahrung machen: Okay, jetzt reicht’s!

Kommen wir noch einmal zurück auf die neuen Schüler in Summerhill: Wenn die hören, dass der Besuch des Unterrichts freiwillig ist, werden sie doch den Teufel tun und freiwillig dort hingehen.
Alle Kinder jubeln, wenn sie hören, dass sie nicht zum Unterricht gehen müssen. Manche erklären, dass sie nur faulenzen werden.

Und?
Wenn jemand faulenzen will, wird es etwas geben, von dem er sich erholen muss. Ansonsten wird er sich nicht so verhalten – das Leben ist viel zu spannend.

Summerhill liegt im Städtchen Leiston, 170 Kilometer nordöstlich von London. Vor dem Schulgebäude wartet eine Halfpipe auf die Skateboarder unter den rund siebzig Schülern.

Summerhill liegt im Städtchen Leiston, 170 Kilometer nordöstlich von London. Vor dem Schulgebäude wartet eine Halfpipe auf die Skateboarder unter den rund siebzig Schülern.

Aber das Spannendste ist nicht immer der Unterricht.

Wir haben viele Schüler, die tatsächlich lange Zeit mit Spielen verbringen. Aber irgendwann entscheiden sich die meisten doch, bestimmte Abschlüsse zu machen, und beginnen dafür zu lernen.

Wie Nadia Hartmann, eine ihrer ehemaligen Schülerinnen, die in einem Interview erzählte, dass sie jahrelang keinen Unterricht besucht hat, bis sie irgendwann wusste, dass sie Zahnärztin werden möchte. Das war für sie der Zeitpunkt, gezielt auf ihre Prüfungen hinzuarbeiten.
Und sie ist tatsächlich Zahnärztin geworden. Ihre beiden Kinder sind heute ebenfalls bei uns.

Nicht jedes Kind weiß schon so früh, welchen Beruf es einmal ergreifen möchte.

Trotzdem machen die meisten ihre Prüfungen. Summerhill ist ja keine isolierte Insel, und die Kinder wissen gut, dass sie für bestimmte Berufswege die Abschlüsse später brauchen. Wichtig ist, dass sie die Entscheidung selbst treffen. Wenn jemand wirklich lernen möchte, ist das ungleich einfacher.

Das betonen ja auch Hirnforscher immer wieder, wie etwa Gerald Hüther, der sagt, dass die Voraussetzung für Lernen die eigene Begeisterung ist.
Dann braucht es auch keine spektakulären Lehrmethoden. Es kommen immer mal wieder neue Lehrer mit modernen Ansätzen zu uns. Meistens sagen die Kinder selber: Bitte lass den ganzen Schnickschnack, unterrichte uns einfach!

Was wird aus Ihren Schülern, wenn sie Summerhill verlassen?
Unsere Abgänger sind vor allem gut darin, ihre Vorstellungen konkret umzusetzen. Sie sind Macher! Es sind erfolgreiche Unternehmer dabei, Schriftsteller, Wissenschaftler, Ärzte. Viele Abgänger entscheiden sich für kreative Berufe.

Der Pädagoge Yaakov Hecht, der vor 25 Jahren die demokratische Schule in Hadera, Israel, gründete, sagt: »Kein Mensch ist Mittelmaß, sondern jeder trägt etwas Besonderes in sich. Dieses Juwel gilt es zu entdecken und reifen zu lassen.«
Richtig. Uns ist auch nicht wichtig, ob jemand einen akademischen Weg einschlägt, das tun beileibe nicht alle unsere Schüler.

Ihr Vater hat betont, Ziel der Schule sei vor allem, die Kinder dazu zu befähigen, ein glückliches Leben zu führen.
Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die meisten Abgänger sind zufriedene Menschen! Vor allem ist ihnen bewusst, dass sie für ihr Leben verantwortlich sind.

Sind Sie selbst glücklich?
Es gab in meinem Leben einige schwere Zeiten: Als ich 26 war, starb mein Vater, den ich über alles liebte, dann starb mein Bruder. Aber wenn ich zurückschaue, muss ich sagen: Ich hatte und habe ein wundervolles Leben!

Ein ehemaliger Summerhill-Schüler, Freer Spreckley, erklärte im Guardian, dass er zu Schulzeiten an Legasthenie litt und die Schule vielleicht mehr für ihn hätte tun können.
Das sehe ich anders! Ich war ebenfalls Schülerin, als Freer hier war. Er hatte damals mit vielen persönlichen Problemen zu tun; diese zu lösen war wichtiger, als in den Unterricht zu gehen. Abgesehen davon hat man zu der Zeit auch noch gar nicht von Legasthenie gesprochen.

Freer Spreckley hat sich später selbst Lesen und Schreiben beigebracht und betont, dass seine Zeit in Summerhill ihn dazu befähigt habe. Inzwischen arbeitet er als Berater für eine internationale Wohltätigkeitsorganisation.
Wäre Freer heute bei uns, würden wir ihn genauer beobachten und schauen, ob er Hilfe braucht. Aber letztlich würde die Entscheidung nach wie vor bei ihm liegen.

Ob die Schüler in Summerhill Mathe machen oder Wände bemalen, ob sie in den Unterrichtsräumen arbeiten oder draußen, bleibt ihnen überlassen. Und doch gibt es welche, die ernsthaft lernen.

Würden Sie sagen, Summerhill ist für jedes Kind geeignet?
Ja, aber nur, wenn die Eltern wirklich dahinterstehen. Sonst kommt das Kind in große Konflikte.

Was ist mit Schülern, die ADHS haben?
Wir kategorisieren die Schüler nicht. Wir haben immer mal wieder Kinder mit dieser Diagnose, aber wir ignorieren das.

Erst kürzlich hat die Vereinigung Amerikanischer Kinderärzte empfohlen, das Medikament Ritalin in kritischen Fällen schon vierjährigen Kindern zu geben, um ADHS zu bekämpfen.
Schrecklich. Wenn hyperaktive Schüler zu uns kommen, haben sie die Möglichkeit, ihre Energie auszuleben, aber natürlich müssen auch sie sich an die Regeln halten. Wenn sie zum Beispiel in der Schulversammlung stören, wird der leitende Schüler oder die Schülerin ihnen klarmachen: Sei ruhig, oder verlass meine Versammlung! Dann lernen sie – das kann jeder!

Sie selbst haben nur einen einzigen offiziellen Abschluss gemacht: als Reitlehrerin. Fühlen Sie sich deshalb manchmal angreifbar?
Überhaupt nicht!

Auf Ihrer Homepage steht, dass Ihre Schüler ein starkes Selbstbewusstsein haben, sich allerdings in Bezug auf ihre intellektuellen Fähigkeiten manchmal angreifbar fühlen.
Das betrifft vor allem die jüngeren Schüler. Zu Hause vergleichen sie sich mit ihren Freunden, die vielleicht gerade diese oder jene Prüfung machen, Noten und Zeugnisse bekommen. Aber wenn sie älter werden, ändert sich das. Für mich spielt es absolut keine Rolle, welchen Abschluss ein Mensch hat, ich meine auch nicht, dass jeder alles können muss. Ich selbst bin zum Beispiel ein hoffnungsloser Fall in Mathe. Wenn ich eine Aufgabe zu lösen habe, maile ich sie unserer Mathelehrerin, und sie mailt mir die Antwort zurück. Wo ist das Problem?

1999 sahen Schulinspektoren sogar ein massives Problem. Sie waren der Ansicht, dass hier Freiheit mit Faulheit verwechselt werde, und forderten, dass Summerhill verpflichtenden Unterricht anbieten müsse, sonst werde die Schule geschlossen. Es kam zu einem spektakulären Gerichtsverfahren.
Die Zeit damals war furchtbar! Wir hatten keine Ahnung, ob wir das Ganze überleben würden. Wir bekamen Spenden aus der ganzen Welt, sodass wir uns einen sehr guten Anwalt leisten konnten. Schließlich entschieden die Richter zu unseren Gunsten! Wir hielten im Gerichtssaal eine Schulversammlung ab, und die Versammlung nahm das Urteil an. So was hatte es noch nie gegeben!

Das Ereignis wurde sogar zum Spielfilm verarbeitet. Darin kommen zwei Kinder vor, die einen schwierigen Start in Summerhill haben: ein besonders angepasstes Mädchen, das ständig von seiner Mutter angerufen wird und sich den Stundenplan vollpackt, und ein Junge, der schlägert und stiehlt. Beide verwandeln sich in glückliche Schüler. Das mutet fast märchenhaft an!
Das sind typische Fälle. Gerade haben wir wieder eine neue Schülerin aus Korea, deren Mutter lange hier vor Ort blieb und sich schwertat, ihre Tochter gehen zu lassen. Das Mädchen hatte starkes Heimweh – bis zu dem Moment, als die Mutter wegfuhr. Auch den Fall des aggressiven Schülers kennen wir gut, allerdings würde die Schulversammlung deutlich schneller eingreifen – und die Verwandlung dauert in der Regel länger.

Als Ihr Vater Summerhill gründete, war die Schule weltweit die einzige ihrer Art. Inzwischen gibt es etwa 200 sogenannte demokratische Schulen. Und die Bewegung wächst.
Ein großartiges Zeichen!

Wie Summerhill stoßen viele der Schulgründer zunächst auf Skepsis. Aktuell versucht zum Beispiel eine Gruppe in München, eine demokratische Schule nach dem sogenannten Sudbury-Modell zu eröffnen, das ähnlich wie Summerhill funktioniert. Wie sollen die Schulgründer die Regierung überzeugen?
Am besten, indem sie mit den Abgängern ähnlicher Schulen argumentieren, die schon länger existieren: damit die Leute sehen, dass aus den Schülern was wird! Wichtig finde ich auch zu schauen, welche Themen gerade aktuell sind: Demokratiekompetenz zum Beispiel. Da erwerben unsere Schüler enorm viel Erfahrung. Sie üben sich ja in den demokratischen Grundsätzen Tag für Tag.

Immer wieder gibt es auch Versuche, staatliche Schulen für die Ideen demokratischer Bildung zu öffnen. In Deutschland hat der Pädagoge Falko Peschel, angelehnt an die Summerhill-Philosophie, den offenen Unterricht entwickelt, der bereits an staatlichen Schulen mit Erfolg erprobt wurde und auf mehr Mitbestimmung und freies Lernen setzt.
Wichtig ist, dass die Mitbestimmung ernst genommen wird und die Schüler tatsächlich über relevante Themen entscheiden können. Außerdem sollten sie ihre eigenen Interessen mit in die Schule bringen dürfen. Aber ganz ehrlich: Ich bezweifle, dass unsere Ideen reif für den Mainstream sind.

Warum?
Die Menschen trauen den Kindern nicht! Sie haben Angst. Über so viele Generationen war es immer nur Ziel, mehr und mehr zu erreichen. In demokratischen Schulen geht es aber darum, wer du bist, was deine Wünsche sind und wie man mit anderen zusammenlebt.

Ihr Vater hat einmal gesagt, wenn ein Schüler von Summerhill Premierminister werden würde, müsste er sich fragen, was er falsch gemacht hat.
Ja, es ist schwer vorstellbar, dass einer unserer Schüler sich in die Welt der Politik stürzt mit all der Korruption und dem ständigen Konkurrenzkampf. Andererseits: Ein Premierminister aus Summerhill wäre wunderbar für das ganze Land!