Gut, weil böse

Endlich dürfen Frauen in Serien mehr sein als immer nur nett und adrett: Sie lügen, sie mobben, sie erpressen und drücken die Anrufe ihrer Kinder weg. Herrlich!

Sie tritt dem Typen in die Eier, der sackt zusammen, sie ruft »Hilfe, mein Mann, ihm geht’s schlecht, bitte!« Im Tumult verschwindet sie und lächelt. Und wie sie lächelt! Weil sie ihren Verfolger abgeschüttelt hat. Weil sie gut ist im Job, irre gut. Und wenn sie gut ist im Job, ist Carrie Mathison froh. Carrie Mathison ist CIA-Agentin in der Serie Homeland. Die dritte Staffel läuft in diesen Tagen im Fernsehen an. Und auch wenn einige Männer in Homeland von Bedeutung sind, dreht sich die Serie im Grunde um Carrie.

Carrie ist besessen von ihrem Job. Und sie ist besessen von der Idee, dass ein Kriegsheimkehrer, der acht Jahre im Irak gefangen war, von einem osamabinladenhaften Terroristenführer umgedreht wurde. Sie ist die Einzige, die das glaubt. Am Ende der ersten Staffel wird ihr klargemacht, dass sie unrecht hat. Obwohl der Zuschauer längst weiß, dass sie recht hat. Ihre Vorgesetzten demütigen und feuern sie. Das macht sie fertig. Was sie aber richtig fertig macht, ist der Gedanke, dass sie sich noch nie in einer Sache so sicher war. Und noch nie so falsch gelegen hat. Denn Carrie will die Beste sein, vor sich und vor allen anderen. Wenn sie das nicht schafft, wird sie unglücklich. In solchen Momenten schlägt ihre Krankheit zu: Sie ist manisch-depressiv. Sie nimmt Medikamente. Oder dreht durch. Manchmal dreht sie auch durch, wenn sie die Medikamente nimmt.

Ihr Wahnsinn und ihr Ehrgeiz, ihre Hysterie, ihr Starrsinn und die Art, wie sie sich die blonden Haare aus der Stirn streicht, können unfassbar nerven. Aber es ist toll, dass sie so ist, wie sie ist. Denn Eigenschaften wie sie haben im Fernsehen sonst eher Männer.

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Wenn Frauen in Film und Fernsehen ihr Leben und das anderer gefährden, machen sie das normalerweise, um ein Baby aus einem brennenden Haus zu retten oder sonst etwas Gutes zu tun. Carrie macht es, weil sie in einer Wohnung Informationsmaterial vermutet. Ihr Job ist ihre Mission. Leistung ist das Prinzip, dem sie sich unterwirft. Sonst zählt nichts, nicht einmal die Emanzipation. Es ist nie Thema in Homeland, dass sie eine Frau in einer Männerwelt ist.

Im Mittelpunkt der dänischen Serie Borgen steht auch so eine Frau. Anfangs ist es noch leicht, Birgitte Nyborg zu mögen: Sie ist die Premierministerin Dänemarks und möchte eine gute Politikerin sein, die ihre Seele nicht verkauft. Abends kommt sie nach Hause, streift die Stöckelschuhe ab und bedankt sich zärtlich bei ihrem Mann, der den Kindern das Abendbrot macht und ihr ein Glas Rotwein reicht, dafür, dass er so ein toller Mann ist.

Doch dann: Birgitte Nyborg arbeitet und arbeitet und arbeitet. Sie macht die ersten Kompromisse, auch weil sie nun ihre Macht gern erhalten möchte. Ihr Mann hat nach seinem Hausmanndasein wieder einen Job in der Wirtschaft. Wegen eines Interessenkonflikts mit der Politik fordert sie ihn auf, zu kündigen. Er will darüber reden. Es ist morgens sechs Uhr, sie steht ihm gegenüber, die Frisur perfekt, die weiße Bluse gestärkt. Sie sagt, dass es da nichts zu diskutieren gibt. Er soll sich an ihre Anordnungen halten. Da ist es nicht mehr so leicht, sie zu mögen. Weil sie viel vom Leben will, nimmt sie es sich, auf Kosten anderer. Das ist nicht die feine weibliche Art. Natürlich lässt der Mann sich das nicht gefallen, die Ehe zerbricht. Birgitte Nyborg allerdings zerbricht daran nicht, sondern macht weiter: arbeitet und arbeitet und arbeitet.

Frauen, die sich was trauen; Frauen, die gemein sind, ruppig, bissig, skrupellos, böse, ehrgeizig, leistungsfähig, selbstbestimmt, attraktiv, charmant; Frauen, denen es egal ist, was die anderen denken, wenn sie etwas wirklich wollen: Solche Frauen gibt es plötzlich ausgerechnet im Fernsehen. In den Serien aus den USA und Dänemark, über die sowieso am meisten geredet wird, weil die Leute süchtig nach ihnen sind. Die Drehbuchautoren haben den Bogen raus. Ob das auch daran liegt, dass sie aus den Frauen komplexe Menschen mit Handlungs- und Entwicklungsspielraum machen?

Zoe Barnes, Journalistin beim Washington Herald aus House of Cards zum Beispiel, geht mit dem doppelt so alten Abgeordneten Underwood, gespielt von Kevin Spacey, ins Bett, um an exklusive Informationen zu kommen. Zoe tut das nicht, weil sie sonst in einer Männerwelt keine Chance hätte. Zoe ist kein Opfer. Zoe ist smart. Auch sie will die Beste sein. Und wer es schafft, eine Affäre mit einem Kongressabgeordneten zu haben, der hat gute Karten in Washington. Bessere Karten als die Männer. Manchmal ist Zoe dem großen Intriganten Underwood unterlegen. Manchmal allerdings handelt sie für ihn so unvorhersehbar, dass sie ihm überlegen ist.

Man könnte die Staranwältin Patty Hewes in Damages als weibliche Version von Underwood betrachten. Wie er geht sie über Leichen, im Wortsinn, um ihre Ziele zu erreichen. Man könnte Patty Hewes aber auch als so etwas wie die Blaupause der neuen Fernsehfrauen betrachten: Glenn Close spielt sie mit einer beispiellosen Akkuratesse und Eiseskälte. Patty Hewes ist immer tiptop angezogen, bestens informiert, verbal überlegen, höflich, kontrolliert und unfassbar skrupellos. Das ist erst mal gewagt und sehr spannend, zwei Staffeln lang. Dann wird es langweilig, denn Patty Hewes ist immer gleich.

Die starken Frauen in den neuen Serien sind facettenreicher als Patty Hewes. Sie haben Schwächen oder zumindest schwache Momente. Sie haben Geheimnisse und verheddern sich darin. Sie haben Motive. Sie dürfen überraschen, sich entwickeln, sich widersprechen. Sie sind nicht die auf dem Reißbrett entworfene starke Frau, sondern interessante, lebendige Menschen. Heldinnen, wie es bisher kaum welche gab.

Birgitte Nyborg, der dänischen Premierministerin, fliegt ihre Ehe um die Ohren. Ihre Tochter flippt aus. In einem schwachen Moment schläft Birgitte Nyborg mit ihrem Chauffeur – und lässt ihn am nächsten Tag degradieren. Sie ist widersprüchlich und sitzt manchmal in der Klemme. Weil sie lebt.

Carrie Mathison aus Homeland ist »die klügste und die dümmste Frau«, die er kennt, sagt ihr Vorgesetzter und Mentor Saul Berenson. Carrie ist hochbegabt, aber auch beschädigt. Sie kann klein und schwach sein, zitternd im Bett liegen, zu viel Wein trinken, Vorschriften ignorieren. Sie verliebt sich ausgerechnet in ihren Hauptverdächtigen. Sie schläft mit diesem Mann, einmal ist sie dabei verkabelt. Sie will ihn überführen und zum Doppelagenten machen. Im Namen der CIA. Im Namen des Vaterlands.

Die Liebes- und Sexszenen zwischen Carrie und Nicholas Brody sind kaum auszuhalten. Die beiden halten so viel voreinander geheim, während sie einander so nahe sind. Ständig fragt man sich, was Carrie wichtiger ist: der Job oder der Mann. In den ersten beiden Staffeln ist es der Job. In der dritten Staffel hat Carrie eine neue Mission: Sie will den Namen ihres Geliebten reinwaschen. Was einem Verrat an der Carrie der ersten beiden Staffeln gleichkommt. Denn diese neue Mission entspricht wieder dem weiblichen Rollenklischee. Hoffentlich ist es nur eine Phase.
(Fotos: dpa, action press, allpix press)