»Die Neunziger waren großes Theater«

Nachdem sie einmal da war, ging sie einfach nie mehr weg. Claudia Schiffer erzählt von viel Gold, viel Champagner und einem Flugzeughangar voll mit schönen Kleidern.

SZ-Magazin Frau Schiffer, woran erinnern Sie sich, wenn Sie an die Neunzigerjahre denken?
Claudia Schiffer An pures Chaos. Jedenfalls wenn ich an die Modeschauen zurückdenke. Überall warteten Paparazzi, und wir brauchten Security, um zum Auto zu kommen. Auch backstage waren überall Fotografen, und nach den Shows war meistens meine Unterwäsche geklaut.

Den Stil von damals empfinden viele heute als protzig. Viel Gold, viel nackte Haut, große Logos …
Goldknöpfe! Ich weiß noch, ich war bei Wetten, dass . . ? und hatte einen sehr kurzen Rock mit Goldketten von Chanel an, Bikerboots mit Goldbehang, auch am Hals überall Goldschmuck. Dazu Netzstrumpfhosen – das war schon sehr over the top. Damals gab es backstage bei Modeschauen noch Champagner, auch für die Models, das wäre heute undenkbar. Inzwischen herrscht da viel mehr Konkurrenz und größerer Druck. In den Neunzigern war alles noch sehr opulent, Geld spielte keine Rolle. So viel von dem passierte damals ja zum ersten Mal: die riesigen Modenschauen, berühmte Leute im Publikum, Musik und Effekte.

Die Models liefen damals lachend und tänzelnd über den Laufsteg. Im Vergleich zu den finsteren Mienen von heute sah das nach mehr Spaß aus.
Das war großes Theater. Die Shows hatten verschiedene Höhepunkte, die Musik wechselte ständig, das Licht änderte sich. Im Publikum saßen lauter berühmte Leute, alle applaudierten ständig – allerdings weniger der Mode wegen, sondern eher, weil ein bekanntes Model auf dem Laufsteg auftauchte. Supermodels waren manchmal wichtiger als die Mode.

Meistgelesen diese Woche:

Angeblich haben Sie den Laufsteg gehasst.
Sagen wir, ich habe die Auftritte nicht so genossen wie Naomi Campbell. Ich war zu schüchtern. Vielleicht hätte ich auch mal ein Glas Champagner trinken sollen.

In einem Interview haben Sie einmal gesagt: »Von der Persönlichkeit her hätte ich eigentlich nie Model werden dürfen. Die geborenen Models sind die, die im Mittelpunkt stehen wollen.«
Ich hatte ja nicht geplant, Model zu werden, sondern wurde durch Zufall in einer Düsseldorfer Diskothek entdeckt. Im Mittelpunkt zu stehen hat mir nie gefallen. Als ich mit 17 nach Paris ging, haben viele Leute, die mich damals kannten, gesagt: Das schafft die nie!

Irgendwie haben Sie es ja doch geschafft.
Auf den Laufsteg bin ich nur Karl Lagerfeld zuliebe. Er hörte nicht auf, mich darum zu bitten, und sagte: »Lauf einfach so, als würdest du zu deiner Schule laufen.« Letztlich war das Modeln wie eine Therapie für mich.

27 Jahre später sind Sie immer noch da.
Für mich war immer klar: Mit dreißig ist das Modeln vorbei. Und als es dann doch nicht vorbei war, dachte ich: Okay, dann ist spätestens mit vierzig Schluss. Jetzt bin ich 44. Es scheint keine Deadline zu geben, wenn man ganz oben war.

Schon mit Mitte zwanzig veröffentlichten Sie Fitnessvideos und Kalender von sich, heute entwerfen Sie eigene Brillen und Haarpflegeprodukte. Ihre Kollegin Gisele Bündchen entwirft Flipflops, Naomi Campbell arbeitet als Journalistin. Warum braucht jedes Model einen Nebenjob?
Ich wollte schon immer etwas Eigenes entwerfen, und nach über 25 Jahren im Geschäft kennt man sich ziemlich gut aus mit Mode und Beauty. Daher war es für mich ein natürlicher Schritt, jetzt meine eigene Haarlinie mit Schwarzkopf zu entwickeln und eine Eyewear-Kollektion zu designen.

Mit 32 bekamen Sie das erste von drei Kindern. Hatten Sie Sorge, dass Ihre Karriere damit beendet sei?
Das dachte ich erst mal. Aber auch das passierte bei Supermodels zum ersten Mal – wir konnten älter werden und Kinder bekommen, ohne mit dem Modeln wirklich aufhören zu müssen. Ein paar Monate nach der Geburt kam der erste Anruf, ich hatte immer noch Spaß an meinem Job – also habe ich weitergemacht.

Die Supermodels – das waren lauter Vornamen: Claudia, Tatjana, Linda, Cindy, Naomi. Alle sind noch mehr oder weniger im Geschäft. Warum?
Ich weiß es nicht. Wir sind alle unterschiedliche Charaktere. Die eine ist professioneller, die andere kommt ständig zu spät. Was uns verbindet, ist sicherlich unser Ehrgeiz und unsere Liebe zur Modewelt.

Tatjana Patitz hat einmal von ihren »rainy days« gesprochen – Tage, an denen sie einfach nicht am Set erschien, weil ihr nicht danach war. Von Ihnen hingegen gibt es keine Skandale, keine Unzuverlässigkeiten. Hatten Sie nie das Bedürfnis zu rebellieren?
Nein, das ist für mich eine Frage von Respekt. Wir arbeiten ja schließlich nicht nur zum Spaß, Mode ist ein Business, es geht um viel Geld.

Aber ein bisschen Diven-Gehabe gehörte zumindest in den Neunzigern doch dazu? Legendär ist der Satz Ihrer Kollegin Linda Evangelista: »Unter 10 000 Dollar stehe ich morgens gar nicht auf.«
Was nichts anderes hieß als: Unter 10 000 Dollar nahm sie keinen Job an. Das war damals eine andere Zeit, viele haben es genauso gehalten. Es kam aber auch vor, dass wir ohne Honorar gearbeitet haben, um zum Beispiel junge, unbekannte Designer zu unterstützen.

Wenn heute ein Supermodel ein anderes Supermodel trifft – was bespricht man dann?
Zu Naomi sage ich jedes Mal: »Wie kannst du noch den gleichen Körper haben wie vor 25 Jahren?« Wenn wir uns begegnen, ist das wie ein Klassentreffen, es fühlt sich fast so an, als wäre keine Zeit vergangen. Mit Eva Herzigova und Nadja Auermann spreche ich über unsere Familien, die Kinder. Aber wir fragen uns auch manchmal am Set: Haben wir so etwas Ähnliches nicht schon früher mal gemacht?

Wie ist es für Sie, alte Bilder von sich zu sehen?
Ungefähr so, als würde ich mir Urlaubsbilder von vor zwanzig Jahren ansehen. Das sind schöne Erinnerungen.

Ob sich junge Models wohl insgeheim denken: »Können die Supermodels nicht endlich mal das Feld räumen und anfangen zu stricken?«
Keine Ahnung. Viele Mädchen sagen so was wie: »Ich war noch ganz klein, als du schon ganz groß warst.« Oder: »Ich hatte Poster von dir im Kinderzimmer.« Da fühlt man sich plötzlich ganz alt, aber trotzdem freut man sich.

Die Engländerin Cara Delevingne gilt als aktuelles Topmodel, ihren Erfolg hat sie auch ihrer Präsenz in den sozialen Netzwerken zu verdanken. Facebook, Instagram, Twitter: Könnten Sie das auch?
Nein, das ist nicht meine Welt. Ich teile persönliche Fotos nur mit meiner Familie und meinen Freunden, für alles andere schätze ich meine Privatsphäre viel zu sehr. Nur für meine Firma habe ich Modefotos auf Instagram veröffentlicht.

Kürzlich saßen Sie in der Jury der Pro7-Fernsehshow Fashion Hero. Warum tun Sie sich das an?
Ich habe nie eine Fernsehkarriere angestrebt. Mich hat einfach das Konzept der Sendung überzeugt: junge Talente zu fördern und zu unterstützen. Alle anderen Anfragen, etwa von Reality-Shows, die ich wirklich schon oft auf dem Tisch hatte, habe ich immer abgelehnt. Ich mag es einfach nicht, so im Mittelpunkt zu stehen.

Haben Sie eigentlich noch diesen Hubschrauber-Hangar bei London, in dem Sie all Ihre Kleidung klimatisiert lagern?
Ja. Ich hebe alle tollen Sachen auf.

Manche finden sich nicht einmal in Ihrem Ikea-Kleiderschrank zurecht. Wie suchen Sie in Ihrem Hangar den Chanel-Mini mit den goldenen Ketten, wenn der wieder in Mode kommt?
Kein Problem. Die Sachen sind alle alphabetisch nach Designern geordnet. Ich bin gut organisiert.
-

Claudia Schiffer wurde mit 17 von einem Modelscout in einer Disco entdeckt und avancierte zu einem der erfolgreichsten Models der Geschichte. In den Neunzigern war »The Blonde« neben Linda Evangelista und Naomi Campbell eines der hochbezahlten Supermodels, sie warb für Guess, Versace und Chanel, zierte mehr als 1000 Magazincover. Schiffer gilt in der Branche als ausgesprochen diszipliniert. Aktuell ist die Mutter von drei Kindern in der Kampagne von Dolce & Gabbana zu sehen, kreiert zusammen mit Rodenstock ihre zweite Brillenkollektion und arbeitet an der Erweiterung ihrer Haarproduktlinie mit Schwarzkopf. Claudia Schiffer lebt mit ihrem Mann, dem britischen Regisseur Matthew Vaughn, bei London.

(Fotos: Nico / Shotview Photographers; Styling: Claudia Englmann / Artlist; Digital Operator: Jordi Nubiola Latorre; Fotoassistent: Sergio Hernandez; Stylingassistenz: Inna Fischbuch; Make-up: Maxime Leonard / Jed Root; Haare: Raphael Salley / Streeters; Model: Claudia Schiffer; Creative Consultant:Lucie MyCullin; Fotostudio: Spring Studios London; Retouching: La Capsula;Produktion: Silke Wichert, Ralf Zimmermann.)

Fotos: Nico; Styling: Claudia Englmann