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Obwohl Deutsche viel weniger arbeiten müssen als Belgier oder Rumänen, sind sie permanent gestresst. Die Bundesregierung plant deshalb sogar ein Anti-Stress-Gesetz, aber unser Kolumnist hat eine bessere Idee.

Die großen Ferien sind endgültig zu Ende, aber was bietet unser Land für ein Bild? Die Menschen klagen über Stress, wohin man hört. Sie fühlen sich, kaum haben sie wieder zu arbeiten begonnen, schon wieder überarbeitet. Zwar ist der Rumäne im Durchschnitt pro Jahr 180 Stunden länger berufstätig als der Deutsche, zwar befindet sich selbst der Grieche jährlich mehr als 1800 Stunden am Arbeitsplatz, während der Deutsche es nur auf 1659 bringt, zwar malocht der Pole Jahr für Jahr viereinhalb Wochen mehr als der Deutsche, zwar hat der Belgier nur 29 freie Tage, der Deutsche aber vierzig (eine Zahl, von der Amerikaner und Japaner nicht einmal träumen).

Aber das kann man doch alles nicht vergleichen.

Der Deutsche arbeitet halt viel intensiver, und entscheidend ist ohnehin nicht die wenig aussagekräftige Zahl der Arbeitsstunden, sondern die gefühlte Zeit. Wie ja auch nicht wichtig ist, welche Inflationsrate irgendwelche Behörden verkünden und welches Wetter dahergelaufene Meteorologen ermitteln, sondern wie man die Teuerungsrate empfindet und welches Gefühl einem das Wetter macht. Dem Deutschen muss man mit Zahlen nicht mehr kommen, Deutschland ist das Land des radikalen persönlichen Empfindens, und dieses Empfinden sagt, dass der Rest Europas ihm auf der Tasche liegt, und gefälligst so hart arbeiten soll wie der Deutsche selbst es nicht möchte.

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Das Land ist müde. Selbst fast alle Autobahnbrücken stürzen unter ihrer Last beinahe ein, die Beläge unserer Straßen sind mürbe wie alte Kekse; jeder kennt diese Schnarchgeräusche, mit denen sich plötzlich ein Loch im Bürgersteig auftut oder das träge Schmatzen, mit dem ein Schlagloch einen Pkw verschluckt. Arbeitsministerin Nahles, um preiswerte Gesetze nie verlegen, plant eine Anti-Stress-Verordnung. Stress wird verboten, auf vorsätzliches Herumstressen steht ein Jahr chillen ohne Bewährung, im Gefängnis bei den Steuerhinterziehern. Eine Mail nach Feierabend kann den Chef in Zukunft die Freiheit kosten!

Interessant aber nun die Kenntnisse, die wir jüngst in Italien erwarben. In Rimini, einst Teutonengrill an der Adria und Traumziel aller Urlaubsdeutschen, ruft man nach uns, und nicht nur dort: Die italienischen Tourismus-Veranstalter, von der Krise des Landes und einem regenreichen Sommer geplagt, sind verzweifelt. Man verlangt, die italienischen Ferien bis in den Oktober hinein zu verlängern, um Gäste zu gewinnen. Mancherorts bekommt man den Hotelaufenthalt zum halben Preis, wenn es auch nur einmal regnet. Sieht niemand die Chance? Hier der Stressdeutsche, der nach Entspannung jammert, dort der Krisenitaliener, der mit offenen Armen bereit steht, sie ihm zu bieten! Wir müssen endlich sehen, dass nicht nur unsere Autos und sonstigen Maschinen Exportgüter sind, sondern auch wir selbst! Es gibt eine riesige Nachfrage nach uns persönlich. Die Märkte Riminis und Ricciones, Liguriens und Sardiniens lechzen nach Frauen und Männern, die schwach sind wie Flasche leer und sich erlauben wollen freie Tage!

Gerade lese ich: Der Deutsche verbringt täglich 3,6 Stunden auf dem Sofa, ja, das Sofa ist ihm lieber als das Bett, das nur 20 Prozent als ihr Lieblingsmöbel bezeichnen: 37 Prozent plädieren für die Chaiselongue. 3,6 Stunden pro Tag auf dem Sofa! Das sind fast 55 Tage im Jahr! Wie fertig muss ein Volk sein, wie zerschlagen seine Angehörigen, wie müde deren Knochen, wenn diese 55 komplette Tage im Jahr auf Sofas gebettet werden, von wo sie unter Aufbietung allerletzter Energiereserven ins Bett geschleppt werden, für weitere Stunden, Tage, Wochen, Monate.

Nur einen Bruchteil dieser Zeit müssten wir in Italien verbringen, vielleicht auch in den ebenfalls notleidenden und nach müden Deutschen lechzenden Küstenorten Spaniens, Griechenlands, Portugals oder Frankreichs – uns allen wäre geholfen und Europa gerettet.

Illustration: Dirk Schmidt