All inklusiv

Bald fliegen die ersten Hobby-Astronauten in den Weltraum. Darunter auch der Deutsche Michael Najjar - er trainiert seit Jahren dafür. Stationen eines langen Starts.

JULI 2011, BERLIN

Michael Najjars Reise ins Weltall beginnt mit einem Brief. Absender: Richard Branson, der britische Milliardär, der Weltraumtourismus so selbstverständlich machen will wie einen Transatlantikflug. Najjar hat bei Bransons Firma Virgin Galactic eine Reise ins All gebucht, als einer der ersten Passagiere überhaupt. Im Brief bedankt sich Branson für die Buchung, schreibt etwas von einem »neuen Kapitel der Raumfahrt« und ernennt Najjar zum »Virgin Galactic Pioneer«. Der Start ist in ein paar Jahren geplant: Ein Spezialflugzeug bringt ein von Bransons Firma entwickeltes Raumschiff mit sechs Sitzen auf 15 000 Meter Höhe, dort zündet der Raketenantrieb und schießt die Passagiere auf 110 000 Meter über dem Meeresspiegel, sie drehen ein paar Minuten lang ihre Runden in der Schwerelosigkeit und schauen auf die Erde hinab. Das Ticket kostet 150 000 Euro, viel Geld für ein bisschen Weltraum-Sightseeing. Aber für Najjar geht es um mehr: Er ist Künstler, seine großformatigen Fotoarbeiten hängen weltweit in Museen. Das Thema seiner Kunst: Technik und die Frage, was sie mit Menschen macht. Für ihn ist der Flug ins All eine Dienstreise: Er will, als erster Künstler im Weltraum, Bilder von seiner Reise ins All machen. Das Ticket haben Sammler seiner Bilder bezahlt, die sich davon spektakuläre Kunstwerke versprechen.

OKTOBER 2011, NEW MEXICO, USA

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Der Weltraumflughafen Spaceport America in der Wüste New Mexicos sieht aus wie eine Qualle aus Beton. Von hier aus sollen die Weltraumtouristen starten, aber noch wird gebaut. »Pioneer Astronauts« wie Najjar bekommen spezielle Führungen, er ist begeistert, macht Fotos und besucht eine Konferenz über kommerzielle Raumfahrt, die Firmen wie Boeing jedes Jahr in New Mexico veranstalten. Zu dieser Zeit hört er von einem Mann namens Andreas Bergweiler, einem Reiseveranstalter mit guten Kontakten zu russischen Kosmonautentrainern. Mit ihm wird sich Najjar über die nächsten Monate 327 E-Mails schreiben, um ein Training in Russland zu organisieren - nur dort dürfen Amateure sich professionell auf Weltraumreisen vorbereiten. »Raumfahrt war lange genug in der Hand staatlicher Organisationen«, sagt er, »jetzt öffnet sich der Weltraum für fast alle.« Michael Najjar ist ein sportlicher Mann mit Lachfalten, der gern Wörter wie »irre« und »unfassbar« verwendet. Sein Weltraumprojekt ist mit diesen Begriffen gut beschrieben: Er will ein möglichst komplettes Astronautentraining absolvieren - und daraus Kunstwerke schaffen. Notwendig wäre diese Mühe nicht. Den Flug mit Virgin Galactic würden halbwegs fitte Menschen auch ohne viel Training hinbekommen, verpflichtend sind nur ein paar Untersuchungen und ein dreitägiger Kurs, »aber warum soll ich mir dieses Abenteuer entgehen lassen?«

»Es ist eben ein Kindheitstraum.«

7. DEZEMBER 2012, SWJOSDNY GRODOK, RUSSLAND

Hobby-Astronauten, die es ernst meinen, landen alle an einem Ort - Swjosdny Gorodok, auf deutsch: Sternenstädtchen, ein Trainingslager für Kosmonauten in Zentralrussland. Am Eingang grüßt eine Statue von Juri Gagarin, der hier trainiert hat und 1961 der erste Mensch im Weltraum war. Najjar hat sich für einige Tage einquartiert, um ein paar Fragen zu klären: Wie verkraftet man die vierfache Erdanziehungskraft, die einen beim Start in den Sitz des Raumschiffs drückt? Und: Wie fotogra-fiert man in der Schwerelosigkeit? Die erste Lektion: »Man muss über alles diskutieren«, sagt Najjar, denn er hat ausgefallene Wünsche. Er will im Raumanzug in einem zwölf Meter tiefen Becken tauchen, in dem eine Nachbildung eines Teils der Raumfähre ISS versenkt ist. Najjar übt das Ein- und Aussteigen, auch wenn er das für seinen Flug gar nicht braucht. Aber es entstehen Fotos, die aussehen, als würde Najjar schweben.

12. DEZEMBER 2012, NISCHNI NOWGOROD, RUSSLAND

Najjar mag die Russen, sie sind pragmatisch. Er hat einen Flug in einem Kampfjet gebucht, »sie lassen einen problemlos mitfliegen, wenn man fit ist und zahlt«. Eine Kamera filmt ihn auf dem Copilotensitz, seinen dreifachen Looping, den Moment, als er bei 1300 km/h die Schallmauer durchbricht. Sein Kommentar: »Die krasseste körperliche Belastung meines Lebens - aber irre faszinierend.«

AUGUST 2013, KÖLN

Einen besseren Probanden als Najjar finden sie im Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin selten. Er nimmt an einer Studie teil, die die Blutgerinnung bei erhöhter Schwerkraft untersucht, um bei künftigen Amateur-Astronauten Thrombosen zu verhindern. Auch hier geht man davon aus, dass der Weltraum-Tourismus ein großes Geschäft wird, an dem Forscher und Ärzte mitverdienen wollen. Najjar ist nach Köln gekommen, um sich in einer Zentrifuge herumschleudern zu lassen, dabei nehmen Ärzte Blut ab, um es für ihre Studie zu analysieren. Er wird mit jeder Drehung bleicher, lacht aber, wie einer, der eine Dauerkarte für die Achterbahn gewonnen hat. Mittags isst er einen großen Teller Pommes.

OKTOBER 2013, GAGARIN-TRAININGSCENTER, RUSSLAND

Das Flugzeug, in dem Najjar für die Schwerelosigkeit trainiert, hat den Spitznamen »Vomit Comet«, Kotzkomet. Es fliegt in Wellen; sobald es aufsteigt, beginnt an Bord eine etwa dreißigsekündige Phase von Schwerelosigkeit. Najjar versucht zu fotografieren, aber es dreht ihn um die eigene Achse. Was er gelernt hat: »Bei der Kamera das Objektiv zu wechseln ist in der Schwerelosigkeit fast unmöglich.«

DEZEMBER 2013, MÜNCHEN

Najjar ist bester Laune, als er von seinem letzten Treffen mit Richard Branson erzählt: Die Raumschiffe seien fast fertig, im Sommer will Branson den Jungfernflug bestreiten, zusammen mit seinen Kindern. Die Technik macht noch ein paar kleine Probleme, aber mehr Sorgen bereiten die Genehmigungen. Weltraumtourismus ist bürokratisches Neuland. Die Raumschiffe gelten offiziell als Raketen und werden langwierig vom US-Verteidigungsministerium geprüft, sagt Najjar. Zum Abschied die wichtigste Frage: Warum tut er sich das alles an? Die Warterei, das Training, die Bürokratie? Najjar überlegt, grinst, und sagt: »Es ist eben ein Kindheitstraum.« Dann holt er ein Foto vom Zimmer seines kleinen Sohnes hervor. An die Wand hat Najjar ein drei Meter großes Bild gemalt. Es zeigt einen Astronauten.

Fotos: Thomas Rusch, Michael Najjar