»Eine Leiche ist ausreichend«

Der Tatort ist ein Fernseh-Phänomen: Seit 44 Jahren schauen sonntagabends Millionen Zuschauer die Krimiserie. Fünf TV-Kommissare über Quotendruck, Dienstwaffen und den miesen Job, das Mordopfer zu spielen.

Berlin-Neukölln, zweiter Hinterhof, ein neues Lokal mit dem Namen »eins44«. Keiner der fünf »Tatort«-Kommissare, die das »SZ-Magazin« eingeladen hat, kannte es. Woher auch, könnte man fragen, Ulrike Folkerts zum Beispiel ist doch in Ludwigshafen unterwegs und Klaus J. Behrendt in Köln. Stimmt, bei ihren Ermittlungen schon, aber wohnhaft ist Folkerts in Berlin-Wedding und Behrendt in Berlin-Charlottenburg. Dominic Raacke wiederum, der 14 Jahre den Berliner Ermittler Till Ritter spielte, wohnte in dieser Zeit stets in München – erst kurz bevor er die »Tatort«-Rolle im vergangenen Jahr aufgab, war er nach Berlin gezogen. Wie auch immer: nettes Lokal hier. Und noch der Vollständigkeit halber: Sabine Postel wohnt nicht in Bremen, wo man sie als Kommissarin Inga Lürsen kennt, aber immerhin im Norden: in Hamburg. Nur Adele Neuhauser, die Bibi Fellner im österreichischen »Tatort«, lebt tatsächlich in Wien. Ein heißer Sommerabend, es wird viel Weißwein und noch mehr Wasser getrunken. Unsere erste Frage an die »Tatort«-Kommissare drängt sich förmlich auf:

Frau Folkerts, wo waren Sie gestern zwischen 20 und 21 Uhr?
Ulrike Folkerts:
Zu Hause. Ich habe mit meiner Freundin gekocht, wir waren froh, dass die Handwerker weg waren, und haben in Ruhe gegessen.

Kann Ihre Freundin das bezeugen?
Folkerts:
Rufen Sie sie an.

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Herr Raacke, haben Sie Feinde?
Dominic Raacke:
Nicht, dass ich wüsste.

Typischer Satz von einem, der Dreck am Stecken hat. Denken Sie lieber noch mal nach.
Raacke:
Nee, ich hab keine Feinde.

Welchen Satz haben Sie in Ihren Jahren als Tatort-Kommissare am häufigsten sagen müssen?
Raacke:
Den ersten: »Wo waren Sie gestern Abend?« Kommissare stellen wahnsinnig viele Fragen.
Sabine Postel: Die Kunst ist, nicht stereotyp zu werden. Wenn man zehn Fragen hintereinander stellen muss, kann das furchtbar langweilig klingen.

Tut es anscheinend nicht. Wir treffen uns heute, weil der Tatort so populär ist wie nie.
Adele Neuhauser:
Er war immer populär. Nur wurde nie so viel drüber geredet wie jetzt. Unter den Zuschauern hat ein Generationswechsel stattgefunden, es herrscht Aufbruchstimmung: Um welches Thema wird es gehen? Was macht mein Lieblingskommissar diesmal? Das ist vielleicht der Unterschied.
Klaus J. Behrendt: Ich denke, die WM 2006, die Erfahrung mit Public Viewing, das hat die jungen Leute geprägt: Sie haben begriffen, dass man an ganz anderen Orten als zu Hause fernsehen kann, und zelebrieren das Tatort-Schauen als kollektives Erlebnis.
Folkerts: Aber kürzlich hatte ich mit einem Maskenbildner und einer Stylistin zu tun, 31 und 27 Jahre, die haben noch nie Tatort geguckt.
Postel: Was?
Folkerts: Die haben nicht mal einen Fernseher. Sie laden sich alles aufs iPhone runter, auch Filme. Ich glaube also eher, dass es die Medien geschafft haben, den Tatort zu einem gesellschaftlichen Phänomen zu machen. Ich habe noch nie so viele Analysen darüber gelesen wie in jüngster Zeit.
Neuhauser: Weil wir gesellschaftlich relevante Themen aufgreifen: Menschenhandel, Jugendkriminalität – das ist das, was der Tatort kann. So, wie sich die Gesellschaft ändert, so ändert sich eben auch der Tatort.
Raacke: Es ist ein Phänomen unserer Zeit, dass sich bestimmte Marken auch deswegen durchsetzen, weil es sie schon so lange gibt: Die Tatort-Melodie kannte ich schon als Kind – allerdings musste ich dann leider immer ins Bett. Und wir erzeugen Heimatgefühle, weil es für jedes Sendegebiet einen anderen Kommissar gibt. Da ist uns was gelungen, was anderen nicht gelungen ist.
Postel: Außerdem haben wir den besten Sendeplatz der Woche. Am Sonntagabend schauen alle, weil sie sich entspannen möchten.

Der Philosoph Wolfram Eilenberger schreibt im neuen Sammelband Der Tatort und die Philosophie, der Krimi am Sonntagabend ersetze den Kirchgang am Morgen und sei ein »gesellschaftsdeckendes Reinigungs- und Reflexionsritual«.
Postel: Das finde ich verstiegen.
Raacke: Na ja, wir haben eine hundertprozentige Aufklärungsquote bei den Verbrechen. Das ist ja eine Art Reinigung.
Behrendt: Dass man geläutert ist, wenn der Mörder gefunden ist, sehe ich nicht.
Folkerts: Wenn du mit Kinderpornografie zu tun hast oder mit Frauenhandel, dann sind das ja keine Themen, die sonntags um 21.45 Uhr erledigt sind. Der Mörder mag gefasst sein, das Problem bleibt.
Postel: Aber es gibt den Zuschauern ein gutes Gefühl, wenn ihnen wenigstens in einer Sache Gerechtigkeit widerfahren ist.
Neuhauser: Ich habe Probleme, unsere Sendung mit der Kirche zu vergleichen: Wir zeigen doch eine Parallelwelt, in der ganz andere Gesetze herrschen, zum Beispiel beim organisierten Verbrechen. Das Faszinierende für den Zuschauer ist immer die Frage: Wie kommt jemand dazu, ein Verbrechen zu begehen?

Herr Behrendt, Sie haben mal Parallelen gezogen zwischen Fußball und Tatort: Beide dauern etwa 90 Minuten, und beide beginnen mit einer Art Hymne, jedenfalls die Länderspiele.
Behrendt:
Wie beim Fußball gibt es beim Tatort verschiedene Teams, und jedes Team hat seine eigenen Fans. Das finde ich toll.
Neuhauser: Mit nur einem Team wäre es nie so spannend. Der Vergleich zwischen den Teams ist für Tatort-Fans auch eine Art Sport.
Raacke: Viele Teams bedeutet, auf verschiedenen Beinen zu stehen, das macht die Serie stabil. Derrick zum Beispiel war mit Horst Tappert vorbei. Der entscheidende Faktor des Erfolges ist aber, dass man sich ständig erneuert.

Frau Neuhauser, nimmt man in Österreich den deutschen Tatort genauso wichtig wie den österreichischen?
Neuhauser:
Der deutsche Tatort ist bei uns sehr beliebt, und seit der österreichische Tatort in Deutschland so großen Zuspruch erfährt, wird er auch in Österreich mehr geschätzt.

Sind die Kommissare aus Münster auch dort die erfolgreichsten?
Neuhauser:
Ja, natürlich!
Folkerts: Das Phänomen Münster ist ja bekannt. Zwar kann man sich fragen, ob das nicht viel eher eine Krimi-Komödie ist, aber ich finde, so was hat Platz in diesem Genre.
Neuhauser: Wenn alle Kommissarteams so vorgehen würden wie die Münsteraner, würde sich die Serie in kürzester Zeit auflösen. Das ist nicht die Kraft des Tatorts. Die liegt im Aufgreifen der brisanten Themen.

Hat jemand von Ihnen eigentlich einen Waffenschein?
Postel, Folkerts, Neuhauser:
Nee.
Behrendt: Braucht man nicht für den Job.

Mit welchen Waffen schießen Sie? Ist das Plastikspielzeug?
Behrendt: Nee, die sind echt.
Folkerts: Geblockte Polizeipistolen.
Behrendt: Echte Knarren, mit denen man aber nicht schießen kann.

Haben Sie alle ein Praktikum bei der Polizei gemacht, um zu lernen, wie man eine Waffe hält?
Behrendt:
Nee, aber Schießtraining.
Postel: Ja, aber das ist eh völlig unrealistisch.

Das Schießtraining?
Postel:
Nee, was wir später machen. Jeder normale Polizist hält seine Waffe nach unten, wenn er sie gezogen hat. Wir Schauspielkommissare halten sie aber immer an die Brust, weil sie sonst aus dem Bild fällt und der Zuschauer sie nicht mehr sieht.
Behrendt: Wenn wir die Polizeiarbeit eins zu eins abbilden müssten, würden wir von den 90 Filmminuten etwa 70 oder 80 im Büro verbringen, in den Computer glotzen oder Akten lesen.

Was machen Sie sonntags um 20.15 Uhr?
Folkerts:
Ich schau fast immer Tatort. Auch unter dem Aspekt: Was dürfen die anderen? Wie viel Gewalt, wie viel Brutalität darf man zeigen? Dürfen Kommissare Fehler machen? Kriegen Sie Raum über die Fälle hinaus, ihre Persönlichkeit weiter zu entwickeln? Die Teams aus Köln und Dortmund, Wien und Bremen finde ich sehr interessant.

»Ich finde den Tatort eine ganz wunderbare Erfindung. Ich gucke aber keinen.«



Frau Neuhauser, gibt es ein Tatort-Team, das Sie gar nicht mögen?
Neuhauser:
Nächste Frage.
Postel: Ich bin total spießig: Ich gucke sonntags immer, bei jedem Wetter. Wenn ich irgendwo eingeladen bin, gehe ich nicht hin. Ich weiß, ich könnte mir das auch am nächsten Morgen in der Mediathek angucken. Aber das ist für mich nicht das Gleiche. Und wenn ich die Kölner sehe mit Klaus und Dietmar, denke ich mir: Guck mal, wie schön die das wieder machen. Da freu ich mich. Und wenn die Anfangsmelodie ertönt, dann freue ich mich auch. Grundsätzlich schaue ich die Kollegen, mit denen ich älter geworden bin, lieber, also euch zum Beispiel – und die Münchner Nemec und Wachtveitl würde ich unbedingt auch noch nennen.

Herr Raacke, Sie sind seit Februar kein Kommissar mehr, schauen Sie sonntags noch Tatort?
Postel
: Jetzt kannste ja mal offen reden, Dominic.
Raacke: Ich finde den Tatort eine ganz wunderbare Erfindung. Ich gucke aber keinen, auch nicht in der Mediathek. Natürlich hab ich mir die eigenen angeschaut, das muss ich ja schon wegen der Pressearbeit machen. Aber ich oute mich jetzt als Schnösel: Ich lade mir lieber amerikanische Serien wie True Detective oder House of Cards runter.
Postel: Na, das musst du ja nicht ausgerechnet am Sonntagabend gucken.
Raacke: Doch, der Sonntagabend ist ein schöner Abend. Aber auch da stelle ich mir mein Programm selbst zusammen. Der Tatort wird schon noch ein paar Jahre überleben, ihr alle, die ihr hier sitzt, werdet auch noch älter damit. Langfristig aber werden sich das Fernsehen und seine Strukturen auflösen, das wird uns allen gut tun, und es wird nicht mehr das Totschlagargument geben, man habe nicht genug Quote gemacht oder den falschen Sendeplatz gehabt.
Postel: Wir brauchen vor allem junge Zuschauer. Aber was bedeutet jung? Definiert wird die Zielgruppe als 14 bis 49 Jahre alt, glaube ich. Das ist ja eine große Spanne.
Raacke: Da fallen wir alle raus, die wir hier am Tisch sitzen. Das heißt, bei dir, Ulrike, weiß ich es nicht genau.
Folkerts: Das ist jetzt charmant gesagt.

Herr Raacke, Sie haben 14 Jahre lang den Berliner Ermittler Till Ritter gespielt. Ist eine Last von Ihnen gefallen, als Sie damit aufhörten?
Raacke:
Das ist eine totale Befreiung. Denn in gewisser Weise ist meine Rolle über die Jahre zu einer Art Korsett geworden, das von mir abgefallen ist.

Frau Folkerts, Sie sind die dienstälteste Tatort-Kommissarin, Sie spielen die Lena Odenthal seit 1989. Wie lange wollen Sie den Job noch machen?
Folkerts:
Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten. Ich entscheide von Jahr zu Jahr, von Buch zu Buch. Manchmal habe ich schon gedacht, ob das nun Lieschen Müller spielt oder ich, ist völlig egal, ich steige aus. Oder ich kämpfe darum, dass es besser wird. Ich habe mich fürs Kämpfen entschieden. Ein banales Beispiel: Lena Odenthal hat eine Katze. Das wird mal erwähnt, aber man sieht sie nicht, die Katze steht einfach nie im Drehbuch.
Postel: Die ist zu teuer, was?
Raacke:
Nee, die ist tot!
Folkerts: Nee, da hat nur keiner Bock drauf, die reinzuschreiben. Lena ist eine alleinstehende Frau mit einer Katze. So wie Millionen von Zuschauern auch. Das ist elementar. Dass da wenigstens ein Wesen ist, um das man sich kümmern muss. Also muss ich mir selbst ausdenken, wie die Katze halbwegs sinnvoll in die Geschichte eingebettet werden kann. Oder: Mir macht es total Spaß, im Krimi hinter Leuten herzurennen, mich mit ihnen zu kloppen – aber nein, so was steht kaum je im Buch.
Postel: Das ist auch eine Frage des Geldes.
Folkerts: Nein, das ist Fantasielosigkeit, das geht mir auf den Keks. Was wir nicht vergessen dürfen: Man baut als Kommissarin ein Image auf, das verhindert, in anderen Rollen besetzt zu werden. Ich bin aber Schauspielerin, ich will verschiedene Charaktere spielen. Und ich hab Zeit. Ich drehe ja nur zwei Mal sechs Wochen im Jahr Tatort. Zum Glück habe ich gerade im ZDF einen wunderbaren Herz-Schmerz-Film gespielt, der lief am Sonntagabend.
Raacke: Auch noch gegen den Tatort!
Postel: Das ist ja auch gescheit. Wenn wir Quote in der ARD holen, dann holen wir sie auch auf einem anderen Sender.

Herr Behrendt, Sie spielen den Max Ballauf nun auch schon mehr als 17 Jahre. Wären Sie wie Herr Raacke befreit, wenn Sie aufhören würden?
Behrendt:
Ich sehe das total anders: Ich mach das wahnsinnig gern. Im Grunde macht mich der Tatort sehr, sehr glücklich.
Raacke: Ich zweifle dein Glück nicht an.

Frau Postel, lieben Sie nach 17 Jahren Ihre Rolle als Kriminalhauptkommissarin Inga Lürsen noch?
Postel: Ich freue mich immer auf die Dreharbeiten. Ich habe das Glück, dass ich bei diesem kleinen Bremer Sender … Was ist denn jetzt los? Herr Behrendt und Herr Raacke verlassen demonstrativ den Tisch, wenn Frau Postel redet?
Raacke: Wir müssen nur kurz aufs Klo.
Postel:
Na gut.
Neuhauser: Ich bin erst drei Jahre dabei und will noch lange nicht aufhören.

Woran merken Sie beim Lesen, dass ein Drehbuch nicht gut ist?
Folkerts:
Wenn man das Ding schon auf Seite 20 in die Ecke schmeißt.
Postel: Schlechte Drehbücher erkennt man auch daran, dass Dinge falsch sind, wenn da steht: »Sie raucht hektisch.« Ich habe aber noch nie in der Rolle geraucht, ich rauche auch privat nicht. Das sieht bei mir immer furchtbar blöd aus.
Raacke: Oft liegt man aber auch falsch mit seiner Einschätzung vom Drehbuch. Wie oft fand ich eins durchschnittlich, aber am Montag nach der Sendung sagten alle: Großartig! Und die Quote hat das auch noch bestätigt.

Frau Neuhauser, Sie haben eine Bibi-Bibel geschrieben. Warum brauchen Sie die für Ihre Rolle?
Neuhauser:
Ich habe die Figur auf den Leib geschrieben bekommen – und plötzlich, nach zwei, drei Tatorten, war Bibi schon keine Alkoholikerin mehr, sie war geläutert. Mir ging das alles zu schnell. Darum habe ich aufgeschrieben, was meine Figur tut und was nicht. Dass sie sich zum Beispiel ihr altes Auto nicht wegnehmen lässt, auch wenn der Pontiac Firebird ständig kaputt ist. Natürlich müssen wir Geld sparen, aber so ein Auto sagt viel über die Figur aus. Darum müssen wir Schauspieler uns kümmern.

Die Kölner fahren auch mit den schärfsten Schlitten rum.
Behrendt:
Die ständig kaputt sind.
Postel: Oft nutzt das Kümmern auch nichts. Ich zum Beispiel hab schon seit mehreren Folgen keine Wohnung mehr.
Neuhauser: Eine obdachlose Kommissarin!
Postel: Man müsste sonst jedes Mal eine Wohnung neu anmieten, und man müsste sie immer streichen und möblieren wie die davor. Es wird nun einfach umschifft, dass ich heimatlos bin.

»Wer im Tatort Leiche spielen muss, hat echt die Arschkarte gezogen!«

Herr Behrendt, Ihr Kommissar Max Ballauf wohnt nun nicht mehr in einer Pension, aber auch nicht auf der Straße wie Ihre Bremer Kollegin?
Behrendt: Nein, Ballauf hat es geschafft, in eine kleine Wohnung zu ziehen.
Neuhauser: Ich hab mal in einer Altbauwohnung gewohnt, aber schon lang nicht mehr.

Wenn die Wohnung und das Auto des Kommissars auf einmal verschwinden, die Katze nicht vorkommt – wird der Tatort, das Vorzeigeprojekt der ARD, kaputt gespart?
Behrendt:
Der Großteil der Gebühren geht ja bei der ARD nicht fürs Programm drauf, sondern für die Pensionen ehemaliger Mitarbeiter.
Neuhauser: Wie beim ORF.
Postel: Wir hatten schon Folgen, wo nicht nur meine Wohnung fehlte, sogar das Kommissariat gab es nicht mehr!
Behrendt: War bei uns auch schon mal der Fall.

Am Anfang wurden für einen Tatort 44 Drehtage pro Folge festgelegt. Wie viele Drehtage sind es heute?
Postel:
21.
Neuhauser: 21.
Raacke: 22.

Herr Behrendt, Sie sind ja ganz still. Stimmt es, dass Sie sich vertraglich 23 Drehtage haben festschreiben lassen?
Behrendt:
Ja.
Folkerts: In meinem Vertrag stehen sogar 24. Darauf bestehe ich. Ich muss ja für das Ergebnis den Kopf hinhalten.
Behrendt: Um diesen einen Tag mehr beneide ich dich sehr!
Postel: Die Krux ist, dass die Qualität gesteigert werden soll, die Arbeitsbelastung aber auch bei weniger Drehtagen gleich bleibt. Erst waren es acht, dann zehn oder zwölf Stunden pro Tag, mittlerweile sind 14 oder 16 Stunden bei 21 Drehtagen fast die Regel.

Die Teams aus Ludwigshafen, Stuttgart und Konstanz teilen sich in Baden-Baden ein dreistöckiges Haus. In jedem Stockwerk befindet sich ein anderes Kommissariat.
Folkerts:
Ja, wir sind alle Nachbarn.
Behrendt: Wir in Köln teilen uns mit den Münsteranern nicht nur dasselbe Kommissariat, sondern auch dieselbe Pathologie.
Postel: Wir arbeiten leider immer noch in einer echten Pathologie.

Wirklich?
Postel:
Ja, ganz schön grenzwertig. Habt ihr eigentlich in Köln eine, die für euch gebaut ist?
Behrendt: Ja, und sie steht seit Jahren.

Und Sie haben in Köln mit Joe Bausch einen echten Gefängnisarzt.
Behrendt: Joe ist klasse. Der sagt schon mal, dass ein Satz im Drehbuch Mist ist, und formuliert ihn um. Da widerspricht auch kein Regisseur: »Wenn Sie das sagen, Herr Bausch, dann stimmt das wohl.«

Hat nicht Joe Bausch auch mal gesagt, dass eine Leiche am Tatort immer offen stehende Augen haben muss, weil nach einem plötzlichen Tod niemand mehr seine Augen schließt?
Behrendt:
Das weiß ich nicht. Was ich aber weiß, ist, dass viele Tatort-Fans und Komparsen gern mal die Leiche spielen würden. Und ich kann nur sagen: Wer im Tatort Leiche spielen muss, hat echt die Arschkarte gezogen!
Postel: Oh, ja, einer der schlimmsten Jobs überhaupt.

Warum?
Behrendt:
Stellen Sie sich nur mal diesen Satz im Drehbuch vor: »Junges Mädchen wird tot – halb im Fluss liegend – am Rheinufer gefunden.« Und jetzt liegen Sie mal da, stundenlang. Vielleicht ist auch zufällig gerade Winter. Das Mädel ist nach dem Dreh grün und blau gefroren, Blasen- und Nierenentzündung inklusive.
Postel: Bei uns landet so ein Mordopfer ja in der echten Pathologie. Und wenn du dann aus dem Kühlschrank gezogen wirst und hast rechts und links echte Leichen liegen, brauchst du starke Nerven. Die meisten Statisten wissen nicht, was ihnen da blüht. Im Grunde ist das unzumutbar.

Wie riecht es in einer Pathologie, Frau Postel?
Postel:
Nach Formaldehyd. Da will keiner Mittag essen. Wir müssen obendrein wegen der Tonaufnahmen manchmal die Kühlung abstellen.

Was würde passieren, wenn die Quote nicht mehr stimmt?
Postel:
Da wären wir schnell einen Kopf kürzer. Doch im Moment sind die Quoten toll, alle geben sich unendliche Mühe, dass die Drehbücher gut und gesellschaftspolitisch brisant werden.
Folkerts: Das Messen von Einschaltquoten ist ein großer Irrtum! Für die Macher des Tatorts ist die hohe Einschaltquote gleichbedeutend mit hoher Qualität. Und diese Schlussfolgerung ist absolut falsch.
Raacke: Ob eine neue Sendung gut, mittel oder schlecht ist, spielt nur eine Nebenrolle. Und seien wir ehrlich: Selbst bei Tatorten ist das heute so. Wenn du deine zehn Millionen Zuschauer nicht erreichst, wird’s eng für dich. Ich plädiere weder für die Abschaffung des Fernsehens noch für ein elitäres Programm. Aber ich plädiere gegen die Abstimmung mit den Füßen oder eingeschlafenen Händen an der Fernbedienung. Wir müssen weg von der Quote als alleinigem Merkmal für Qualität.

Im Jahr werden etwa 400 Tatort-Krimis ausgestrahlt – inklusive der Wiederholungen. Schadet diese inflationäre Entwicklung dem Format?

Raacke: 400?
Postel: Also jeden Tag mehr als einer?

Ja, die »Tatort-Schwemme« ist einer der zentralen Kritikpunkte an dem Format. Bald wird es 22 unterschiedliche Ermittlerteams geben. Blickt da der Zuschauer noch durch?
Folkerts: Ich halte diese Kritik für unangebracht, wenn mehr als zehn Millionen Menschen einschalten.
Neuhauser: Ulrike! Das kann jetzt aber nicht dein Argument sein, wenn wir alle gegen die Quote sind.
Folkerts: Ja gut, aber selbst wenn man kritisch gegenüber der Quote ist, kann man doch sagen: Im Moment arbeiten wir in einer Boomphase des Tatorts. Es gibt zwar immer mehr Teams, und vielleicht werden auch mehr Wiederholungen als früher gezeigt, aber die Leute sehen trotzdem sehr gern zu. Was ich damit sagen will, ist: Vielleicht hat die sogenannte Tatort-Schwemme zu diesem Boom geführt. Ich kenne zum Beispiel viele Zuschauer, die nur bei ihren Lieblingskommissaren einschalten und den Rest ignorieren. Trotzdem scheint jedes Team über genügend Fans zu verfügen, sodass alle ihre Berechtigung besitzen.

Im vergangenen Jahr wurde Til Schweiger mit großem Brimborium vom NDR als neuer Tatort-Kommissar eingeführt.
Behrendt
: Ja, und was ist dagegen zu sagen? Ich freu mich für Til.
Postel: Ich auch. Bin nur etwas neidisch auf das Budget, das er verpulvern darf.
Raacke: Na ja, Sabine, der NDR hatte schon immer etwas mehr Kohle als Radio Bremen.

Schweiger hat dann den Vorschlag gemacht, den traditionellen Tatort-Vorspann abzuschaffen.
Behrendt: Ich fand, das war ein wahnsinnig cleverer Schachzug. Die ganze Nation hat sich darüber aufgeregt, und er war tagelang in den Schlagzeilen. Bessere Werbung für den eigenen Tatort kann es gar nicht geben.

Kritiker sagen auch, der Schweiger-Tatort falle mit seiner Sonderstellung als Actionstreifen aus dem Konzept.
Behrendt: Das glaube ich nicht. Der Münsteraner Tatort lebt von den Dialogen zwischen Jan Liefers und Axel Prahl, das ist weniger Krimi als Komödie. Bei Til macht’s halt öfter Bumm und Peng. Was soll’s?
Folkerts: Für mich hat es wenig mit Brutalität zu tun, wenn acht dunkel gekleidete Bösewichter mit Kapuzen erschossen werden. Brutal ist für mich, wenn ein Film die Misshandlung eines Kindes oder die Vergewaltigung einer Frau zeigt, die anschließend auch noch stranguliert wird. Das ist eine Brutalität, der ich als Zuschauer nicht ausgesetzt werden möchte. Mit der Zahl der Leichen hat das aber wenig zu tun.
Postel: Ich glaube nicht, dass der Tatort brutaler wird. Es gibt ja nicht insgesamt mehr Tote, nur weil Til Schweiger in Hamburg verwundet mit letzter Kraft und nur einer Patrone auf unerklärliche Weise noch fünf Typen erschießt. Bei uns gab es in den letzten Folgen immer nur eine Leiche. Das war für die Geschichte ausreichend.
Folkerts: Ich finde, dass die Tatorte vor zwanzig Jahren allesamt spannender waren als die, die wir heute für brutal halten. Ich erinnere mich noch, wie ich mit dem Kissen vor der Brust Fernsehen schaute und um den Protagonisten richtig Angst hatte. Diese Spannung ist mir in den letzten Jahren im Tatort etwas verlorengegangen.
Neuhauser: Absolut deiner Meinung. Aber woran liegt das?
Folkerts: Heute findest du doch keinen Tatort-Kommissar mehr, der sich um 20.15 Uhr betrinkt, geschweige denn einen, der raucht. Warum? Weil das politisch nicht korrekt ist. Diese vorgeschobene Einfühlsamkeit dem Fernsehzuschauer gegenüber hemmt eine ganze Generation von Drehbuchschreibern. Sie zeigen das Leben nicht mehr so, wie es nun mal ist. Ich muss als Tatort-Kommissarin, vor allem als Frau, immer mitfühlen, immer Verständnis zeigen, nicht über die Stränge schlagen, stets auf der Seite der Schwächeren sein. Das ist nicht nur vorhersehbar, das ist auch langweilig.
Neuhauser: Ja, verdammt noch mal, ich will einem in die Eier treten, wenn er es verdient hat! Wenn heute jemand in den ersten Minuten böse schaut, ist ganz klar …
Raacke: … der war’s nicht.

Herr Raacke, Sie sind ja jetzt nicht mehr dabei. Was können Sie sagen, was Ihren Kollegen vielleicht nicht möglich ist?
Raacke:
Mit meiner heutigen Erfahrung kann ich jedem langjährigen Tatort-Kommissar nur raten: Hör auf!
Behrendt: Das ist ein schlechter Ratschlag, den ich nicht befolgen werde, Dominic.
Raacke: Okay. Ich kann nur sagen: Nach einigen Jahren setzt so eine Verbeamtung ein. Ein Schauspieler aber braucht genau das Gegenteil. Der braucht die Freiheit.
Postel:
Es ist ja auch schön, dass du heute hier sitzt und nicht weinst, weil deine Tatort-Zeit vorbei ist. Außerdem wirst du ja als Wiederholung ewig Tatort-Kommissar bleiben.

Ist es als Schauspieler eigentlich immer noch eine Ehre, Tatort-Kommissar zu werden?
Neuhauser: Ich muss zugeben: Ich wusste, dass der Tatort bekannt ist. Aber die ungeheure Wahrnehmung, die man als Schauspieler dadurch erfährt, hat mich umgehauen.
Postel: Ich empfand das damals als Ritterschlag. Heute würde ich es etwas tiefer hängen. Aber es ist immer noch einer der besten Jobs, die man sich im Fernsehen wünschen kann.

Fotos: Markus Jans