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Neue Erkenntnisse der Sprachwissenschaft: Mit Hä? kann man sich weltweit verständigen und ausrangierte Kommata verwandeln sich in überflüssige Apostrophe.

Im Rahmen umfangreicher Forschungen hat ein Team um Mark Dingemanse vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen das erste universale, in allen Sprachen gleich klingende und dasselbe bedeutende Wort entdeckt.

Hä? Genau, es ist: Hä. Oder, wie Amerikaner schreiben würden: Huh. Aber sie sagen auch, in etwa: Hä.

Dingemanse und seine Leute haben zunächst zehn verschiedene Sprachen untersucht, nicht nur Spanisch, Chinesisch und Isländisch, auch Eingeborenen-Idiome in Ecuador, Ghana und Australien. Überall gibt es das Hä, überall hat es den gleichen Gehalt: Was meinst du? Man sagt Hä?, wenn man etwas nicht versteht. (Es sei denn, man sagt Bitte? oder Was meinst du?) Die Forscher haben es bereits in 21 weiteren Sprachen gefunden. Jetzt vermuten sie, dass es überall existiert.

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Warum ist das so, wenn sich doch Sprachen in sonst nichts ähneln? Weil sich ihre Entwicklung kaum von der Evolution in der Natur unterscheidet: Haie und Delfine sehen sich auch ähnlich, obwohl sie sonst wenig gemein haben; sie leben nun mal in derselben Umgebung, da kann eine Rückenflosse nicht schaden. Jede Sprache benötigt eben ein Wort, mit dem man schnell und unkompliziert nachfragen kann. Offenbar ist Hä da der ideale Laut.

Übrigens gibt es eine weitere globale Sprachentwicklung: den Verlust des Kommas. Auf Twitter, WhatsApp und in SMS-Nachrichten war das Komma nie en vogue, aber wer heute Schulaufsätze liest, weiß um ein Komma-Sterben großen Ausmaßes, befördert durch eine Rechtschreibreform, die an Stellen, wo das Komma einst verpflichtend gesetzt werden musste, seine Nutzung nun ins Belieben des Autors stellt. Ob das Komma das nächste Jahrhundert noch erleben wird? Im Internet-Magazin Slate las ich ein Zitat des Linguisten John McWhorter von der Columbia-Universität, wonach es nicht mal schade um das Komma sei. Aus einem großen Teil moderner amerikanischer Texte, so McWhorter, könne man die Kommata bei so geringem Verlust an Verständlichkeit entfernen, dass die These vertretbar wäre: Wir brauchen das Komma überhaupt nicht.

Und was ist dann mit dem Satz Let’s eat grandma!, der, kommafrei, die Aufforderung beinhaltet, Großmutter zu essen, in der Version Let’s eat, grandma! sich aber an die Oma selbst richtet: Lass uns essen, Großmutter! Wie viele amerikanische Großmütter verdanken ihr Leben einem Komma, Professor McWhorter?

Ich bin ein Freund des Kommas. Ich liebe das unauffällige Häkchen am Boden unserer Sätze, ich mag den Rhythmus, den es ihnen verleiht, die Klarheit und Struktur. Das Komma ist eine kulturelle Errungenschaft, die wir nicht hergeben sollten. Vor seiner Erfindung gliederte man geschriebene Sätze mit Schrägstrichen, Virgeln hießen die. Davor musste man jeden geschriebenen Satz beim Lesen vor sich hin murmeln, um ihn verstehen zu können. Wer will das? Den Komma-Verächtern rufe ich zu: Komma her!
Kennen Sie noch Siw Malmkvists berühmtem Schlager Liebeskummer lohnt sich nicht, my darling? Viele Musikfreunde hören Liebe Komma lohnt sich nicht, worin sich erstens die so tiefe wie unbewusste Sehnsucht der Menschen nach Kommata offenbart, zweitens aber klar wird, wie sehr ein mitgesungenes Komma den Sinn auch eines Schlagers ins Gegenteil verkehren kann: Liebe, lohnt sich nicht. Plötzlich lohnt sich nicht einmal die Liebe mehr …

Außerdem fällt ja auf: Je weniger Kommata gesetzt werden, desto mehr Apostrophe erscheinen. Leser W. schickte dem Wortstoffhof, was er am Kiosk eines Münchner Krankenhauses gelesen hatte: »Warme Leberkä’s Semmel«. Banken boten ein »Konto für’s Leben« an, in der Schweiz gibt es Bier namens »Wädenswiler Ur-Pil’s«.

H’ä?

Ja, mit dem Komma verhält es sich wie mit der Plastiktüte: Ist es einmal in der Welt, verschwindet es nicht mehr, und wird es unten nicht mehr verwendet, hüpft es nach oben. Wie alter Kunststoffmüll sinnlos durch die Weltmeere treibt, so verseuchen ungenutzte Kommata unsere Sprache. Es wird alles ganz schrecklich, ohne Komma.

Illustration: Dirk Schmidt