Die Gewissensfrage

Darf man geschickte Bankräuber sympathisch finden?

»Das Bild ging um die Welt: Mit unglaublicher Detailverliebtheit haben Bankräuber sich vor ein paar Wochen in Berlin einen Tunnel zum Tresorraum gegraben. Dabei machten die Täter sich zweifelsohne einer schweren Straftat schuldig, doch die Art und Weise ist schon sehr beeindruckend. Meine Frage: Darf man als rechtschaffener Bürger Sympathie für solche Gangster hegen?« Frank L., Karlsruhe

Ich frage mich, ob Ihre Sympathie genauso groß wäre, wenn Sie selbst ein Schließfach in dieser Bank gehabt und die Diebe Teile Ihres Familienschmucks durch den Tunnel abtransportiert hätten. Ansonsten aber befinden Sie sich in illustrer Gesellschaft: in der von Friedrich Schiller und Immanuel Kant. Auch wenn die beiden in diesem Zusammenhang von »Bewunderung« sprachen, was es vermutlich besser trifft. Oder haben Sie das große Verlangen, die findigen Diebe vor lauter Sympathie zu Ihnen nach Hause einzuladen?

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Kant meinte: »Selbst ein Mensch von bösem Charakter…, wenn er gleich durch die Gewalttätigkeit seiner festen Maximen Abscheu erregt, ist doch zugleich ein Gegenstand der Bewunderung« und führte das auf die Seelenstärke zurück, die sich darin zeige. Allerdings müsse die zusammen mit Seelengüte auftreten, um das Ideal der Seelengröße zu formen.

Schiller brachte es in seiner Schrift Über das Pathetische auf den Punkt: »Offenbar kündigen Laster, welche von Willensstärke zeugen, eine größere Anlage zur wahrhaften moralischen Freiheit an, als Tugenden, die eine Stütze von der Neigung entlehnen.« Es geht also um die Freiheit, die ja auch in Kants Ethik ganz zentral ist als Voraussetzung für moralisches Handeln. Deshalb, so Schiller, würden wir auch »den halbguten Charakter mit Widerwillen von uns stoßen und dem ganz schlimmen oft mit schauernder Bewunderung folgen«, »weil es dem konsequenten Bösewicht nur einen einzigen Sieg über sich selbst, eine einzige Umkehrung der Maximen kostet, um die ganze Konsequenz und Willensfertigkeit, die er an das Böse verschwendete, dem Guten zuzuwenden.«

Der Marburger Philosoph Reinhard Brandt weist allerdings in seinem Kommentar zu dieser Stelle bei Kant darauf hin, dass diese Sichtweise nur durch die Isolierung des Willens vom Rest der Person möglich sei. In der antiken Ethik hingegen sei der konsequente Bösewicht nicht bewunderns-, sondern verabscheuenswert gewesen, weshalb auch die Bewunderung für ihn nur auf mangelnder Erkenntnis des Guten beruhen könne. Dem würde ich mich tendenziell auch anschließen, weil ich die Person gern als Einheit betrachte. Sympathie oder Bewunderung für einen Bankräuber scheint mir daher problematisch und allenfalls für die dafür vollbrachte technische Leistung verständlich.

Quellen:

Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Akademie Ausgabe S. 293 Online abrufbar hier

Reinhard Brandt, Kritischer Kommentar zu Kants „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“, Meiner Verlag, Hamburg 1999 (Kant-Forschungen Band 10), Anmerkung zu S. 293, Z. 16-19

Friedrich Schiller, Über das Pathetische, vorletzter Absatz, in verschiedenen Ausgaben unter anderem online bei Projekt Gutenberg

Über die Freiheit als zentralen Punkt von Kants Ethik sehr lesenswert: Theodor W. Adorno, Probleme der Moralphilosophie, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2010

Illustration: Serge Bloch