SZ-Magazin: Frau Meyer-Landrut, Sie sind 20 Jahre alt und haben in kurzer Zeit schon mehr erreicht als andere in einem ganzen Leben. Jetzt wollten Sie mal ein bisschen kürzertreten. Klappt’s?
Lena Meyer-Landrut: Na ja, ich hatte mir nach all den Auftritten und der ganzen Hektik vorgenommen, möglichst viele normale Sachen zu machen, mal an die Universität gehen, zum Beispiel. Ich hatte ja zwei Jahre durchgehend Programm. Dann habe ich aber gemerkt, die Zeit, die ich für mich habe, will ich nur in meinem Bett verbringen. Gar nichts machen, niemanden sehen.
Waren Sie so erschöpft?
Ja, ich musste mal alles Revue passieren lassen. Nachdenken, was passiert ist, wie ich mich fühle, wer ich eigentlich bin, ob ich mich verändert habe.
Sehr interessante Fragen. Gehen wir sie mal durch, oder?
Nein, wir können sie alle überspringen, weil ich sehr schnell zu dem Schluss gekommen bin, dass mir noch nicht reicht, was ich bis jetzt gemacht habe. Ich will nicht zurückschauen oder aufhören mit meiner Karriere. Die Ruhephase hat mich jetzt wieder so gepolt, dass ich ehrgeizig geworden bin und mir sage: Ich will es noch einmal richtig versuchen, wie alle anderen Musiker. Auf mich selbst gestellt.
Schreiben Sie jetzt auch selber Songs?
Ja. Zwar nicht ganz allein, aber mit ein bisschen professioneller Unterstützung klappt das ganz gut.
Arbeiten Sie weiterhin mit Stefan Raab zusammen?
Mit Stefan habe ich bis jetzt noch nichts Neues geschrieben. Aber ich arbeite mit vielen verschiedenen Leuten! Schweden sind dabei, Engländer, natürlich auch Deutsche.
Hatten Sie das Gefühl, Ihnen wurde in der Vergangenheit zu viel vorgeschrieben?
Es war schon einiges fremdbestimmt. Dadurch, dass ich bei Brainpool und bei Stefan Raab unter Vertrag stehe und bei der Plattenfirma. Was natürlich auch super war für mich, weil ich ja keine Ahnung von dem ganzen Geschäft hatte. Aber es darf dann irgendwann auch mal anders weitergehen.
Andere ziehen mit Anfang 20 zu Hause aus und tasten sich langsam ans selbstbestimmte Leben ran.
Ist bei mir auch der Fall. Ich komme eben nur aus einer anderen Richtung.
Haben Sie Gleichaltrigen gegenüber einen Vorsprung?
Ich habe auf jeden Fall oft eine andere Sicht auf Dinge. Arbeit zum Beispiel. Was bedeutet arbeiten für meine Freunde? Fünf Tage die Woche von acht bis fünf irgendwo hingehen, danach Zeit zu Hause und am Wochenende Party machen. Davon sind die teilweise schon gestresst. Und dann denke ich: Was? Warum bist du denn jetzt gestresst? Nicht, weil ich jetzt so viel härter arbeiten würde …
Sondern?
Sondern weil es diese Abläufe bei mir gar nicht gibt. Da läuft es so, dass ich fünf Tage am Stück 18 Stunden unterwegs bin, im Hotel schlafe und Essen aus der Restaurantküche kriege. Dann komm ich nach Hause, und in meinem Kühlschrank ist alles vergammelt, weil ich vorher nicht dran gedacht habe, den auszuräumen, so erwachsen bin ich dann doch noch nicht. Die meisten meiner Freunde wohnen entweder noch zu Hause oder sind gerade in eine WG gezogen, um zu studieren.
Entsteht da Distanz?
Leider auch, ja.
Ich will gar keine Lady Gaga sein
Lena feiert ihren Sieg beim Eurovision Song Contest 2010. Wer genau hinsieht, wird feststellen: Das Motto "To love and to be loved" ließ sie sich erst später tätowieren.
Gibt es Freunde, die sagen: Lena, wir verstehen nicht, was du uns da gerade erzählst von Fernsehen und Musikbusiness?
Es gibt tatsächlich alte Freunde, die sagen: Damit komme ich nicht klar. Und für mich ist es ja auch nicht einfach.
Inwiefern?
Ich schaffe es körperlich nicht, und ich schaffe es zeitlich nicht und seelisch auch nicht, meinen Alltag und meine Gefühle mit so vielen Leuten zu teilen, auch wenn sie eigentlich Freunde sind. Es ist alles etwas viel.
Ihre früheren Mitschüler sind jetzt in der Ausprobierphase, fangen an zu studieren, jobben ein bisschen.
Ja, das macht mich manchmal neidisch. Ich habe mir schon überlegt, irgendwann gehe ich mal für ein halbes Jahr nach Sydney oder L.A., einfach nur kellnern. Verstehen Sie: Ich wollte immer nur Sachen ausprobieren – nur hat das Erste sofort geklappt. Konnte ja keiner wissen!
Zum Ausprobieren gehört auch, dass was schiefgeht. Was tun, wenn Ihre eigenen Lieder keine Hits werden?
Weitermachen.
Keine Angst vor Enttäuschung?
Doch, klar. Blöd ist natürlich, dass das dann nicht nur meine Freunde und meine Familie mitkriegen, wie es bei einer verpatzten Ausbildung oder so wäre. In meinem Fall kriegt es fast ganz Deutschland mit. Das ist erschreckend, das Verhältnis stimmt nicht ganz. Aber gut, das habe ich mir ja freiwillig so ausgesucht.
Ein bisschen Enttäuschung haben Sie schon kennengelernt. Ein Jahr lang wurden Sie bejubelt, dann kippte die Stimmung, es gab Kritik, teilweise wurden Sie richtig runtergeschrieben. Ihr Gefühl dabei?
Das war manchmal schon hart. Aber je mehr so was kommt, umso mehr Hornhaut kriegt man. Mir war zwar vorher gesagt worden, dass man mit so was immer rechnen muss. Aber es ist was anderes, darüber zu reden, als es dann zu spüren.
Was hat Sie am Musikbusiness am meisten überrascht?
Dass es Leute gibt, die einfach ganz und gar nicht nett sind. Ich bin meistens so unvoreingenommen, glaube an das Gute im Menschen. Und dann, tja, dann wird man halt mal enttäuscht.
Wie genau?
Was mich verdutzt hat, ist diese oberflächliche Freundlichkeit, die oft gar nichts mit Freundschaft zu tun hat, sondern einfach nur kalt kalkuliertes Zum-Ziel-Kommen ist.
Gab es einen Moment, in dem Sie den Eindruck hatten, jetzt bin ich total in der Maschine?
Nach dem zweiten Song Contest. Da habe ich so ein bisschen das Vertrauen verloren, auch das Vertrauen in mich selber. Ich dachte: Vielleicht ist das alles gar nicht so cool. Diese Unsicherheit habe ich mir in der Öffentlichkeit auch mal anmerken lassen, das war ein Fehler.
Warum war das ein Fehler?
Ich wurde dafür zerrissen. Es hieß, ich sei zickig und arrogant. Und ich habe gemerkt: Okay, es ist nicht sinnvoll, deinen Scheiß nach außen zu tragen.
Ab sofort gibt’s also nur noch eine gut gelaunte Lena für die Öffentlichkeit?
Es geht nicht darum, dass ich jetzt immer mit geschminktem Grinsen aufwache und sage: Hallo, mir geht es gut, haha, Weltfrieden! Ich will gar keine Lady Gaga sein, die immer jemand sein muss, der sie gar nicht ist. Aber ich möchte nicht mehr zulassen, dass die Leute mich in der falschen Stimmung sehen.
Trotzdem wird es auch melancholische Momente geben, und auch darüber wird berichtet werden. Was wollen Sie tun, um das zu steuern?
Positiver werden. Von der Grundeinstellung. Für mich selber. Viel nachdenken. Ich versuche, wieder mehr mit mir in Einklang zu kommen und wieder mehr von der Leichtigkeit zu lernen, die ich früher mal hatte.
Ich ernähre mich biologisch – das ist schon genug Luxus
Mit ihrem Entdecker, Förderer und Mann für alles, Stefan Raab, bei einer Pressekonferenz.
Woran haben Sie gemerkt, dass die weg ist?
Ich war nicht mehr so unbefangen und wurde dünnhäutiger. Das war ich früher so nicht.
Sie haben sich »Je ne regrette rien« auf den Fuß tätowieren lassen. Eigentlich etwas früh, oder? Sie haben ja noch viel Zeit, Sachen zu machen, die Sie vielleicht doch bereuen.
Das soll mich auch eher daran erinnern, nicht bei allem vorher schon nachzudenken, ob ich es hinterher bereuen könnte.
Also ein Plädoyer gegen zu viel Vernunft?
Genau.
Was finden Sie an sich selbst spießig?
Ich schlafe mit zwei Decken, und wenn die nicht exakt übereinanderliegen, dreh ich durch!
Äh, dickere Decke kaufen?
Das wäre doch voll unnötig, ich habe ja zwei!
Woran merken Sie, dass Sie älter geworden sind?
Ich verdiene plötzlich Geld, und ich muss damit haushalten. Ich habe vorher nie gearbeitet, weil mir das, was ich hatte, immer gereicht hat.
Sie haben nicht mal Zeitungen ausgetragen oder so?
Nichts. Ich gebe auch heute kaum Geld aus. Ich bin sehr sparsam. Manchmal gebe ich mir einen Ruck, dann kaufe ich mir einen Laptop – und denke: Oh Gott, du kaufst dir einen Laptop, das hast du noch nie gemacht! Jetzt kannst du dir aber erst einmal ganz lange nichts mehr kaufen… Daran merke ich, dass ich erwachsen geworden bin. Und dass ich plötzlich zu Hause Aktenordner stehen habe. Auf einmal sortiere ich Akten und mache eine Steuererklärung.
Kommt Ihnen das spießig vor?
Schon ziemlich! Und ich muss mich jetzt zum Beispiel um ein Auto kümmern. Ich hatte einen Werbevertrag mit Opel, der ist ausgelaufen. Jetzt habe ich kein Auto mehr.
Aber die haben Ihnen ja sicher einen Opel überlassen, der noch eine Weile …
Nö. Und jetzt kommt halt der ganze Scheiß: Was für ein Auto? Wo kaufe ich es? Lease ich? Gebrauchtwagen? Jahreswagen? Neuwagen? Wie viel will ich dafür ausgeben?
Über den Preis müssen Sie sich doch keine Gedanken machen.
Ich lasse es für meine Verhältnisse schon ziemlich locker angehen! Ich habe eine große Wohnung, ich kaufe mir gutes Essen. Ich ernähre mich biologisch. Das ist für mich schon genug Luxus.
Aber Sie müssten eigentlich ausgesorgt haben.
Nein! Nicht mal, wenn ich so sparsam bleibe, reicht es bis an mein Lebensende. Zumindest nicht, wenn ich nur noch Bioprodukte essen möchte.
Sie haben nach dem ersten Song Contest gesagt, wenn es blöd laufe, müssten Sie halt ein Leben lang Satellite singen. Würden Sie das echt machen? Oder im Zweifelsfall später noch umsatteln?
So ganz ernst war das natürlich nicht gemeint. Im Moment sage ich mal vorsichtig, ich würde es nicht komplett ausschließen.
Kennen Sie diese Schlagerveranstaltungen in den großen Hallen, bei denen 40 Stars von vorgestern auf einmal auftreten, jeder für zehn Minuten?
Ja. Nicht sooo schön.
Käme aber infrage?
Wenn ein Architekt einmal ein gutes Gebäude gebaut hat, wird er auch sein Leben lang gefragt, ob er so ein Haus noch mal bauen kann. Und dann sagt der Architekt doch nicht: Nee, mach ich nicht. Er macht’s einfach. Es ist halt sein Job.
Hat das, was Sie machen, auch jetzt schon jobhafte Seiten?
Ja, an Interviewtagen! So ein Nachmittag, der sechs Stunden lang aus jeweils zehn Minuten Telefoninterview für alle möglichen Zeitschriften dieser Welt besteht.
Klitschko – boah, was für ein toller Mann
Lächeln, durchhalten, höflich bleiben: Auch wenn sie Interviews oft anstrengend findet, schafft es Lena meistens mit einem Lachen über die Runden.
Als Sie erfolgreich wurden, nannten die Medien Sie »neues deutsches Fräuleinwunder«. Hat es eine Rolle gespielt, dass Sie eine Frau sind? Oder hätte der Erfolg auch als »Leno« geklappt?
Oder als Lenin. Das glaube ich schon. Das hätte funktioniert.
Aber Frauen und Männer haben sehr unterschiedliche Startbedingungen.
Ach was, wieso? Das ist doch ziemlich gleich.
Viele finden: Frauen werden eher nach ihrem Äußeren beurteilt.
Wenn Sie auf ein Konzert von Bruno Mars gehen, da sehen Sie Frauen, die kreischen und schreien und sind in den verliebt und himmeln den an! Da geht’s doch erst mal nur ums Äußere. Deswegen ist ja auch so einer wie Michael Wendler so erfolgreich – da gibt es unfassbar viele 50-jährige Frauen, die in den mehr verliebt sind als in ihren eigenen Mann. Mein Publikum dagegen besteht größtenteils aus Kindern, die mit ihren Eltern kommen.
Aber Sie sind, als Sie berühmt wurden, sofort von einem Herrenmagazin zu einer der sexiest women gewählt worden.
Platz 13.
Das würde bei einem Mann eher erst mal nicht passieren.
Wie gesagt, gehen Sie mal auf ein Bruno-Mars-Konzert. Männer werden genauso als Sexobjekt gesehen wie Frauen.
Bei Politikerinnen zumindest spielt das Äußere eine größere Rolle als bei den Männern. Da geht’s immer gleich um die Frisur von Ursula von der Leyen, das Jackett von Angela Merkel. In Ordnung oder doof?
Bisschen ungerecht natürlich. Stört mich aber nicht. Die Männer tragen halt alle nur Anzug, man könnte höchstens über die Krawatten sprechen.
Gibt es bekannte Frauen, die Sie beeindrucken? Frauen mit Vorbildfunktion?
Ich wollte früher immer so sein wie Heike Makatsch. Die fand ich so toll! Ich habe geliebt, wie sie spricht.
Sie sind jung – wie wichtig ist Ihnen der ganze altmodische Gentleman-Kram?
Voll wichtig!
Tür aufhalten …
Steh ich voll drauf.
Was noch?
Ein Erlebnis mit Vitali Klitschko in Hamburg 2010 beim Deutschen Radiopreis: Ich saß an einem Tisch, er saß am Tisch nebenan. Ich wollte aufstehen. Und dann zieht hinter mir jemand den Stuhl weg, sodass ich problemlos rausgehen konnte. Das war der Klitschko. Einfach so. Und ich dachte: Boah, was für ein toller Mann! Wie höflich! Wie aufmerksam! Danke!
Der schlimmste Fehler, den ein Mann machen kann?
Sich von mir die Tür aufmachen lassen und nicht mal Danke sagen. Dann durchgehen und die Tür hinter sich zuziehen.
Macht doch keiner!
Doch.
Wer?
Kann ich Ihnen nicht sagen. Das war jemand, den jeder kennt.
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Bio:
Lena Meyer- Landrut
* 23. Mai 1991
Wer noch nie von Lena Meyer-Landrut gehört hat, muss die letzten zwei Jahre in einer Erdhöhle gelebt haben. Zur Erinnerung: Die Meyer-Landrut, geboren und aufgewachsen in Hannover, gewann 2010 in Oslo den Eurovision Song Contest, nachdem sie in Stefan Raabs Castingshow schon Millionen von Zuschauern begeistert hatte. Bei ihrer Rückkehr wurde sie vom damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff am Flughafen empfangen, das ganze Land feierte sie als »Fräuleinwunder«. Der Rausch nahm erst ab, als Lena im folgenden Jahr noch mal beim ESC antrat, aber auf den hinteren Plätzen landete. Sie kündigte daraufhin eine längere Ruhephase an, zog nach Köln und wollte dort unter anderem studieren. Es kam anders.
Fotos: Frank Schemmann, dpa, Getty (2) Haare & Make up Bild1: Yvonne Meyer