Der entscheidende Schritt

Gibt es etwas Romantischeres, als im Herbst spazieren zu gehen? Wohl kaum. Aber lassen Sie sich vorher von einem Experten beraten.

Viele Menschen gehen jetzt kaum noch vor die Tür. Ganz falsch! Gerade wenn es draußen ungemütlich ist, muss man rausgehen und sich abhärten. Ich gehe selbst bei jedem Wind und Wetter und habe schon ewig keinen Schnupfen mehr gehabt. Ich fühle mich einfach besser, wenn ich draußen war, auch wenn ich vielleicht ein bisschen nass geworden bin.

Der Mensch hat zwei Ärzte, sage ich immer: das linke und das rechte Bein. Mit diesen beiden Ärzten lassen sich viele Erkrankungen behandeln. Eine der wichtigsten Krankheitsursachen in Deutschland ist die Fettleibigkeit - und dagegen hilft Spazierengehen. Man kann sich natürlich auch anders bewegen, doch der Vorteil beim Spazierengehen ist, dass der gesamte Körper beansprucht wird, ohne dass es zu einer Überbelastung einzelner Glieder oder Organe kommt. Beim Dauerlauf ist ja der Schaden durch Abnutzung des Körpers größer als der Ertüchtigungseffekt - besonders, wenn man auf Asphalt läuft, durch die Autoabgase hindurch. Gut, Spazierengehen ist nicht ganz so sportlich, aber man kann ja länger oder schneller gehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass der menschliche Körper dazu gebaut ist, sich anzustrengen. Wenn wir nicht jeden Tag mal aus der Puste kommen, werden wir krank - Leben heißt Bewegung. Ob man beim Spazierengehen viel falsch machen kann? Eigentlich nicht. Das ist ja das Schöne an dieser Sportart: Man kann jederzeit und fast überall spazieren gehen und eine teure Ausrüstung braucht man auch nicht. Aber ein paar Dinge gibt es doch, auf die man achten sollte, bevor man losgeht.

Das Wichtigste sind natürlich feste Schuhe. Für einen Gang durch den Stadtpark muss man keine Wanderstiefel anziehen, aber von Turnschuhen möchte ich abraten. Die Kleidung sollte luftdurchlässig sein und nicht zu eng am Körper anliegen - sonst kommt man ins Schwitzen. Im Winter ist es besser, mehrere Schichten übereinander anzuziehen. Ganz wichtig: möglichst auf gewachsenem Boden gehen, um die Gelenke nicht zu sehr zu strapazieren. Und den Proviant nicht vergessen: ein Stück Käse und ein paar Scheiben Brot, dazu noch eine Flasche Wasser oder Tee - das sollte bei jedem Spaziergang dabeisein.

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Um die Erbauung an der Landschaft geht es beim Spazierengehen natürlich auch. Die Bäume, die Blumen, die Vögel - nirgends ist es schöner und romantischer als in der Natur. Wenn ich von einem Spaziergang oder einer Radtour zurückkomme und etwas geleistet habe, kann ich über die häuslichen Ärgernisse hinwegsehen. Dann habe ich meinen Frieden gefunden. Außerdem komme ich beim Spazierengehen auf ganz andere Gedanken, als wenn ich nur zu Hause sitze. Schließlich wird bei Bewegung auch das Gehirn besser durchblutet. Es sind bestimmt viele interessante Einfälle beim Spazierengehen entstanden. Man denke nur an den Osterspaziergang aus Goethes Faust. Oder an den sogenannten Waldspaziergang, bei dem ein amerikanischer und ein sowjetischer Diplomat 1982 einen bemerkenswerten Abrüstungsvorschlag aushandelten.

Wenn junge Menschen raus in die Natur gehen, müssen es gleich Extremsportarten sein. Einfach nur laufen, das ist ihnen zu eintönig. Das war schon immer so, aber seit in vielen Kinderzimmern ein Fernseher und ein Computer stehen, bleiben die Jugendlichen natürlich noch mehr zu Hause - die Eltern können ihre Kinder ja nicht fürs Wandern bezahlen. Sie können ihnen nur Vorbild sein und hoffen, dass der Nachwuchs irgendwann Gefallen am Spazierengehen findet.

Ich bedauere alle, die in Städten wohnen müssen. Ich möchte bei gutem Wetter nicht im Büro sitzen. Auch bei schlechtem Wetter will ich immer raus; ohne die Verbindung zur Natur wäre ich unausgeglichen. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe jahrelang im Büro gearbeitet. Mein Geschäft waren Kartoffelchips. Chio-Chips, um genau zu sein, diese Marke habe ich erfunden: C steht für Carlo, H für meinen Bruder Heinz, I für meine Mutter Irmgard und O natürlich für Opel. Ich habe die Firma 1961 gegründet und 1977 verkauft. Seitdem betreibe ich eine Reitanlage mit fünfzig Pferden. Dass mir das besser gefällt, können Sie sich wohl denken.

Ob ich ein echter Opel bin? Ja, sicher. Mein Urgroßvater war Adam Opel, der 1862 mit dem Nähmaschinenbau anfing und dessen Söhne später mit Autos weitermachten. Es mag ungewöhnlich erscheinen, dass ausgerechnet ich mich fürs Spazierengehen stark mache, wo doch beim Namen Opel jeder sofort an Autos denkt. Aber mit dem Autobau hat unsere Familie nicht mehr direkt zu tun, seit wir die Firma 1928 verkauft haben. Gut, mein Vater Georg hatte einige Autohäuser in Frankfurt, die nun mein Bruder Gregor führt. Seine Leidenschaft war jedoch der Sport: Er war viele Jahre IOC-Mitglied - und hat 1963 die Stiftung Spazierengehen gegründet.

Ende der Fünfziger wurden die Deutschen immer fauler und dicker. Man war froh, endlich ein Auto zu haben, und ist möglichst viel damit rumgefahren. Mein Vater wollte etwas für die Fitness seiner Mitmenschen tun und hat deshalb die Aktion Goldener Schuh ins Leben gerufen. Wer mitmachen will, erhält von uns ein Kontrollheft, in das er alle seine Spaziergänge einträgt. Für dreihundert Stunden im Jahr gibt es den Goldenen Schuh in Form einer Anstecknadel, für zweihundert den Silbernen Schuh, für hundert den Bronzenen Schuh. Schon über 500 000 Menschen haben sich diese Auszeichnung ergangen.

Seit dem Tod meines Vaters im Jahr 1971 bin ich Vorsitzender der Stiftung. Es ist nicht leicht, in unserer Zeit fürs Spazierengehen zu kämpfen, aber es macht mir nichts aus, gegen die Mehrheit zu sein. Adam Opel hat auch für das gekämpft, was er richtig fand: Den haben die Schneidergesellen mit Steinen beworfen, als er eine Nähmaschine ans andere Mainufer bringen wollte. Wir Opels sind nie mit dem Strom geschwommen: mit den Autos nicht, mit dem Opel-Zoo nicht, in dem mein Vater schon 1956 ein Freigehege für Elefanten und Giraffen eingerichtet hat, mit den Chio-Chips nicht und mit dem Spazierengehen erst recht nicht. Und so werde ich auch weiterhin alles tun, um den Spaziergang zu fördern.

Carlo von Opel, 66, ist seit dem Jahr 1971 Vorsitzender der Stiftung Spazierengehen und lebt in Petersau am Rhein.