Die Gewissensfrage

Darf ich die Antiquitäten meiner Großmutter behalten, die ursprünglich jüdischen Flüchtlingen abgekauft wurden?

»Meine kürzlich verstorbene Großmutter hat ein paar Antiquitäten hinterlassen. Wie ich erst jetzt erfahren habe, hat sie diese während der Nazizeit ganz billig jüdischen Flüchtlingen abgekauft. Können wir zwei Generationen später diese Möbelstücke einfach weiter nutzen? Oder sollen wir sie verschenken, verkaufen oder dafür an eine Stiftung spenden?« Sigrid L., Bremen

Das Thema Ihrer Frage ist plötzlich wieder in die Medien gelangt durch den sogenannten Schwabinger Kunstfund: mehr als fünfhundert Bilder, bei denen »ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht ausgeschlossen werden kann«. Der Maßstab ist ein ganz anderer, die ethischen Fragen sind jedoch im Grunde die gleichen. Rechtlich dürfte die Sache für Sie als Privatperson unter anderem durch Verjährung erledigt sein. Nur, und das fühlen Sie, hat es damit nicht sein Bewenden. Hier geht es um die moralische Seite, und die ist bei Weitem nicht so klar.

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Zwei Aspekte scheinen mir von Bedeutung. Der eine liegt in den Gegenständen selbst. Jean Baudrillard verweist in seinem Buch Das System der Dinge darauf, wie sehr einer Sache, speziell bei einer Antiquität, die ja Geschichte repräsentiert, ihre Geschichte anhaftet: So genüge allein die Tatsache, dass ein bestimmter Gegenstand im Besitz einer berühmten Person war, um seinen Preis in die Höhe zu treiben. Hier allerdings ist es keine prominente Geschichte, sondern eine düstere und schreckliche. Der andere Aspekt ist finanzieller Natur. Auch wenn Sie nicht beteiligt waren, sind Sie als Erbe Nutznießer des günstigen Erwerbs und profitieren indirekt von dem damaligen Geschäft.

Was also tun? Ich habe mich kundig gemacht. Eine Recherche nach den früheren Besitzern oder möglichen Erben wäre das Beste, aber auch sehr aufwendig. Wenn es sich um wertvollere Stücke handelt, kann man es über die Webseite www.lostart.de versuchen. Ansonsten gibt es Stiftungen, die Erlöse aus belastetem Erbe an Nachkommen von Geschädigten ausschütten. Oder ein Heimatmuseum könnte interessiert sein, mit den Gegenständen an frühere jüdische Bewohner und deren Vertreibung zu erinnern. Sich einfach an den Antiquitäten zu erfreuen, scheint mir jedoch nun, da Sie um deren Geschichte wissen, kaum mehr möglich.

Verweise:

Jean Baudrillard, Das System der Dinge, Campus Verlag, Frankfurt am Main 1991, dort insbesondere das Kapitel „Das alte Objekt – Zeit und Dauer“, S. 95ff.

Der Souvenir. Erinnerung in Dingen von der Reliquie zum Andenken. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst Frankfurt, 24. Juni – 29. Oktober 2006

www.lostart.de Webseite der Koordinierungsstelle Magdeburg, der vom Bund und allen Ländern getragenen zentralen deutschen Serviceeinrichtung für Kulturgutdokumentation und Kulturgutverluste.

www.claimscon.de Webseite der Claims Conference, Conference on Jewish Material Claims Against Germany, deren Frankfurter Büro ich für Hinweise danke.

Ein Beispiel für eine Stiftung, die zum Ziel hat, Vorteile, die aus der Entrechtung und Vertreibung von jüdischen Bürgerinnen und Bürgern symbolisch zurück zu geben, ist die Stiftung ZURÜCKGEBEN, die Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen jüdischer Herkunft oder jüdischen Glaubens, die in Deutschland leben, fördert: www.stiftung-zurueckgeben.de

Illustration: Serge Bloch