Feuchter Tagtraum

Männer denken alle sieben Sekunden an Sex. Aber woran? An das Kribbeln zu Beginn? Oder das Körperkuddelmuddel danach? Und wie konnte so überhaupt eine einzige Entscheidung getroffen werden?

Warten auf die S-Bahn, drei Minuten Verspätung: 24 Mal Sex. Am Kaffeeautomaten stehen, Cappuccino-Taste drücken, 30 Sekunden: Vier Mal Sex. Eine Besprechung, angesetzt für 90 Minuten. Sex, Sex, Sex. Wer soll sich da denn konzentrieren?
Männer denken alle sieben Sekunden an Sex. Heißt es. Diese Annahme hält sich hartnäckig und wird immer wieder gerne in Suchmaschinen im Internet eingegeben. (Neben ebenfalls wichtigen Fragen wie: Stimmt es, dass Bananen stopfen? Dass man nur durch ein Nasenloch atmet? Dass man betrunken immer die Wahrheit sagt?)

Alle sieben Sekunden, das macht 514 Mal Sex pro Stunde. Eine Woche hat 604.800 Sekunden – und sofort hat man keine Lust mehr zu rechnen. Wie das Anfang April in Lausanne war, als die Unterhändler der USA, Chinas, Russlands, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und Irans zusammengepfercht in dem wohl tristesten Konferenzraum der Welt gut eine Woche lang um die Eckpunkte im Atomstreit diskutierten und verhandelten? Kaum vorstellbar, dass es dort überhaupt zu irgendeinem Ergebnis gekommen ist.  Zeit für die Wissenschaft, die Sache mit den sieben Sekunden zu klären. Und schon zeigt sich: Stimmt alles so natürlich nicht. Wir denken viel lieber und öfter an Facebook und Flammkuchen und Fernsehserien, die wir dringend zu Ende sehen müssen, als ans Fummeln. Dazu gibt es unterschiedliche Studien, die aber alle zeigen, dass wir diese Welt gerne glauben lassen, dass unser Kopf voll ist mit Erwachsenenkram, während wir in Wirklichkeit relativ harmlos durch den Tag schwirren.

So hat zum Beispiel die Ohio State University 2011 283 Testpersonen einen Klicker in die Hand gedrückt, ähnlich denen, die Sicherheitsleute vor der Konzerthalle oder vor dem Fußballstadion benutzen. Die Probanden sollten immer dann, wenn sie an Sex dachten, einmal klicken. Und so wurden die sieben Sekunden der Männer gleich mal auf 19 Mal am Tag eingedampft (die ebenfalls dazu befragten Frauen klickten im Übrigen zehn Mal täglich).

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Bei solchen Studien muss man allerdings auch auf den »white bear effect« achten. Wer versucht, ganz bewusst nicht an etwas zu denken, wird mit großer Wahrscheinlichkeit genau daran denken. Denken Sie jetzt bloß nicht an einen weißen Bären, an einen roten Elefanten oder an Sex. Und?
Interessanter als die Frage nach der Häufigkeit ist aber doch: An was genau denken die Menschen um uns herum, wenn sie an Sex denken, an der Haltestelle, am Kaffeeautomaten, im Konferenzraum?

An das Kribbeln, bevor es losgeht?

An das Gefühl, wenn alles wieder vorbei ist?

An das ganze Körperkuddelmuddel zwischendurch?

Kommt Küssen darin vor? Oder ist das zu sehr Jane Austen?

Gehören Körperteile, die in unserem Kopf auftauchen, zu jemandem, den man kennt – oder besser nicht?

Spielt einer aus der S-Bahn mit? Und finden wir das schön – oder eher gruselig?

Ist das Ganze ein gedankliches Vorspiel auf die Wirklichkeit? Oder sitzt man abends dann doch alleine daheim und spielt Quizduell auf dem Handy?

Und was löst den Sex im Kopf aus?

Ein Lächeln?

Die dampfende Schweinshaxe hinter der Glasscheibe in der Kantine?

Man will es eigentlich gar nicht wissen.

Illustration: Eugenia Loli