Das Beste aus aller Welt

Überall auf der Welt verschwinden Tiere: Bienen, Seesterne, Salamander, Fische. Unser Kolumnist findet, wir sollten auch die Kleinsten im Blick behalten, wenn es um die Zukunft unseres Planeten geht.

Jede Zeit hat ihre Irrtümer. Plinius der Ältere, der 79 nach Christus beim großen, die Städte Pompeji und Herculaneum vernichtenden Ausbruch des Vesuvs ums Leben kam, dieser Plinius also (einer der größten Naturbeobachter seiner Zeit) hielt den Salamander für »das größte Scheusal« unter den Tieren. Sein Gift sei dermaßen tödlich, dass man noch am Verzehr eines Wildschweins, das seinerseits einen Salamander gefressen habe, unter schauderhaften Krämpfen sterbe, und wenn ein Mensch nur mit der Zehenspitze den Schleim eines Salamanders berühre, verliere er sämtliche Haare.

Außerdem sei das Tier so kalt, dass es Feuer zum Erlöschen bringe.

Heute lesen wir in der New York Times von der Nützlichkeit des Waldsalamanders. Der nämlich verzehre infolge seines enormen Appetits so viele Ameisen, Fliegen, Käfer und Larven aller Art, dass er ein Klimaschützer ersten Ranges sei, aus folgendem Grund: Die Blätter der Bäume des Waldes speicherten in riesigen Mengen Kohlenstoff, der auf diese Weise nicht in die Atmosphäre gelange; Blatt für Blatt falle zu Boden, wo Kohlendioxid für immer aufbewahrt werde. Der Käfer hingegen zum Beispiel fresse Blätter und zerstöre Bäume, die deshalb kein Kohlendioxid speichern könnten, auf diese Weise trage er zum Klimawandel bei – woran er nur vom Salamander gehindert werde, dem der Käfer als Mahlzeit diene.

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Das mag angesichts der geringen Größe von Molchen und Insekten unwichtig scheinen, aber da Millionen und Abermillionen der Tiere in den Wäldern leben, ist es das eben nicht. Stürbe der Salamander aus, würden Wälder von Käfern vernichtet. Und die Wahrheit ist: Er ist auf dem besten Wege auszusterben. In den vergangenen 55 Jahren sind die Salamander in amerikanischen Nationalparks nicht nur der Zahl nach weniger geworden, auch jeder einzelne von ihnen ist geschrumpft; die Tiere sind um acht Prozent kleiner geworden, »eine der größten und raschesten Veränderungen, die man je bei Tieren beobachtet hat«, wie Karen Lips von der Universität Maryland sagt.

Warum preisen wir nicht täglich die Lurche dieser Welt? Warum wissen wir kaum etwas über sie? »So ist das eben«, schreibt die Times, »wenn du unter Steinen lebst.«

Der Salamander ist ja nur ein Beispiel. Überall auf der Welt verschwinden die Bienen, von Parasiten und Pestiziden bedrängt; ohne Bienen aber könnte die Menschheit einpacken, es gäbe nichts mehr zu essen. Und vor der Westküste der USA zum Beispiel wütet unter den Seesternen die schlimmste Epidemie, die es je gab, den Tieren fallen die Arme ab, sie lösen sich einfach auf, Ursache unbekannt. Der Seestern aber ist ein wichtiges Raubtier wie der Salamander, er frisst Seeigel, die nun, da sie sich in Massen vermehren können, jene Seetangwälder abgrasen, in denen zahllose Arten von Fischen sich gern verstecken und vermehren würden.

Apropos Fische. Fast hätte ich eine Mitteilung des Landesfischereiverbandes Bayern übersehen, wonach im Freistaat Stör und Lachs, wohl bald auch der Aal ausgestorben seien, in den Flüssen des Landes herrsche »ein verheerender Zustand« – warum? Unter anderem wegen des Ausbaus der Wasserkraft, die Fische könnten nicht mehr wandern, in den Turbinen der Kraftwerke werden sie zerfetzt. Wäre man böse, könnte man sagen: Ein Aufschrei ginge durchs Land, wäre das nicht die Folge der Energiewende, sondern des Betriebs von Atomkraftwerken. Ist es aber nicht. Deshalb regen sich nur ein paar Fischer auf.

Aber man ist ja nicht böse. Man möchte nur ab und zu mal den Blick aufs Unbekannte und Unscheinbare lenken, auch aufs Komplizierte, Übersehene und Verdrängte. Und darauf, dass man über die Ahnungslosigkeit Plinius des Älteren nicht sooo sehr lächeln sollte. Denn es könnte sein, nein, es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass man über uns in weiteren zweitausend Jahren auch lächelt. Oder uns einfach ein bisschen doof findet.

Falls dann noch jemand da ist.

Illustration: Dirk Schmidt