Die Seele verwetten?

Darf man gegen seinen Herzensverein wetten, wenn die Chancen momentan bei der gegenerischen Fußballmannschafft besser stehen?


»Ein guter Freund von mir ist Fan des TSV 1860 München. In seiner Freizeit spielt er regelmäßig auf einer Sportwetten-Plattform und setzt dabei jedes Mal auf Sechzig. Allerdings hätte er zurzeit mehr Chancen auf einen Gewinn, würde er gegen den TSV setzen. Wäre ihm das als altem Fan erlaubt?« Max R., München

Magisches Denken war meine erste Idee: Vielleicht hat, wer gegen alle Wahrscheinlichkeit immer wieder auf seinen Verein setzt, schlicht Angst, täte er es nicht, wäre das mehr als ein böses Omen, würde die ohnehin schlechten Chancen noch weiter mindern. Und wie viel mehr muss das dann erst für eine Wette dagegen gelten?

Nun ist mir Begeisterung für Ballspiele tendenziell eher fremd, deshalb habe ich mit einem Anhänger des TSV 1860 gesprochen, den man mit Fug und Recht als in der Wolle gefärbten Fan bezeichnen kann. Er meinte, gegen den eigenen Verein zu wetten, bedeute Geld zu verdienen mit dem Elend seines Herzensvereins. Unter Fans sei das wie Verrat, und Verräter wolle man natürlich nicht sein, es fiel sogar das Wort »Judaslohn«. Umgekehrt könne man jedoch kaum verlangen, dass jemand Geld auf seinen Verein setzt, wenn er überzeugt ist, das Spiel würde verloren. Aber dann sollte man eben gar nicht wetten! Doch gebe es vielleicht einen Grund, es dennoch zu tun: Wenn der unwahrscheinliche Gewinn, so er doch eintritt, für den Fan so viel süßer schmecke, weil die Sechziger gewonnen haben. Eine Art emotionale Super-Wettquote also, welche die Ausschüttung bei einem Sieg gefühlt vervielfacht und das Wetten trotz schlechter Chancen wieder lohnend macht. Und bei einer Niederlage umgekehrt alles entwertet und jeglichen Sinnes beraubt.

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Ich würde – um die Frage zu beantworten und wieder auf heimisches Terrain zu kommen – auf die mir wichtige Integrität der Person abstellen: Wie soll jemand, ohne sich zu verbiegen, ohne Beschädigung seiner Persönlichkeit, etwas tun, was seinem Inneren, seinen Emotionen als Fan diametral entgegenläuft? In diesem Fall bin ich mir also mit den Freunden des Ballspiels nahezu einig: Vielleicht wäre es ihm nicht explizit verboten, gegen seinen Verein zu wetten, für falsch hielte ich es trotzdem.

Literatur:

Über das manchmal schwierige Leben als Löwen-Fan ein Text von Bastian Obermayer im Süddeutsche Zeitung Magazin: Löwen weinen nicht, Heft 49/2010

Zur Integrität:

Arnd Pollmann, Integrität. Aufnahme einer sozialphilosophischen Personalie, transcript Verlag, Bielefeld 2005

Bernard Williams, Kritik des Utilitarismus, Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1979

Zum Thema Magisches Denken:

Matthew Hutson, The 7 Laws of Magical Thinking: How Irrationality Makes Us Happy, Healthy, And Sane, Oneworld Publications, 2012 Matthew Hutson, The Science of Superstition. No one is immune to magical thinking. The Atlantic, March 2015

Illustration: Serge Bloch