Sir Boris

Vorteil Tweed-Jackett: Boris Becker liebt es, im Stil britischer Großgrundbesitzer aufzutreten. Will er selbst einer werden?

Dass irgendwo bisher ungeahnte Familienmitglieder des Becker-Clans auftauchen, ist ja grundsätzlich nichts Neues. Boris' neuste Familienerweiterung trug sich vergangene Woche zu. Beim Streifzug durch das Pariser Musée D'Orsay entdeckte Boris Becker auf einem Selbstportait von Van Gogh jemanden, der ihm bekannt vorkam. Mit gewohnter Bescheidenheit titelte er auf Instagram: »My brother.«

Haarfarbe, Wangenknochen, Stirnfalten, Tränensäcke, Mimik – alles tatsächlich verdächtig ähnlich. Was erst beim zweiten Blick auf das Foto auffällt, ist Beckers Outfit, Marke »britischer Landadel«. Zum grauen Poloshirt trägt er einen roten Pullover und ein klassisches, Fischgrat-gemustertes Tweed-Jackett – ein Kleidungsstück, so britisch wie der Rasen in Wimbledon.
Ist Becker zu Pferd zum Museumsbesuch in Paris eingeritten? Hatte er anschließend noch einen Termin zum Tontaubenschießen? Oder, um es mit den Worten eines Instagram-Followers zu sagen: »Where is your Puma hat and Rolex?«

Meistgelesen diese Woche:

Wir befinden uns, modisch gesehen, in einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Freizeit- und Anlasskleidung aufweichen. Das Straßenbild ist geprägt von Sneakers, Jogginghosen und Hoodies, Athleisure nennt man jenen Trend, sich auch auf der Straße so zu kleiden, als käme man direkt vom Fitnessstudio. Sogar Tennismode im Speziellen feiert gerade ein Revival – Faltenröckchen und Poloshirts mit Retrocharme waren zuletzt in zahlreichen Laufstegkollektionen zu finden, und die lange verpönten weißen Socken werden sogar zu High Heels getragen.

Ausgerechnet jetzt entschließt sich einer der wenigen Menschen, der aufgrund seines Werdegangs tatsächlich uneingeschränkt das Recht hätte, den ganzen Tag im Jogginganzug zu verbringen, für einen modischen Aufzug als bürgerlicher Großgrundbesitzer. Warum?

In seinem Heimatland hatte Becker es viele Jahre, wir drücken es mal milde aus, nicht ganz einfach. Seine mediale Omnipräsenz und die familiäre Seifenoper sicherten ihm in der öffentlichen Wahrnehmung einen Dauerplatz nahe der Lächerlichkeit. Erst seit er Ende 2013 als Trainer des serbischen Tennisspielers und aktuellen Weltranglistenersten Novak Đjoković verpflichtet wurde, kann Becker wieder Erfolge und Anerkennung einstreichen.

In London, wo Boris Becker seit 2009 wohnt, hat man ihn immer verehrt. Hier seien die Leute – im Gegensatz zu den Deutschen – stets höflich und erfreut über seine Anwesenheit, wie Becker in Interviews immer wieder betont. Im Sommer verkündete er sogar im Frühstücksfernsehen der BBC, er wolle die britische Staatsbürgerschaft beantragen. Dieser Wunsch erklärt, warum sich Becker generell auf seinem Instagram-Account häufig als Fan verschiedenster Koryphäen der britischen (Pop-)Kultur inszeniert: Hier ein Foto mit Stones-Gitarrist Ronnie Wood, dort ein Lob auf die Crew des neuen James Bonds, dazwischen ein Hinweis auf seinen aktuellen Ohrwurm, die neue Single von Adele.

Das Tweed-Jackett ist damit einfach ein weiteres Praktikumszeugnis in seiner Bewerbungsmappe als Brite. Seht her, ich verstehe was vom angelsächsischen Stil! Wir sind gespannt, wo das noch hinführt, und hoffen vor der Einbürgerung noch auf Melone und Schottenkaro.

Typischer Instagram-Kommentar: Aber nicht das Ohr abschneiden jetzt!
Passt dazu: Gummistiefel, Gurkensandwich, Earl Grey
Das sagt die Ehefrau: Baby, du siehst viel besser aus als der alte Mann auf dem Bild!
Wird auch getragen von: Oberstudienräten im Ruhestand, Manufactum-Kunden

Foto: Gettyimages / David M. Benett, Instagram