»Bitte schön, was sollen die Mätzchen!«

Ein Bombenanschlag in Köln, 15 Raubüberfälle und die Frage, wie alles begann: Der NSU-Prozess am Oberlandesgericht München ist der größte deutsche Strafprozess seit der Wiedervereinigung. Wie in den ersten beiden Jahren dokumentiert das SZ-Magazin den Prozess mit Originaläußerungen, die gekürzt wiedergegeben werden.

Jena-Lobeda: hier wuchs Uwe Böhnhardt auf. Mit Beate Zschäpe und Uwe Mundlos ging er später in den Untergrund.

Tag 173, 12. Januar
Manfred Götzl, 61, Richter. Dirk Spliethoff, 57, Kriminalhauptkommissar aus Düsseldorf.

Götzl: Dann darf ich zuerst zum neuen Jahr begrüßen und stelle die Präsenz fest. Herr Spliethoff, es geht uns heute um einen Anschlag aus dem Juni 2004 in der Keupstraße in Köln. Berichten Sie bitte.
Spliethoff: Gegen 16 Uhr hat sich der Sprengstoffanschlag ereignet. Die Kölner Kollegen sahen sich nicht in der Lage, den Tatort aufzunehmen. Wir sind die Spezialisten und wurden dann angefordert. Die Keupstraße ist eine Einbahnstraße mit rechts und links geschlossenen Häuserzeilen. Im Erdgeschoss befinden sich Restaurants und Läden, vom Dönerimbiss bis zum Juwelier. Darüber dann Wohnräume. Die Anwohner sind überwiegend türkische Mitbewohner. Nach Einschät-zung der Kollegen vor Ort befand sich vor Haus 29, einem Friseurladen, die Sprengvorrichtung, auf einem Fahrrad befestigt. Ein Kollege sagte, das Fahrrad sei an einem Aktionstag bei Aldi verkauft worden. Als wir ankamen, wurde uns mitgeteilt, dass 22 Menschen verletzt worden waren. Es wurde eine Vielzahl von Nägeln gefunden sowie Stofffetzen und Splitter. Wir haben Teile gefunden, die wir Batterien zuordnen konnten, Drähte, Kippschalter, einen silberfarbenen Gegenstand, einen Quarz aus dem Bereich des Flugmodellbaus. Wir sind davon ausgegangen, dass die Sprengvorrichtung per Funk ferngezündet wurde. Insgesamt haben wir 702 Nägel gefunden, zum Teil sehr stark deformiert, aber auch kleine Teile. Der Druck muss so stark gewesen sein, dass diese Nägel zerbrochen waren.

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Tag 175, 20. Januar
Sandro D’Alauro, 34, aus Köln, arbeitslos. Melih K., 31, Justizangestellter aus Köln. Sükrü Atan, 59, aus Köln, erwerbsunfähig. Kemal Gündoğan, 35, Arbeiter aus Köln.

D’Alauro: An dem besagten Tag war ich mit meinem Freund Melih unterwegs in Köln-Mülheim. Wir wollten in der Keupstraße noch was essen. Wir sind zu Fuß zur ersten Dönerbude gegangen. Auf dem Rückweg ist es dann am Friseurladen passiert: Es war, als hätte mir einer die Beine von hinten weggeschossen. Als ich aufgestanden bin, hab ich nur Qualm gesehen. Alles war kaputt. Ich hab nichts gehört. Ich hab meinen Freund Melih auf dem Boden gesehen und wusste nicht, ob er tot ist. Man hat mir mein Oberteil ausgezogen, weil das am Brennen war. Dann kam der Rettungswagen. Ich war lange auf der Intensivstation. Ich hatte einige Nägel in den Beinen und in der Schulter, Verbrennungen, zwei Finger, die fast ab gewesen wären. Ein Nagel ging durch den Oberschenkel, ich war zunächst an den Rollstuhl gekettet. Man hat uns verdächtigt, ich durfte keinen Kontakt zu Melih haben, weil man dachte, wir hätten das Fahrrad da hingestellt.

(D’Alauro ab. Der nächste Zeuge betritt den Gerichtssaal.)

K.: Die Stichflamme hatte das Ohr ausgebrannt, es musste operiert werden. Ich hatte über hundert Splitter im Gesicht, die wurden mit der Nadel rausgeholt. An den Oberschenkeln bekam ich großflächig Haut transplantiert. Es war wie bei »Körperwelten«, man hat die Adern und Sehnen gesehen. Als ich wachgeworden bin, lag ich wie eine Mumie da.

(Es folgt der Zeuge Sükrü Atan.)

Atan: Ich wurde in ein künstliches Koma versetzt. Seitdem bin ich erwerbsunfähig. Ich habe Schwindelgefühle und bin Diabetiker geworden. Nachts kann ich nicht schlafen. Ich kann nicht in Massen gehen, weil ich dann Panikattacken bekomme.

(Atan ab. Der Zeuge Kemal Gündoğan betritt den Gerichtssaal.)

Jena-Lobeda: hier wuchs Uwe Böhnhardt auf. Mit Beate Zschäpe und Uwe Mundlos ging er später in den Untergrund.

Gündoğan: Es war ein Wendepunkt in meinem Leben. Eigentlich war ich ein sozialer Mensch, der sich gern in Gesellschaft befand. Aber jetzt bin ich ein asozialer Mensch.

Tag 177, 22. Januar
Manfred Götzl, Richter. Ali Yüce, 45, Gastronom aus Köln. Ehrenfried Ibisch, 62, BKA-Mitarbeiter.

Yüce: Man sagte, es seien die Türsteher. Ich sagte, dass ich eher glaube, es waren die Rechtsradikalen, sie wollten das Zusammenleben der Türken stören. Wir lebten dort in der Keupstraße sehr friedlich, Kurden, Türken, wir hatten nie Probleme gehabt. Es kann niemand von unserer Straße gewesen sein.

(Yüce ab. Der Sachverständige Ibisch betritt den Gerichtssaal.)

Götzl: Sie haben im August 2013 Sprengversuche durchgeführt. Welche Ergebnisse haben Sie erhalten?
Ibisch:
Wir haben die Sprengversuche auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken durchgeführt, um die Splitterwirkung und die Druckwelle einer Bombe wie in der Keupstraße zu untersuchen. In eine Campinggasflasche wurden 4,5 bis 5,5 Kilogramm Jagdschwarzpulver eingefüllt und elektrisch gezündet. Um die Gasflasche herum waren Nägel von zehn Zentimeter Länge angeordnet. Wir haben sechs Versuche gemacht und dazu Hochgeschwindigkeitsaufnahmen. Um die Sprengvorrichtung herum war ein Spreng- und Splittergarten aufgebaut, aus sieben Metallplatten. Innerhalb der Tafeln stieg ein großer weiß-gelb-roter Flammenball auf. Die Nägel flogen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 770 Stundenkilometern. Im Umkreis von fünf Metern bestand tödliche Gefahr durch Splittertreffer, noch in 55 Metern Entfernung wurden Splitter gefunden. Die Druckwelle im Zentrum war bis zu einem Abstand von 2,8 Metern tödlich. Im Abstand von 8,5 Metern waren immer noch Trommelfellverletzungen möglich.

Tag 178, 27. Januar

Gerlinde Borghoff, 63, Rentnerin aus Köln. Arif Sağdıç 52, Ladenbesitzer aus Köln.

Borghoff: Ich kam vom Kieser-Training und war auf dem Weg zum Auto. Da hab ich beobachtet, dass mir ein junger Mann entgegenkam mit einem Fahrrad. Er ist mir sehr aufgefallen, weil er das Fahrrad sehr behutsam geschoben hat, was ich mir nicht erklären konnte. Ich konnte ihn relativ lange beobachten. Er hatte hinten eine schwarze Box auf dem Gepäckträger, mir kam es merkwürdig vor, aber ich habe mir keine weiteren Gedanken gemacht. Er hatte etwa das Alter meines Sohnes, der Jahrgang 1977 ist. Ein schlanker junger Mann. Er trug Sportkleidung und ein Käppi, er wirkte angespannt und etwas verschwitzt. Die Augen waren dunkel; ich hab immer gesagt, es war kein unansehnlicher Mann. Die Täter haben sich ja umgebracht. Als ich das Foto von Uwe Böhnhardt gesehen habe, hat es bei mir wirklich heftige Reaktionen hervorgerufen.

(Borghoff ab. Arif Sağdıç betritt den Gerichtssaal.)

Sağdıç: Zwei Tage durften wir unsere Geschäfte nicht betreten. Zivilbeamte kamen, fragten, ob es die Mafia gewesen ist. Ob es um Schutzgelderpressung ging oder es die Hisbollah gewesen sein könnte. Sie haben uns nicht gefragt: Wie ist Ihre Situation, können Sie einer Vernehmung folgen? Ich sagte, ich weiß doch, wer das gemacht hat, das waren die Rassisten, die Neonazis. Der Polizist hat dieses Zeichen gemacht (hält den Zeigefinger vor seinen Mund): Psst, schweige!

Tag 185, 11. Februar

Manfred Götzl, Richter. Bernd Tödter, 40, aus Kassel, selbstständig, Gründer der rechtsextremen Organisation »Sturm 18«

Götzl: Es geht uns um Ihre Kontakte zu Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe.
Tödter: Dazu kann ich keine Angaben machen.
Götzl: Moment, lassen Sie mich sagen, worum es geht. Es geht uns darum, ob Sie die drei kennen.
Tödter: Da kann ich keine Angaben zu machen.
Götzl: Was bedeutet das?
Tödter: Das bedeutet, mir wurde gesagt, dass gegen mich ermittelt würde.
Götzl: Ich wüsste nicht, dass das so ist. Uns liegen dazu keine Angaben vor.
Tödter: Dann kann ich mich an nichts erinnern.
Götzl: Sind Sie vom BKA dazu vernommen worden?
Tödter: Ja, die haben mir eine Menge in den Mund gelegt. Aber unterschrieben habe ich nichts.
Götzl: In den Mund gelegt?
Tödter: Man hat versucht, mich zu vernehmen. Man hat mir Angebote gemacht, aber ich habe abgelehnt.
Götzl: Was hat man Ihnen angeboten?
Tödter: Nichts Halbes und nichts Ganzes.
Götzl: Haben Sie denn Angaben gemacht gegenüber der Polizei oder der Staatsanwaltschaft?
Tödter: Kann ich mich nicht erinnern.
Götzl: Uns liegt hier ein Protokoll vor vom 29.3.12 …
Tödter:… da ist aber bestimmt nicht meine Unterschrift drunter.
Götzl: Es findet sich aber ein Schriftzug, der sieht nach Bernd Tödter aus.

(Götzl winkt Tödter zum Richterpult.)

Tödter: Ja, das ist meine Unterschrift. Aber ich hab nichts ausgesagt.
Götzl: Aber diese Unterschrift haben Sie geleistet?
Tödter: Wie gesagt: Der Herr vom BKA hat geredet, und ich hab ihn reden lassen, und das war’s.
Götzl: Wer war denn anwesend?
Tödter: Keine Ahnung, drei Personen.
Götzl: Wieso sagen Sie erst keine Ahnung und dann im selben Moment drei Personen?
Tödter: Kann ich Ihnen nicht erklären.
Götzl: Fand das Gespräch in der JVA Hünfeld statt?
Tödter: Ja.
Götzl: Haben Sie sich an die Behörden gewandt?
Tödter: Ja.
Götzl: Worum ging es Ihnen?
Tödter: Ich wollte einfach mal gucken, was passiert.
Götzl: Haben Sie geschrieben, dass Sie möglichst frühzeitig aus der Haft entlassen werden wollen?
Tödter: Das haben die angeboten.
Götzl: Dann muss ich Ihnen das mal vorlesen: »Ich befinde mich wegen Bedrohung und Beleidigung in der JVA und möchte meine Hilfe anbieten.« Haben Sie das geschrieben?
Tödter: Ja.
Götzl: Weiter heißt es hier: »Als Gegenleistung erwarte ich, dass man sich für mich einsetzt.« Danach hätten Sie das mit der Haftentlassung ja selbst angesprochen.
Tödter: Kann sein. Wenn Sie das so vorlesen, wird das so sein. Ich möchte dazu angeben, das war aus hafttaktischen Gründen gewesen.
Götzl: Weiter heißt es: »Anlässlich einer Feier haben Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Kassel übernachtet.«
Tödter: Ich kenne die Personen ja nicht einmal, wie sollte ich das wissen?
Götzl: Meine Frage ist, ob Sie das gesagt haben?
Tödter: Nein, das habe ich nicht gesagt.
Götzl: Waren Sie mal auf einer Feier in Zwickau?
Tödter: Ja. Das war vielleicht so um das Jahr 2003. Mein Bruder hat da gewohnt.
Götzl: Um welche Feier ging es da?
Tödter: Mein Bruder hat eine Feier organisiert, und ich bin da hingefahren.
Götzl: (liest vor) »Es war eine Feier in einer Garage am Stadtrand, dort habe ich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos getroffen. Es waren keine Frauen anwesend.«
Tödter: Da kann ich mich nicht dran erinnern, so was gesagt zu haben.
Götzl: Weiter haben Sie zu Protokoll gegeben: »Ich weiß, dass Mundlos und Böhnhardt in Kassel waren, wer sie eingeladen hat und wo sie geschlafen haben.«
Tödter: So was hab ich nie gesagt.

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Der NSU - Eine Chronologie

26.1.1998 - Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe tauchen nach einer Razzia in Jena unter, zunächst in Chemnitz, später in Zwickau.

18.12.1998 - Mundlos und Böhnhardt begehen den ersten Raubüberfall in Chemnitz.

9.9.2000 - Die Mordserie des NSU beginnt, bis 2007 erschießen die Terroristen zehn Menschen.

9.6.2004 - Nagelbombenanschlag in der Keupstraße in Köln.

4.11.2011 - Tod von Mundlos und Böhnhardt nach einem Banküberfall. Zschäpe stellt sich vier Tage später der Polizei.

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Tag 186, 24. Februar

Manfred Götzl, Richter. Gabriele Sonntag, 46, Altenpflegerin aus Zwickau. Wolfgang Stahl, 43, Verteidiger von Beate Zschäpe.

Götzl: Sie haben in der Polenzstraße neben Frau Zschäpe gewohnt. Hatten Sie nach ihrem Umzug weiter Kontakt zu ihr?
Sonntag: Ja, Lisa – so nannte sie sich damals ja – kam ab und zu zu uns in den Hof und zu Frau Kuhn, die auch hier wohnt.
Götzl: Wie haben Sie Frau Zschäpe zuletzt erlebt?
Sonntag: Als es dem Ende zuging und das Haus in die Luft gesprengt wurde, da wirkte sie sehr angespannt, sie wirkte sehr unter Stress, hat auch mehr getrunken als sonst. Das letzte Mal hab ich sie gesehen so zirka 14 Tage, bevor das Haus in die Luft flog.
Götzl: Mehr getrunken als sonst – was meinen Sie damit?
Sonntag: Es blieb meist im Rahmen, sie musste ja auch mit dem Rad nach Hause fahren. Aber da hat sie Mischungen gemacht mit härteren Alkoholsachen. Sie wirkte sehr gestresst.
Götzl: Hatte sie dann Probleme mit dem Gehen oder Sprechen?
Sonntag: Sie kam etwas schwer aufs Fahrrad.
Götzl: Sie haben in der polizeilichen Vernehmung von einem Streitgespräch zwischen Lisa und Frau Kuhn berichtet. Lisa habe ihr eine Standpauke gehalten und sich gar nicht beruhigen können.
Sonntag: Ja, da war sie so aggressiv, so kannte ich die Lisa nicht. Sie ist der Frau Kuhn sehr auf die Pelle gerückt. Ich dachte, sie haut ihr eine. Das ist dann aber nicht passiert.
Stahl: Worum ging es denn in dem Streit?
Sonntag: Na ja, wenn Frau Kuhn Geld in der Hand hatte, wurde alles Mögliche gekauft.
Stahl Weshalb hat sich Lisa dafür interessiert?
Sonntag: Frau Kuhn hat oft Leute angepumpt, Lisa war nicht die Einzigste. Auch dieses Mal ging es darum, dass was gekauft werden sollte für eine Feier. Und Frau Kuhn hat gesagt, dass sie kein Geld dafür hat. Sie wollte wieder von jemand Geld haben. Aber Lisa hat die Nase voll gehabt, dass sie andere immer um Geld angepumpt hat.

Tag 187, 25. Februar
Manfred Götzl, Richter. Gunter Fiedler, 37, Metallbauer aus Chemnitz. Jörg Winter, 40, Kunststoffschlosser aus Leppersdorf.

Götzl: Was können Sie uns über die drei Personen erzählen, die im Jahr 1998 untergetaucht sind?
Fiedler: Ich und mein Bruder haben von einem Herrn Starke einen Anruf bekommen. Wir sollten drei Leute abholen, die bräuchten eine Unterkunft. Wir haben die mit dem Auto abgeholt und bei einer Bekannten gefragt. Sie sind dann in der Wohnung ihres Freundes untergekommen.
Götzl: Da fehlt mir einfach ein bisschen was. Sie bekommen einen Anruf von Herrn Starke. Jetzt würde mich interessieren, wie die Zwischenschritte waren.
Fiedler: Wir kannten die drei nicht. Wir sind mit ihnen zu Mandy Struck, der Bekannten, und haben sie gefragt, ob sie da schlafen können. Sie sagte, bei ihr nicht, aber in der Wohnung ihres Freundes.
Götzl: Sie haben immer von »wir« gesprochen. Wer ist gemeint?
Fiedler: Mein Bruder und ich.
Götzl: Was hat denn Herr Starke Ihnen gesagt, warum die eine Unterkunft bräuchten?
Fiedler: Nicht viel. Er hat gesagt, sie sind vor der Polizei abgehauen.
Götzl: Wie ging denn das Ganze weiter?
Fiedler: Wir haben sie noch ein paarmal in der Wohnung besucht, zwei, drei Mal vielleicht, dann ist der Kontakt aufgelöst worden.
Götzl: Haben Sie etwas Näheres erfahren, warum die drei die Wohnung gesucht haben?
Fiedler: Das hab ich nicht hinterfragt.
Götzl: Dieser Umstand, dass sich die drei dort aufgehalten haben, ist darüber gesprochen worden in Ihrem Bekanntenkreis?
Fiedler: In meinem Umfeld nicht, nein. Ich bin mit dem Thema diskret umgegangen.
Götzl: Was können Sie zu Ihrem Bruder sagen?
Fiedler: Der ist genau wie ich damit umgegangen: diskret.

(Fiedler ab. Nächster Zeuge ist Jörg Winter.)

Götzl: Kannten Sie Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe?
Winter: Nein, nicht bewusst.
Götzl: Können Sie etwas zu dem Punkt sagen, ob die drei Genannten sich 1998 in Chemnitz aufgehalten haben?
Winter: Weiß ich nicht.
Götzl: Haben Sie Gespräche dazu mitbekommen?
Winter: Nein.
Götzl: Können Sie etwas zur Verbindung Blood & Honour Sachsen sagen?
Winter: Da war ich Mitglied, seit 1998.
Götzl: Welche Personen haben da eine Rolle gespielt für Sie?
Winter: Eigentlich die komplette Sektion von uns. Jan Werner und Thomas Starke zum Beispiel.
Götzl: Wie war es mit Waffen?Winter War bei uns nie Gesprächsthema. Wir waren eine Musikbewegung.
Götzl: Wie sieht es mit Sprengstoff aus?
Winter: Da weiß ich, worauf Sie hinauswollen, aber das hatte nichts mit der Chemnitzer Szene zu tun. Der Starke hat mich mal nach Sprengstoff gefragt, ich hab ihm das privat gegeben. Er wollte privat experimentieren. Das war vielleicht 1996 gewesen.
Götzl: Welche Art Sprengstoff?
Winter: tnt. Vielleicht ein, zwei Kilo.
Götzl: Woher hatten Sie das?
Winter: Von einem Bekannten, der hatte was bei mir abgegeben zur Aufbewahrung.
Götzl: Haben Sie für den Sprengstoff Gegenleistungen bekommen?
Winter: Nein, also nicht dass ich wüsste. Eigentlich war ich ja froh, dass ich das Zeug los war. Irgendwann kriegt man da noch Besuch, und dann gibt’s nur Ärger.

Im Stadtteil Jena-Winzerla wohnten Beate Zschäpe und Uwe Mundlos. Sie trafen sich dort regelmäßig im Jugendclub mit Freunden aus der rechten Szene. In dieser Zeit radikalisierten sie sich, nahmen an Neonazi-Demonstrationen teil, planten die ersten Straftaten.

Tag 188, 26. Februar
Manfred Götzl, Richter. Christina Hamberg, 30, Erzieherin aus Leipzig.

Götzl: Es geht uns um Ihre Kontakte zu Herrn Carsten S., wie Sie ihn kennengelernt haben und wie Sie heute zu ihm stehen.
Hamberg: Mein Einstieg in die Szene war 1996, da war ich zwölf und erst partymäßig dabei. 1997 bin ich zur Gruppe in Winzerla gestoßen und hab Carsten kennengelernt. Damals war eine Tankstelle der Treffpunkt, da saß ein Obdachloser mit Bier. Wir haben dem das Bier geklaut und sind zusammen in den Jugendclub gefahren. Unser Kontakt besteht bis heute, wir haben den Ausstieg aus der rechten Szene gemeinsam gefunden.
Götzl: Wann war der Ausstieg?
Hamberg: Er ist 2000 raus und ich Anfang 2001.
Götzl: Wie kamen Sie in die rechte Szene?
Hamberg: Meine Eltern haben sich getrennt, als ich elf war. Das war ein traumatischer Einschnitt, es gab einen schlimmen Absturz, auch schulisch gesehen. Die radikale Gruppe war ein Ventil, um meine stille Wut loszuwerden.
Götzl: Als Sie Carsten S. kennenlernten, welche Rolle spielte er in der Szene?
Hamberg: Die Gruppe in Winzerla bestand eben aus mehreren Leuten, zu denen auch Herr Wohlleben und Carsten zählten. Nach meiner Wahrnehmung sollte Carsten sich um den Nachwuchs kümmern. Es gab in Kahla ein Grundstück, das gepachtet war, da haben sich solche Gruppen immer mal getroffen. Es machte für mich den Eindruck, dass er mit uns mitgeschickt wurde. Nach dem Motto: Indoktrinier die mal ein bisschen.
Götzl: Von wem wurde er geschickt?
Hamberg: Kann ich nicht genau sagen. Die Leitpersonen waren damals Ralf Wohlleben und André Kapke. Ich vermute, dass die das angezettelt hatten. Es wurde auf dem Grundstück ein Cop-Running inszeniert, wir wurden mit Fahrzeugen umkreist. Die haben uns damals wirklich Angst gemacht.
Götzl: Waren Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe damals Gesprächsthema?
Hamberg: Ich hab nur wahrgenommen, dass es die gibt, die Geschichten mit Bombenbauern. Und dass die dann weg sind und hochgelobt wurden für die Taten. Dass sie ernst machen. Sie waren eine Art Märtyrer.
Götzl Haben Sie mitbekommen, ob Herr Wohlleben Kontakt hatte zu den dreien?
Hamberg: Wohlleben nicht. Aber bei André Kapke habe ich in Erinnerung, dass es da irgendwie mal drum ging, das Trio in Südafrika unterzubringen. Von seiner Seite hat man schon gespürt, dass er sich für die drei auch verantwortlich fühlt. Es war auch klar, dass er Kontakt zu denen hat.
Götzl Sie haben bei der Polizei Folgendes zu Protokoll gegeben: »Fakt für mich ist, dass Wohlleben und Kapke die kranksten Hirne sind.« Was haben Sie damit gemeint?
Hamberg: Dass die für mich immer so eine angsteinflößende Aura hatten, so ein bisschen Psycho. Kapke hat eh immer so auf mir rumgehackt. Wenn wir auf ’ner Party waren, und ich mal mehr getrunken hab, dann wurde gesagt: Kannst dich nicht benehmen! Man hat mich Windelwichs genannt, scheißt noch in die Windeln. Toller Name für ein junges Mädchen.
Götzl: Dann haben Sie erzählt, dass jemand Döner gegessen hat und dafür bestraft wurde.
Hamberg: Das war der Lück, der kam nach mir und war dann der neue Windelscheißer. Es kursierte das Gerücht, dass er einen Döner gegessen hat, als er bei Wohlleben zur Tür reinkam. Und dass Wohlleben sagte: Jetzt machst du zehn Liegestütze. Und wenn du noch mal Döner isst, wirst du ausgepeitscht.

Tag 190, 5. März
Manfred Götzl, Richter. Hendrik Lasch, 39, Einzelhändler aus Chemnitz.

Götzl: Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe haben nach ihrem Untertauchen im Jahr 1998 eine Wohnung gesucht. Was wissen Sie dazu?
Lasch: Es wurde ganz normal angesprochen, dass eine Wohnung gesucht wird. Von wem, weiß ich nicht mehr genau.
Götzl: Wo haben Sie sich nach dem Untertauchen erstmals wieder getroffen?
Lasch: Nach dem Abtauchen, meinen Sie? Wir kannten uns ja schon länger, das war kein spezieller Cut, kein großes Thema, dass man jetzt alles anders machen muss im Untergrund. Ich fand die Situation nicht großartig anders als vorher.
Götzl: Dann müssen wir uns unterhalten, was für Sie normal ist und was nicht. Ist Untertauchen ein gewöhnlicher Vorgang?
Lasch: Es ist kein gewöhnlicher Vorgang, aber für die damalige Zeit …
Götzl: Wie war das erste Zusammentreffen nach dem Untertauchen?
Lasch: Das war nicht geheim. Wir haben uns nicht nur nachts gesehen. Ich fand die Situation nicht besonders brisant.

Tag 191, 11. März
Manfred Götzl, Richter. Marcel Degner, 39, aus Gera, selbstständig, früherer V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes.

Götzl: Es geht uns um Erkenntnisse zu Blood & Honour. Was können Sie dazu sagen?
Degner: Na ja, gut. Ich war bei Blood & Honour gewesen, so ab 1996.
Götzl: Bitte lauter und deutlich sprechen!
Degner: Okay. Und ja, keine Ahnung. Jetzt haben Sie mich aus dem Konzept gebracht.
Götzl: Schildern Sie einfach mal, welche Bezüge zu Blood & Honour bestanden.
Degner: Von 1996 bis 2000 war ich Sektionschef in Thüringen, nach dem Verbot musste ich zwangsläufig damit aufhören.
Götzl: Wann war die Verbotsverfügung?
Degner: Im September 2000.
Götzl: Weswegen wurde Blood & Honour Thüringen gegründet?
Degner: Es war eine Musikbewegung und diente dazu, Konzerte zu veranstalten.
Götzl: Aus welchem Bereich sollten die Bands rekrutiert werden?Degner Aus der rechten Musikszene.

(Pause.)

Götzl: Haben Sie mal nachgefragt, bei Starke oder anderen, ob die drei Untergetauchten noch Geld bräuchten?
Degner: Kann schon sein.
Götzl: Aufgrund welcher Umstände kommen Sie zu der Einschätzung, es könnte schon sein?
Degner: Schwierig.
Götzl: Ja, ich kann die Frage für Sie nicht beantworten! Was ist denn schwierig?
Degner: Überhaupt die Frage zu beantworten. Erinnerungstechnisch ist das eher noch sehr schwach vorhanden. Ich kann das nicht wirklich mit Ja oder Nein beantworten.
Götzl: In der Regel will ich wissen, wie es im Einzelnen war!
Degner: Also, es könnte sein, dass es so gewesen ist.
Götzl: Dann müsste ja irgendwas in Ihrer Erinnerung vorhanden sein. Mit wem haben Sie gesprochen?
Degner: Mit Starke, glaub ich, ja.
Götzl: Und wann und wo?
Degner: Bei irgendeinem Konzert. Wo und wann, keine Ahnung.

(Pause.)

Götzl: Herr Wießner vom Thüringer Verfassungsschutz hat vor Gericht gesagt, Sie seien die Quelle 2100 gewesen.
Degner: Den kenne ich nicht.
Götzl: Haben Sie eine Ahnung, warum Sie Herr Wießner als Quelle bezeichnet hat?
Degner: Das müssten Sie Herrn Wießner fragen.
Götzl: Den hab ich schon befragt. Uns liegen im Übrigen auch Ablichtungen von Ihren Quellenmeldungen vor. (Er liest ihm eine Meldung vor.)
Degner: Was kann ich dazu sagen, wenn’s da drinne steht? Ich hab’s da nicht reingeschrieben.

Tag 192, 12. März
Manfred Götzl, Richter. Andreas Reinl, 41, Verkaufsleiter aus München.

Götzl: Es geht uns um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Frau Zschäpe, ob Sie die Personen gekannt haben?
Reinl: Den Uwe Mundlos hab ich in der Schule kennengelernt oder sogar im Kindergarten. Er war schon mein bester Freund. Nach der Schule hat jeder seinen Lehrberuf gehabt, dann hat sich das ein bisschen auseinandergelebt.
Götzl: Können Sie ihn beschreiben?
Reinl: In der Schule, bis zur sechsten Klasse, da war er schon eher so pazifistisch unterwegs. Er hatte langes gelocktes Haar und trug gern selbst gestrickte Pullis. Er war gegen alles, was so vom System, der SED, aufoktroyiert wurde. Gegen die Armee, gegen die Partei. Nach dem Umzug nach Winzerla ist er in eine rechte Szene reingekommen, die Gedankengänge wurden immer absoluter, radikaler. Das fiel genau in die Zeit der Wende.
Götzl: Können Sie das näher beschreiben?
Reinl: Ja, gut, er fing an, Geschichten aus dem Dritten Reich zu erzählen. Was die alles gemacht haben und Gutes gemacht haben. Wenn man aber sagte, schau mal, dein Bruder zum Beispiel hat Kinderlähmung, das wäre damals unwertes Leben gewesen, dann hat er das weggewischt. Da war schon eine gewisse Kälte und Erbarmungslosigkeit. Er hat das Talent zur Agitation. Wenn er von etwas überzeugt war, dann hat er das zehnmal wiederholt, bis man ihm zugestimmt hat.
Götzl: Wie ging es weiter?
Reinl: Er wurde halt immer rechter. Mit der Wende fielen ja auch die Autoritäten weg, was Neues war noch nicht richtig da. Er ist da irgendwo in diese rechte Szene eingetaucht, es ging los mit der Musik, bestimmte Musik, die Haare wurden geschoren, Stiefel getragen, solche Dinge halt.
Götzl: Waren Waffen oder Gewalt mal ein Thema?
Reinl: Scharfe Waffen auf jeden Fall nicht. Ich hatte ein Luftdruckgewehr, mit dem haben wir schon Schießübungen gemacht. Aber nix Außergewöhnliches. Mit 14 waren wir im Wehrausbildungslager, da haben wir mit Kalaschnikows schießen müssen. Nach der Wende ging es dann los, jeder musste ein Messer haben oder eine Gaspistole.
Götzl: Können Sie uns etwas zu seinen Vorlieben sagen, was Musik angeht?Reinl In der Schulzeit hat er viel Udo Lindenberg gehört, später wurden daraus die Böhsen Onkelz.Götzl Hatte er Vorlieben für bestimmte Fernsehsendungen?
Reinl: Ja, den Rosaroten Panther fand er damals schon immer ganz toll. Diese Sprüche, da kommt ja immer so eine Stimme auf dem Off, das gehörte eigentlich zu seinem Sprachgebrauch.
Götzl: Sie haben der Polizei gesagt, er habe in der zehnten Klasse antijüdische Spiele programmiert.
Reinl: Ja, ich bilde mir ein, dass da ein Spiel war, wo man Juden abschießen sollte.
Götzl: Weiter haben Sie über Beate Zschäpe ausgesagt: Anfangs dachte ich, was ist denn das für eine Primitive, die hat ja nichts im Kopf!
Reinl: Das war so ihre Art, in den Tag hineinzuleben. Und so wie sie sich gegeben hat – das hat auf mich gewirkt damals, als sei sie sehr unterwegs gewesen. Und ein Stück weit obszön. Sie konnte auch mal recht laut werden und warf mit unanständigen Ausdrücken herum. Aber das ist vielleicht auch ein Stück weit normal in einer Gruppe mit pubertierenden Jungs.
Götzl: Erinnern Sie sich noch an Uwe Mundlos bei dem letzten Treffen? Wie er ausgesehen hat?
Reinl: Er hatte, glaube ich, sein übliches Outfit an, die Bomberjacke, und war sehr fröhlich. Es war nur ein kurzes Treffen auf der Straße. Er sagte, dass er angeblich von zweien beobachtet würde, die er erst mal abschütteln müsse.

Hier stand bis vor Kurzem die Autobahnbrücke der früheren A4, von der Böhnhardt, Mundlos und ihre Freunde im April 1996 eine Puppe mit Judenstern hängen ließen.

Tag 193, 18. März
Manfred Götzl, Richter. Mike Martin, 40, aus Plauen, arbeitslos. Olaf Klemke, Verteidiger von Ralf Wohlleben.

Martin: Ich bin mit Beate auf die Goetheschule in Jena gegangen. Wir waren cliquenmäßig befreundet. Als ich in die Lehre ging, gab es dann keinen Kontakt mehr.
Götzl: Wann hatten Sie zu Frau Zschäpe den letzten Kontakt?
Martin: Nach der Gerichtsverhandlung. Wir hatten eine gemeinsame Verhandlung wegen Diebstahl, danach habe ich mich distanziert.
Götzl: Was heißt das?
Martin: Ich bin politisch links eingestellt und habe es für sinnvoll gehalten, Abstand von der Gruppe zu nehmen.
Götzl: Welche Gruppe meinen Sie?
Martin: Die ganze Clique, wir waren ziemlich viele. Das waren nicht nur die Angeklagten und die Verstorbenen, das waren zehn bis 20 Leute. Ich wurde zu Sozialstunden verurteilt. Wir haben damals im Kaufhaus Horten geklaut.
Götzl: Hatten Sie auch Kontakt zu Herrn Wohlleben? Martin Den kannte ich flüchtig, weil ich mit seinem Bruder Alexander befreundet war.

(Pause.)

Klemke: Herr Martin, erzählen Sie mir was über Alexander Wohlleben.
Martin: Ich war befreundet mit dem, jahrelang.
Klemke: Wann haben Sie Alexander kennengelernt?
Martin: Nach meiner Gerichtsverhandlung mit Frau Zschäpe, als wir vor dem Jugendrichter gestanden haben.
Klemke: Beschreiben Sie mir die Persönlichkeit von Alexander Wohlleben.
Martin: Wir hatten den gleichen Musikgeschmack. Wir hatten beide Kurzhaarschnitte. Er war entweder größer als ich oder einen halben Kopf kleiner, und immer so gekleidet wie ich, mit Ledermantel und Käppi. Wir waren linksorientiert.

(Martin ab.)

Klemke: Ich möchte Folgendes erklären: Nach über 40 Lebensjahren hat Herr Martin meinem Mandanten einen Bruder geschenkt, das findet mein Mandant nicht schlecht. Festzustellen ist aber, dass die Aussage in weiten Teilen ein Fantasiekonstrukt ist. Ich möchte, dass das Gericht dem Zeugen kein einziges Wort glaubt.

Tag 195, 25. März
Manfred Götzl, Richter. Oswald Ackermann, 57, Sparkassen-Mitarbeiter aus Ilmenau.

Götzl: Es geht uns um einen Überfall auf die Sparkasse Arnstadt am 7.9.2011. Was haben Sie in Erinnerung?
Ackermann: Es war zwischen 8.30 und 9 Uhr. Ich befand mich im Beratungsbereich und hörte in der Servicezone jemanden rufen: Überfall, hinlegen! Ich hab – mehr instinktiv – den Alarmknopf betätigt, der an meinem Schreibtisch angebracht ist. Hab dann gehört, wie ein Täter rief: Aufmachen! Wo ist der Schlüssel? Einer der Täter setzte sich mit einer Kollegin in Richtung meines Büros in Bewegung, die Pistole hielt er ihr an den Kopf. Der hat mich gar nicht gesehen, deshalb habe ich gesagt: Nicht erschrecken, ich stehe hinter Ihnen. Er hat gesagt: Wo ist der Schlüssel für den Tresorraum? Aufmachen!, hat er geschrien. Ich habe gesagt, er möge bitte Ruhe bewahren. Er hat weitergeschrien, war sehr hektisch. Ich habe gesagt, er müsse warten. Der Tresor ist zeitgesichert, das dauert, bis man den öffnen kann. Er hat gedroht, mich zu erschießen. Da hab ich ihn angeblafft, was das solle. Dann bleibt der Tresor zu, ich kann nicht zaubern. Ich hab mich umgedreht, um am Safe die Kombination einzugeben. Dann ist der Täter verschwunden. Was ich nicht mitbekommen hab, dass er wohl einer Kollegin mit dem Telefon auf den Kopf geschlagen hat. Die lag dann auf dem Boden in einer Riesenblutlache. Die Kollegin hat heute noch sehr große Probleme damit.

Götzl: Welche Probleme?
Ackermann: Sie war unmittelbar danach in psychologischer Betreuung. Sie ist heute nicht mehr im Kundenbereich einsetzbar und arbeitet jetzt in der Sachbearbeitung.
Götzl: Wie ging es dann weiter?
Ackermann: Eine Kollegin hat aus Sorge, dass die Täter noch mehr Gewalt anrichten, die Kassenbox geöffnet und Geld ausgehändigt, insgesamt 15 000 Euro. Das war dann die Beute, mit der die Täter abgezogen sind. Der Tresor wurde ja nicht geöffnet.
Götzl: Mich würde noch interessieren, was der Täter, mit dem Sie befasst waren, mit den Waffen gemacht hat.
Ackermann: Am meisten in Erinnerung ist mir, dass er der einen Kollegin die Pistole ganz dicht in den Nacken gehalten hat. Eine Waffe hat er ständig auf meinen Kopf gerichtet.

Tag 198, 15. April
Manfred Götzl, Richter. Eckhard Dietrich, 62, Wachmann in Stralsund.

Götzl: Es geht uns um einen Überfall auf eine Bank in Stralsund am 18.1.2007. Mich würde interessieren, was sich damals zugetragen hat.
Dietrich: An dem Tag ging ich gegen 17 Uhr in die Bank, in den Kassenraum, wo sich die Automaten befanden. Ich hab begonnen, die Überweisung einzugeben, tastaturmäßig. Dann ging die Zwischentür auf, und zwei maskierte Männer kamen in den Kassenraum. Ich hab mitbekommen, dass sich alle hinlegten. Ich hing aber schockiert an meiner Überweisung. Dann kam ein Täter zu mir und schrie mich an, ob ich denn blöd wäre. Ich solle mich auch auf den Boden legen. Worauf ich entgegnete, ich werde das gleich tun. Ich wolle nur meine Überweisung zu Ende bringen. Wie gesagt, es muss ein Schockzustand gewesen sein. Es kam dann die Bescheinigung aus dem Automaten und dann die EC-Karte, die ich wieder an mich nahm. Dann habe ich mich neben den Automaten gekauert.
Götzl: Wie waren die Folgen des Überfalls für Sie?
Dietrich: Na ja, ich hab viel grübeln müssen. Damals hab ich noch gedacht: Wenn ich hätte eingreifen können? Ich habe etwas später eine Prüfung zum Wach- und Sicherheitsdienst gemacht. Da war sicher auch der Gedanke dahinter, dass ich dazu beitragen wollte, dass Stralsund sicherer wird.

Tag 199, 22. April
Manfred Götzl, Richter. Gordian Meyer-Plath, 46, Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz Sachsen, früher V-Mann-Führer in Brandenburg.

Götzl: Es geht uns um die Führung des V-Mannes Carsten Szczepanski. Haben Sie noch in Erinnerung, was er sagte?
Meyer-Plath: Er sagte, drei Skinheads seien untergetaucht und wollten sich der Strafvollziehung entziehen. Sie wollten sich ins Ausland absetzen und Geld dafür durch Banküberfälle beschaffen. Dann gab es noch eine Meldung über Jan Werner, der versuche, Waffen für die drei zu beschaffen. Das alles spielte sich von August bis September 1998 ab.
Götzl: Können Sie Herrn Szczepanski beschreiben? Wie er die Mitteilungen übergab?
Meyer-Plath: Er war keine V-Person, der man langwierig die Informationen aus der Nase ziehen musste. Er berichtete proaktiv und nicht auf Nachfrage. Das machte den Wert der Quelle aus.
Götzl:
Wurden seine Informationen überprüft?
Meyer-Plath: Es ist die Aufgabe des Auswerterreferats, die Informationen auf dem Hintergrund anderer Informationen zu überprüfen. Passt das? Ist das was Neues? Exklusives? Um den Wert der Quelle zu ermessen. Lohnt sich dieser Einsatz überhaupt? Das Feedback der Auswerter war, dass die Informationen von Szczepanski immer von hoher Qualität waren.
Götzl: Welche Leistungen hat Herr Szczepanski für seine Tätigkeiten erhalten?
Meyer-Plath: Er hat von 1994 bis 2000 – ich bin mir nicht ganz sicher, ich meine, es waren 80 000 D-Mark gewesen.

Tag 202, 29. April
Manfred Götzl, Richter. Kay Steinicke, 40, Vollzugsbeamter aus Jena.

Steinicke: Ich kenne halt Beate Zschäpe und Uwe Mundlos bestimmt seit Ende der Achtzigerjahre. Den Uwe Böhnhardt habe ich Mitte der Neunziger kennengelernt. Ich muss zugeben, dass ich vor allem mit Beate Zschäpe und Uwe Mundlos auch freundschaftlich verbunden war.
Götzl: Wer gehörte denn damals in dieser Zeit zu Ihrem Freundeskreis außer den beiden? Steinicke: Viele Leute, wir waren auch recht bunt gemischt, es waren anfangs auch Punks dabei. Meiner Meinung nach gab es Mitte der Neunzigerjahre eine Radikalisierung in der rechten Szene.
Götzl:
Inwiefern?
Steinicke: Vorher waren wir Jugendliche, die einen Kleidungsstil hatten und vielleicht auch rechte Musik gehört haben. Aber jetzt sollte man politisch aktiv werden. Man sollte auch zu Schulungen gehen. Ich sollte zu einem Treffen des Thüringer Heimatschutzes. Aber ich hatte keine Lust drauf.
Götzl: Wer ist denn da an Sie herangetreten?
Steinicke: Der Mundlos.
Götzl: Um welche Schulungen ging es?
Steinicke: Keine Ahnung. Ich denke mal, es ging darum, das rechte Weltbild mehr oder weniger zu festigen.
Götzl: Vielleicht erklären Sie mir auch, was Sie damit meinen.
Steinicke: Ich bin ja nun eigentlich ein typisches Wendekind. Ich war damals so 16, 17 Jahre alt. Und man hatte gelernt, wie böse der Westen ist, und dann war es andersherum. Man denkt als Jugendlicher leider schwarz-weiß. Und ich hab gedacht, wenn das Linke damals falsch war, dann ist jetzt wohl das Rechte richtig.
Götzl: Wie waren denn damals Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gekleidet?
Steinicke: Ich hab noch stark in Erinnerung, das war vor dem Abtauchen, dass sie in Form einer braunen SA-Uniform herumgerannt sind.
Götzl: Können Sie Frau Zschäpe beschreiben?
Steinicke: Sie hat einfach dazugehört. Ich kannte sie als freundlichen Menschen.
Götzl: Haben Sie nach dem Abtauchen noch indirekten oder telefonischen Kontakt mit einem der drei gehabt?
Steinicke: Indirekt wurde ich nach Geld gefragt.
Götzl: Gab es da eine Vorgeschichte mit den dreien?
Steinicke: Ja. Ich wurde 1996 einfach mal gefragt von Herrn Mundlos und Böhnhardt, ich glaube auch von Beate Zschäpe, ob ich mal was für sie tun würde. Ich wurde beruhigt, sie brauchten eigentlich nur einen Alibi-Zeugen. Und es wurde mir gesagt, dass es darum ging, diese Puppe auf der Autobahn aufzuhängen. Sie bräuchten jemanden, der bezeugen könnte, dass sie das nicht waren.

(Pause.)

Ich habe zugesagt. Aber ich hätte Nein sagen sollen. Müssen. Ich hab mit der Planung an sich – da kann ich gar nichts zu sagen. Dieses Gespräch – etwa ein, zwei Monate, bevor diese Puppe aufgehängt wurde, da fand das Gespräch statt. Zu dem Zeitpunkt hat sich mein Verhältnis zu Mundlos und Böhnhardt schon geändert. Ich hab eigentlich schon gedacht, das hat sich jetzt erledigt. Aber irgendwann kamen sie auf mich zu: Jetzt ist es so weit. Und aus der Nummer kam ich nicht mehr raus.
Götzl: Erzählen Sie weiter, bitte!
Steinicke: Dann sollte man als Alibi irgendeine Feierlichkeit haben. Und dann sind wir halt losgefahren und haben diese Puppe aufgehängt.
Götzl: Erzählen Sie bitte einfach weiter!
Steinicke: Na ja. Ich sag mal, dieses Ereignis hat im Nachhinein bei mir bewirkt, dass ich mich intensiver mit dem Gedankengut von rechts befasst habe. Ich muss sagen, es tut mir wirklich leid, dass ich da auch gelogen hab vor Gericht.
Götzl: Wer war denn da alles dabei an der Brücke?
Steinicke: Herr Mundlos, Herr Böhnhardt, Frau Zschäpe, ich und der Herr Wohlleben.
Götzl: Wo ist die Puppe aufgehängt worden?
Steinicke: An einer Brücke Richtung Erfurt.
Götzl: Wie ging das vor sich?
Steinicke: Das war dunkel und musste alles schnell gehen. Ich hab so einen Verkehrskegel in die Hand gedrückt bekommen und sollte den auf der anderen Seite aufstellen.
Götzl: Was hat Frau Zschäpe gemacht?
Steinicke: Ich glaube, sie hat nur zugeguckt.
Götzl: Ist darüber gesprochen worden, was man damit bezweckt?
Steinicke: Ich sag mal, diese Botschaft an sich war ja schon da. Aber der Tenor war: Man muss jetzt endlich mal was machen.
Götzl: Wie ging denn die ganze Sache dann weiter?
Steinicke: Irgendwann wurde ja mal ein Fingerabdruck von Herrn Böhnhardt gefunden. Und zwischendurch haben wir uns mal abgesprochen, was gesagt wird.
Götzl: Wer war da zugegen?
Steinicke: Alle Beteiligten.
Götzl: Was ist da besprochen worden? Steinicke Genau weiß ich es nicht mehr. Dass wir alle das Gleiche sagen halt.

Tag 206, 19. Mai
Bernd Tödter, Gründer der rechtsextremen Organisation »Sturm 18«, wurde bereits am Tag 185 geladen.

Tödter: Ich habe eine Ergänzung zu machen. Die Aussagen bei der Polizei, die sind gelogen, die habe ich mir nur ausgedacht. Die Personen, die hier sitzen, kenne ich nicht, noch nie gesehen, nur im Fernsehen oder in der Zeitung. Grund für meine Aussage bei der Polizei: Ich wollte mir Hafterleichterungen erschleichen. Ich denk, das war’s im Groben.

Tag 209, 10. Juni
Manfred Götzl, Richter. Wolfgang Heer, Verteidiger von Beate Zschäpe. Beate Zschäpe, Angeklagte.

Götzl Es wird bekanntgegeben, dass Frau Zschäpe einen Entbindungsantrag hinsichtlich der Verteidigung durch die Rechtsanwältin Sturm abgegeben hat.

(Zu Sturm, Heer und Stahl) Soll von Ihrer Seite etwas dazu gesagt werden?
Heer: Wir beantragen, die Hauptverhandlung für heute zu unterbrechen, aufgrund der dargelegten prozessualen Situation. Wir sehen Anlass für eine eingehende Beratung mit der Mandantin.
Götzl: Frau Zschäpe, wollen Sie selbst etwas dazu sagen?
(Sie schüttelt den Kopf.)

Tag 211, 17. Juni
Manfred Götzl, Richter. Hans-Joachim Muth, 64, und Frank-Ulrich Fehling, 72, ehem. Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Hessen. Thomas Bliwier, Anwalt der Nebenklage.

(An diesem und den folgenden Tagen geht es um den Verfassungsschutzbeamten Andreas Temme, der am Tatort war, als Halit Yozgat ermordet wurde. Er hatte sich nicht als Zeuge gemeldet und stand zeitweise unter Mordverdacht.)

Götzl: Es geht uns um die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Tatgeschehen am 6.4.2006 in Kassel zum Nachteil Halit Yozgats. Von Interesse ist ein Telefonat, das zwischen Ihnen und Herrn Temme am 9.5.2006 geführt worden sein soll. Und es geht um die Frage, ob das Landesamt für Verfassungsschutz mit Herrn Temme die polizeilichen Ermittlungen gesteuert oder beeinflusst hat.
Muth: Ich weise nur allgemein darauf hin, dass wir die Maßnahmen der Polizei weder behindert noch gesteuert haben. Das Telefonat: An den Inhalt kann ich mich exakt nicht erinnern. Das ist keine Erinnerungslücke, die ich hier zur Schau stelle, im Detail liegt das über acht Jahre zurück.

(Weil Andreas Temme damals unter Mordverdacht stand, wurde sein Telefon von der Polizei abgehört. Das angesprochene Telefonat wird über Lautsprecher im Gerichtssaal eingespielt.)

Götzl: Was sagen Sie dazu?
Muth: Ich kann nur vielen Dank sagen, das Gespräch ist jetzt wieder da bei mir. Das war offensichtlich, als Herr Temme nicht mehr in Untersuchungshaft war. Er hat versucht, Kontakt aufzunehmen, wegen des Auftrags, eine dienstliche Erklärung zu den Umständen am Tatort zu schreiben. Ich habe versucht, für meinen Kollegen da zu sein. Sie mögen aber auch feststellen daran, dass ich ihn nicht beeinflusst habe. Ich wollte nicht laufende Ermittlungsverfahren tangieren durch Ratschläge von meiner Seite.
Götzl: Wie war Ihr Kenntnisstand zu Temmes Situation zu dem Zeitpunkt des Telefonats? Und welche Kenntnisse hatten Sie von den Vorwürfen?
Muth: Ich wusste, dass er sich in unmittelbarer Nähe zum Tatort aufgehalten hat. Dass er in einem Internetbüro gesurft hat. Und dass es nichts mit dem Dienst zu tun hatte was seiner Frau nicht gefallen hat.
Bliwier: Ihr Untergebener war des Mordes beschuldigt. Welche Gespräche und mit wem haben zu diesem Thema stattgefunden?
Muth: Es gab eine Besprechung. Unser Amtsleiter hatte angeordnet zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt Herr Temme wo gewesen ist. Ansonsten hat die Amtsleitung den Kontakt zur Polizei wahrgenommen.

(Muth ab. Der Zeuge Frank-Ulrich Fehling betritt den Gerichtssaal.)

Götzl: Es geht um eine Tat am 6.4.2006 zum Nachteil von Halit Yozgat. Insbesondere um Telefonate von Ihnen mit Herrn Temme und die Frage, ob das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen Einfluss auf die polizeilichen Ermittlungen genommen hat. Was können Sie dazu sagen?
Fehling: Ich saß ja vor einem Jahr schon mal hier. Die zwei Telefonate mit Herrn Temme habe ich vergessen.

(Ein Telefonat zwischen Fehling und Temme vom 2.5.2006 wird nun eingespielt.)

Götzl Was sagen Sie dazu?
Fehling: Ich habe da rausgehört, was wir alle angenommen haben: dass er am falschen Zeitpunkt am falschen Platz war. Dass er vielleicht mit dem Ziel, einen guten Dienst zu machen, das verschwiegen hat, dass er dort war. Und er gedacht hat, vielleicht kriegen sie nichts raus. Ein Tötungsdelikt, einen Mord, hab ich ihm nie zugetraut, auch wenn die Polizei nach den Vernehmungen mir das anders dargestellt hatte. Aus ausländerfeindlichen Gründen schon gar nicht. Ich kannte ihn zwar nur seit zwei Jahren im Dienst, aber konnte mir schon ein Bild von ihm machen. Wir haben darüber gesprochen: Wenn er nun im Blickpunkt wäre von Journalisten, dann wäre seine Möglichkeit, im operativen Geschäft zu arbeiten, beendet. Dann ist deine Karriere beendet, habe ich ihm gesagt.

Garagenkomplex in Jena: Beate Zschäpe hatte die Nummer 5 gemietet. Am 26.01.1998 fand die Polizei dort rechtes Propagandamaterial, Sprengstoff und halbfertige Rohrbomben.

Tag 213, 24. Juni
Manfred Götzl, Richter. Gerald Hess, 70, ehemals Geheimschutzbeauftragter des Verfassungsschutzes Hessen. (Die Zeugin Meral Keskin ist nicht erschienen, ihr Rechtsanwalt sagt, sie sei auf dem Weg hierher zusammengebrochen.)

Hess: Herr Temme ist vom Dienst suspendiert worden. Damit war die Sache erst mal auf Eis gelegt. Wir sind ja keine Behörde, die neben der Polizei noch ermittelt. Man wartet erst mal ab, was die Polizei ermittelt, zu welcher Schlussfolgerung sie kommt. Wenn man das hat, dann hat man eine Grundlage bezüglich eines Disziplinarverfahrens oder weiterer Folgerungen bezüglich der Sicherheitsüberprüfung.
Götzl: Worum ging es der Polizei? Welche Informationen wollte sie von Ihnen?
Hess: Im Einzelnen kann ich mich nicht mehr erinnern, nur allgemein: Sie wollte zu jedem der Morde, die damals bekannt waren, wissen, ob Temme in der Nähe dieser Tatorte gewesen war oder nicht. Das haben wir dann aufgelistet und der Polizei zur Verfügung gestellt. Und sie wollte noch Quellen von uns befragen.
Götzl: Gab es weitere polizeiliche Maßnahmen in Bezug auf Herrn Temme, von denen Sie zu dem Zeitpunkt Kenntnis hatten? Durchsuchungen vielleicht?
Hess: Ja, in der Außenstelle des Landesamts für Verfassungsschutz und bei Herrn Temme zu Hause.
Götzl: Wissen Sie, was bei der Durchsuchung sichergestellt wurde?
Hess: Auszüge aus Mein Kampf, die er mal in der Jugend abgeschrieben hat. Rauschmittel in geringer Menge, die er seit 15 oder zehn Jahren in einer Kassette aufgehoben hatte. Ich meine, es wäre auch noch Munition gefunden worden.
Götzl: Stichwort Quellen waren Sie dafür zuständig?
Hess: Nein, nein, nein. Im Endeffekt entscheidet so was der Minister. Ich hab natürlich eine Meinung dazu gehabt.
Götzl: Welche?
Hess: Der Verfassungsschutz ist eine Behörde, da gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Und wenn ein Mordvorwurf im Raum steht, gehen natürlich alle Sicherungen runter, dann geht es möglicherweise bis hin zur Quellenbefragung. Wenn aber der Verdacht am Schwinden ist, dann bleiben die Quellen natürlich bestehen, denn es geht ja immerhin um die Arbeitsfähigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz.
Götzl: Wem gegenüber haben Sie diese Meinung geäußert?
Hess: Dem Amtsleiter gegenüber. Und im Endeffekt wurden die Quellen ja auch befragt, aber indirekt. Die Fragen der Polizei gingen an uns, und wir haben sie weitergeleitet. Und vorher hab ich mich auch noch informiert bei der Staatsanwaltschaft, wie es mit dem Verdacht aussieht.
Götzl: Wie kam es denn jetzt zu Ihrem Telefonat mit Herrn Temme am 9.5.2006?
Hess: Herr Temme hat versucht, mich zu erreichen, ich habe ihn zurückgerufen. Wir haben in der Zeit schon etliche Male telefoniert. Am Anfang ging es um seine dienstliche Erklärung, um Anfragen der Polizei. Im Endeffekt waren wir uns einig: Alles, was die Polizei haben will, kann sie haben. Ich sagte ihm: Versuch mal, dich mit der subjektiven Sache zurückzunehmen. Was ist denn objektiv passiert? Und ich habe vor der Gefahr gewarnt, wegen irgendwelcher Peinlichkeiten den bequemen Weg zu gehen und von der Wahrheit abzuweichen.
Götzl: Was hatten Sie da im Auge?
Hess: Das Flirten im Internet. Das gesteht man ja vielleicht nicht gern, wenn die Frau zu Hause in vier Wochen entbindet.

(Das Telefonat von Hess und Temme vom 9.5.2006 wird im Gerichtssaal vorgespielt.)

Götzl: Sie haben in dem Telefonat gesagt: »Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren.«
Hess: Dieser Satz bedeutet: Wenn er gewusst hätte, welche Schwierigkeiten er sich da einhandelt durch den Besuch des Internetcafés, dann hätte er einen großen Bogen drum geschlagen.
Götzl: Sie sagten aber: »Ich sage jedem, wenn er weiß …«
Hess: Ich hätte auch sagen können: Wie kann man nur so blöd sein, an einem Mordtatort vorbeizufahren!
Götzl: Die Frage ist: Wie soll der Betreffende das wissen?

(Ein Telefonat von Hess und Temme am 20.6.2006 wird vorgespielt.)

Götzl: Was gibt es aus Ihrer Sicht dazu zu sagen?
Hess: Ja, er hat seine Bereitschaft erklärt, durch Hypnose oder so Dinge aus seinem Gehirn rauszuholen, an die man selbst nicht mehr rankommt. Das Gespräch deutet ja wieder darauf hin, dass er bereit war, möglichst alles zu tun, um den Sachverhalt aufzuklären.
Götzl: Gab es denn Vorwürfe Ihnen gegenüber oder dem Amtsleiter Herrn Irrgang, dass Sie Herrn Temme Rückendeckung geben?
Hess: Ich hab nur Vorwürfe in Erinnerung, nach dem Muster: Wie könnt ihr nur so einen schlimmen Menschen … – also Behauptungen, keine Fakten. Darauf kann ich nicht bauen. Da muss man erst mal abwarten, was von den Behauptungen übrig bleibt. Meine Meinung war: Kommt ihr zu eurem Ergebnis, dann machen wir. Ich habe aber mitbekommen, dass Teile der Polizei unzufrieden waren.

Tag 214, 30. Juni

Manfred Götzl, Richter. Beate Zschäpe, Angeklagte. Eva Schmidt-Temme, 43, Hausfrau aus Hofgeismar. Yavuz Narin, Anwalt der Nebenklage.

Götzl Ich habe soeben ein Schreiben von Frau Zschäpe erhalten, das ich hier verlese: Sehr geehrter Herr Vorsitzender, hiermit beantrage ich, die Befragung von weiteren Zeugen erst nach Beiordnung von Rechtsanwalt Grasel fortzuführen.
(Er wendet sich an Zschäpe.)
Es ist natürlich die Situation so, dass Sie verteidigt sind. Sodass der Fortgang der Hauptverhandlung stattfinden kann und keine Veranlassung besteht, die Befragung von weiteren Zeugen hintanzustellen. Wollen Sie dazu etwas sagen?
(Zschäpe schüttelt den Kopf.)
Götzl Soll der Antrag aufrechterhalten werden?
Zschäpe (leise) Ja.

(Das Gericht zieht sich zurück und erscheint nach kurzer Pause wieder im Gerichtssaal.)

Götzl: Der Antrag der Angeklagten wird abgelehnt. Ein Anlass ist nicht ersichtlich. Die Angeklagte wird von drei Verteidigern vertreten.

(Die Zeugin Eva Schmidt-Temme betritt den Gerichtssaal.)

Schmidt-Temme: Ich war gerade in der Badewanne, als mein Mann ins Bad kam und sagte, die Polizei sei da, er müsse mit nach Kassel. Als er am nächsten Tag zurückkam, hat er mir erzählt, dass er am Tag des Mordes an Halit Yozgat in dem Café gechattet hat und er mir das halt nicht sagen wollte.
Götzl: Haben Sie auch darüber gesprochen, ob er von der Tötung des Herrn Yozgat etwas mitbekommen hat?
Schmidt-Temme: Er hat mir gesagt, dass er nichts mitbekommen hat. Er hat auch keine Leiche gesehen.
Narin: Hat Ihr Mann Ihnen gegenüber mal klipp und klar gesagt, dass er die Tat gemacht oder nicht gemacht hat?
Schmidt-Temme: Es stand nie im Raum. Ich bin mir gar nicht sicher, ob er das so ausgesprochen hat. Er brauchte das nicht zu sagen. Ich bin mir ganz sicher und würde, wie alle Ehefrauen der Welt, sagen: mein Mann nicht.

Tag 216, 7. Juli
Manfred Götzl, Richter. Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl, Anja Sturm, Mathias Grasel Verteidiger von Beate Zschäpe. Herbert Diemer, Bundesanwalt.

(Der neue Verteidiger von Beate Zschäpe, Mathias Grasel, betritt den Gerichtssaal und unterhält sich mit dem Verteidiger Wolfgang Heer. Ein Justizbeamter bringt einen weiteren Stuhl, und Grasel nimmt Platz. Zwischen ihm und Zschäpe sitzen Wolfgang Stahl und Anja Sturm.)

Götzl: Es sind erschienen: die Angeklagten mit ihren Verteidigern. Heute zusätzlich mit Herrn Rechtsanwalt Grasel. (Pause.) Herr Rechtsanwalt Grasel, Sie hatten mir per Fax einen Antrag zukommen lassen. Soll er hier in der Hauptverhandlung gestellt werden?
Grasel: Ja.
Götzl: Dann verlese ich: Ich beantrage, die Hauptverhandlung für einen Zeitraum von drei Wochen zu unterbrechen, um mir eine Einarbeitung in die Ermittlungsakte zu ermöglichen.(Pause.)
Götzl: Stellungnahmen?
Diemer: Ich halte es nicht für erforderlich, hier zu unterbrechen. Die Angeklagte ist durch drei Verteidiger zusätzlich verteidigt. Es ist nicht erforderlich, dass das Verfahren drei Wochen aufgehalten wird.

(Das Gericht zieht sich zurück und erscheint nach kurzer Beratung wieder im Verhandlungssaal.)

Götzl: Dem Antrag wird mit der Maßgabe nachgekommen, dass die Sitzung bis zum 14. Juli unterbrochen wird und die Verhandlung am 22. Juli und am 30. Juli abgesetzt wird.

Tag 218, 15. Juli
Manfred Götzl, Richter. Mario Brehme, 38, Pharmareferent aus Rudolstadt. Jochen Weingarten, Oberstaatsanwalt.

Götzl: Ihr Beruf?
Brehme: Angestellter.
Götzl: Das ist nur das Beschäftigungsverhältnis.
Was ist Ihr Beruf?
Brehme: Erlernter Beruf Pharmareferent.
Götzl: Ihre Adresse?
Brehme:Wie in der Ladung.
Götzl: Bitte schön die Adresse, was sollen die Mätzchen! Erst machen Sie Ärger beim Beruf und jetzt bei der Adresse.
Brehme: Bitte die erste Frage.
Götzl: Es geht nicht um die erste Frage, Sie sollen im Zusammenhang berichten.
Brehme: Ich kenne Ralf Wohlleben, Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos seit Mitte der Neunzigerjahre. Uwe Böhnhardt ist mein Jahrgang, wir hatten einen guten Kontakt. Ich war auf der letzten Geburtstagsfeier von ihm vor seinem Verschwinden. Mit Mundlos verbindet mich, dass wir gleichzeitig das Abitur gemacht haben – er in Jena, ich in Rudolstadt. Beate Zschäpe kenne ich halt auch.
Götzl: Was können Sie uns zu Herrn Wohlleben sagen?
Brehme: Wohlleben war ein gleichberechtigtes Mitglied der Kameradschaft Jena. Später ist er zu einer demokratischen Partei gegangen, ich meine, es war die NPD. Ich war nicht so orientiert, da hat sich unser Werdegang getrennt.
Götzl: Wie war es mit André Kapke?
Brehme: Ihm kam eine zunehmende Bedeutung zu, ab 2001.
Götzl: Was heißt das?
Brehme: Formulieren Sie Ihre Frage um!
Götzl: Ich formuliere meine Frage nicht um!
Brehme: Die Straftaten wurden weniger, auch durch seine Richtungsvorgabe.
Götzl: Können Sie mir das erläutern?
Brehme: Der Staat hat einen ziemlich starken Verfolgungsdruck an den Tag gelegt und Jugendliche vor die Gerichte gezerrt. Kapke hat dafür gesorgt, dass weniger Jugendliche in diese Strickfallen traten. Götzl Wie hat er das gemacht? Brehme Er hat sie darauf hingewiesen. Götzl Stichwort Thüringer Heimatschutz – wer stand dahinter?
Brehme: Tino Brandt und ich.
Götzl: Bestand der Thüringer Heimatschutz nur aus Brandt und Ihnen?
Brehme: Nein, aber ich habe es nicht so mit Namen.
Götzl: Noch mal wer gehörte zum Thüringer Heimatschutz?
Brehme: Das kann ich nicht mit letzter Gewissheit beantworten.
Götzl: Dann beschreiben Sie mir doch mal Personen, die Sie in Erinnerung haben?
Brehme: Legen Sie mir doch Fotos vor.
Götzl: Das letzte Mal, dass ich nachfrage: Sind Ihnen Namen von Mitgliedern des Thüringer Heimatschutzes bekannt?
Brehme: Da haben sich auch Personen zugerechnet, die ich oder Brandt nicht zugerechnet hätten.
Götzl: Die Frage ist langsam schon, ob Sie meine Frage beantworten wollen oder nicht.
Brehme: Wenn mir Namen einfallen, werde ich sie selbstständig beifügen. Weingarten Der Zeuge unterliegt einem Rechtsirrtum. Er glaubt, er dürfe nur bekunden, was er hundertprozentig weiß. Vielleicht kann man ihn darauf hinweisen, dass er sich auf seine Erinnerung verlassen darf.
Götzl: Nein, das versteht er sehr gut. Ich hatte Sie gefragt, ob Sie mir Personen beschreiben können.
Brehme: Meines Erachtens nur Brandt. Er hat die Umstrukturierung der Anti-Antifa zum Thüringer Heimatschutz herbeigeführt. Es gab ja auch Stammtische, da waren auch mal 62 Leute da.
Götzl: Dann müssten Sie ja jede Menge Namen im Kopf haben.
Brehme: Nur Gesichter.
Götzl: Wie war es denn mit dem Einsatz von Gewalt?
Brehme: Das hatte damals untergeordnete Bedeutung. Es wurde diskutiert, welche Möglichkeiten die Polizei hatte, gegen meinungsfremde Personen vorzugehen.
Götzl: Ich habe Sie nicht nach der Polizei gefragt.
Brehme: Sie haben nach Gewalt gefragt. Das ist das Erste, was ich mit Gewalt assoziiere.
Götzl: Sie äußerten in einer Vernehmung durch das BKA: Ich meine, es gab im Spektrum Leute, die Gewalt gegenüber anderen Personen oder Dingen nicht abgeneigt waren.
Brehme: Das Wort Gewalt kam durch die vernehmenden Beamten hinein.
Götzl: Haben Sie den Text durchgelesen und unterschrieben?
Brehme: Durchgelesen ja. Ob ich unterschrieben habe, kann ich nicht sicher sagen. Ich habe die Rechtschreibfehler angestrichen.
Götzl: Kommen Sie doch bitte nach vorne. Ist das Ihr Namenskürzel?
Brehme: (Geht zum Richterpult und mustert das Blatt, das Götzl ihm entgegenhält.) Ja.
Götzl: Was wissen Sie von der Flucht der drei?
Brehme: Alle, mit denen man nach der Flucht gesprochen hat, sind davon ausgegangen, dass sie sich im Ausland aufhalten. Jahre später hieß es, dass Mundlos und Böhnhardt erschossen auf Kreta aufgefunden wurden. Wir sind davon ausgegangen, dass Beate zurückkommt, weil sie nichts zu erwarten hatte.
Götzl: Wer ist wir?
Brehme: Eine unbestimmte Personengruppe mit Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir unterliegen nicht dem Individualismus der heutigen Gesellschaftsform.
Götzl: Waren Sie mal in Südafrika?
Brehme: Ja, im Sommer 1998. Götzl Waren Sie alleine dort?
Brehme: Nein, Südafrika war voll.
Götzl: Solche Unverschämtheiten sollten Sie sich schenken.
Brehme: Ich bin mit André Kapke hingefahren.
Götzl: Welche Personen haben Sie besucht?
Brehme: Wir waren im Krüger-Nationalpark.
Götzl: Ich frage Sie nach Personen und Sie kommen mir mit einem Ort. Haben Sie Probleme, das zu verstehen?
Brehme: Ich versuche es doch die ganze Zeit.

Tag 219, 20. Juli
Manfred Götzl, Richter. Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl, Anja Sturm, Mathias Grasel, Verteidiger von Beate Zschäpe. Anette Greger, Oberstaatsanwältin. Alexander Hoffmann, Anwalt der Nebenklage.

Heer: Herr Vorsitzender, ich beantrage die Aufhebung meiner erfolgten Bestellung als Pflichtverteidiger. Ich habe mir diesen Schritt reiflich überlegt. Im Vordergrund steht aber meine Funktion, meiner Mandantin eine optimale Verteidigung zukommen zu lassen. Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass diese Bedingungen nicht mehr gegeben sind.
Stahl: Ich schließe mich dem Antrag an, insoweit es um meine Bestellung durch den Senat geht.
Sturm: Ich beantrage ebenfalls, meine Bestellung durch den Senat aufzuheben. Die Gründe sind Frau Zschäpe bereits bekannt. Weiteres kann ich hier nicht bekanntgeben, weil ich der Schweigepflicht unterliege.
Götzl: Ja, gut, aber Gründe haben wir dann hier keine erfahren. (Pause.)
Greger: Hoher Senat, der Antrag der Verteidigung auf Widerruf der Bestellung ist zurückzuweisen. Voraussetzung wäre das Vorliegen von Umständen, die den Zweck der Verteidigung ernsthaft gefährden. Die Beiordnung ist insbesondere dann aufzuheben, wenn das zur effektiven Verteidigung erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen Angeklagtem und Verteidiger in einer Weise erschüttert ist, dass eine Verteidigung objektiv unmöglich ist. Die Gründe sind von den Verteidigern substanziiert darzulegen. Dieser Pflicht sind die Verteidiger nicht nachgekommen.
Stahl: Was Sie vortragen, das ist schon richtig. Problematisch ist nur, dass der Verteidiger als Organ der Rechtspflege in irgendeine Lage versetzt sein muss, um aus seiner Sicht Gründe zu benennen. Dass man sie nicht detailliert ausführen kann, ist klar, weil man sich sonst wegen der Verschwiegenheit strafbar macht. Wenn man anwaltlich aber versichert, unter Bezugnahme auf den Berufseid, dann ist das eine Information, die ein Gericht nicht einfach kalt an sich abperlen lassen kann.
Hoffmann: Der Antrag muss abgelehnt werden, weil es eben nicht ausreicht, das Vorliegen der Voraussetzungen zu behaupten. Es ist überhaupt nichts dargelegt. Sie entziehen uns jede Möglichkeit, irgendwas zu überprüfen.
Grasel: Ich darf im Namen meiner Mandantin mitteilen, dass dem Antrag ihrer bisherigen Pflichtverteidiger nicht entgegengetreten wird.

(Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Dann wird die Verhandlung fortgesetzt.)

Götzl: Dann ergeht jetzt folgende Verfügung: Der Antrag der Rechtsanwälte Heer, Stahl und Sturm wird abgelehnt. Eine ausreichende Beurteilungsgrundlage, aufgrund der der Vorsitzende eine nachhaltige Erschütterung des Vertrauens zwischen der Angeklagten und ihren Verteidigern feststellen könnte, ist nicht ersichtlich.

Tag 222, 29. Juli
Jürgen Heck, 58, Kriminalhaupt-kommissar beim Bundeskriminal- amt Meckenheim.

Heck: Ich war schon in den ersten Tagen der NSU-Ermittlungen eingesetzt. Mir lagen Telefonnummern, Notizzettel und Bilddokumente vor. Elektronische Dateien waren Namens- und Adresssammlungen mit Bezug zu München, Dortmund und Nürnberg. Dabei ist mir aufgefallen, dass diese Dateien sehr systematisch angelegt waren. Adressen von islamischen Vereinigungen, von jüdischen, von Waffenhandlungen. Hier wurde der Versuch unternommen, Datensätze systematisch anzulegen für eine Verwendung vor dem Hintergrund der hier verhandelten Straftaten. Auch das Bundesverfassungsgericht war aufgeführt sowie Klaus-Dieter Fritsche, damals Vizepräsident des Bundesverfassungsschutzes. Pfarrer, Kriminalbeamte, Kindergärten und das konnte ich nicht so recht einschätzen – auch Friedhöfe.

Tag 230, 23. September
Manfred Götzl, Richter. Carsten Proff, 42, Sachverständiger, Biologe und Experte für DNA-Analysen beim BKA in Wiesbaden.

Götzl: Es geht uns um eine Reihe von Gutachten. Mir würde es zunächst darum gehen, welche Vergleichsmuster Sie hatten, die Methoden, die biostatistische Bewertung. Mich würde auch interessieren Ihre Sachkunde, Ihre Tätigkeit als Sachverständiger. Erst dann möchte ich auf die einzelnen Spuren eingehen.
Proff: Ich bin von Hause aus Biologe, habe auf Diplom studiert in Münster, dann war ich am Institut für Rechtsmedizin in Köln, habe promoviert und bis 2007 dort gearbeitet. Ich bin dann in ein Privatlabor gewechselt in Köln und dann 2011 zum BKA, habe dort die nochmalige Sachverständigen-Ausbildung absolviert, habe an einer Vielzahl von DNA-Gutachten gearbeitet, war zu Identifizierungseinsätzen in Thailand nach dem Tsunami. Ich habe mit Germanwings gearbeitet nach dem Absturz der Maschine. Ich habe eine umfangreiche Erfahrung auf dem Gebiet.
Götzl: Ich denke, es ist sinnvoll, wenn wir nach den verschiedenen Gutachten vorgehen. Es geht in dem ersten um zwei Impfpässe, um einzelne Blätter, die untersucht wurden. Um Überweisungsträger.
Proff: In diesem Gutachten ging es um Vergleiche mit Mustern von Frau Zschäpe. Wir haben verschiedene Listen, wo Frau Zschäpe nicht auszuschließen ist. Ich habe auch biostatistische Berechnungen angestellt, und auf Seite 3 des Gutachtens ist eine erste Liste, in der die Spuren aufgelistet wurden, bei denen ein vollständiges oder teilweises Muster festgestellt wurde, was jeweils mit Frau Zschäpes DNA-Muster übereinstimmt. Es wurden die Spuren hier zusammengefasst, und man kann klar zeigen, dass die DNA mit der von Frau Zschäpe übereinstimmt. Die erste Spur ist die Kontaktspur aus einem Impfpass. Es ist ein Teilmuster mit Beimengungen. Eine von dreißig Billionen Personen kommt hier als Spurenverursacher in Betracht. Die nächste Spur ist die Kontaktspur D2 aus dem Impfpass. Dies ist ein Vollprofil mit allen 16 Merkmalen. Eine von 45 Quadrillionen Personen kommt da als Spurenverursacher in Betracht. Das nächste: der Tragegurt eines Rucksacks – ein Vollprofil. Wieder die Häufigkeit eins zu 45 Quadrillionen.

(Der Sachverständige präsentiert weitere Spuren, unter anderem von einem Reißverschluss, einer Brille und einer Handytasche. Es zeigen sich jeweils Übereinstimmungen mit dem DNA-Profil von Beate Zschäpe. Die Schluss-folgerung des Gutachtens lautet: Es besteht praktisch kein Zweifel daran, dass die Spuren von Frau Zschäpe hinterlassen wurden.)

Götzl: Dann kommen wir jetzt zu dem Gutachten vom 19.6.2012.

Die Sparkasse Stralsund überfielen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zweimal: im November 2006 und im Januar 2007.

Proff: Hier ging es um zwei spezielle Spuren: eine PET-Flasche und ein Haar. Bei der Flasche wurde ein Abrieb von einem Gewinde und der Flaschenöffnung gefertigt. Das basale Ende des Haars wurde abgeschnitten und in die Analyse gegeben. Bei der Untersuchung der Flasche ergab sich eine Mischspur zweier Personen. Die Merkmale der Nebenkomponen- ten entsprechen dem Profil der Frau Zschäpe. Die Likelihood-Ratio-Berechnung hat ergeben: einen Wert von eins zu 400 Trilliarden für die Hypothese, dass die Spuren von Frau Zschäpe und Uwe Böhnhardt verursacht wurden. Bei dem Haar ergibt sich eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit – das Merkmalsprofil kommt vor mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu 14 Millionen für Frau Zschäpe als Spurenverursacherin des Haars.
Götzl: Das nächste Gutachten, bitte.
Proff: Dafür wurden verschiedene Abriebe untersucht, es geht um eine graue Trainingshose sowie zwei Zellstofftücher aus der Hose. Es wurden auch Haare von der Hose abgesammelt. Und Abriebe angefertigt von mutmaßlichen Blutantragungen an der Hose. Im unteren Bereich des linken Hosenbeins befanden sich bräunliche Anhaftungen, es konnte mit einem Test Blut nachgewiesen werden. Es wurden insgesamt sechs Abriebe davon untersucht, dabei ergab sich durchgängig ein vollständiges weibliches DNA-Muster, das mit den Merkmalen der Michèle Kiesewetter übereinstimmt – Merkmale, für die der Wahrscheinlichkeitswert eins zu 31 Billionen beträgt. Dann wurden Anhaftungen untersucht von den Tascheneingriffen der Hose. Es ergab sich eine Mischspur. Es fanden sich Merkmale des Uwe Mundlos, sodass dieser als Mitverursacher nicht ausgeschlossen werden konnte. Die gesammelten Haare von der Hose wurden analysiert. Ein Haar von der Innenseite der Hose ergab Merkmale, die vollständig mit denen des Uwe Mundlos übereinstimmen.
Götzl: Dann kämen wir zu dem Gutachten in Band 641.
Proff: Es wurden zwei Spuren untersucht, ein Schulterholster, das andere ein Gürtelholster. Wir haben eine Mischspur gefunden, die sich durch Merkmale erklären lässt, wie sie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten. Bei der nächsten Spur handelt es sich um den Griff eines Repetiergewehrs: ein schwaches Muster von mehreren Personen. Eine weitere Bewertung ist nicht sinnvoll. Die Verursacher sind unbekannt. Bei der Handgranate, da ergab sich für die Oberfläche eine Mischspur, die im Wesentlichen durch zwei Personen erklärt werden kann. Mit einer großen Sicherheit von eins zu 2,9 Trillionen deutet sie auf Uwe Böhnhardt und mit eins zu 620 Milliarden auf Uwe Mundlos.

Tag 231, 24. September
Manfred Götzl, Richter. Carsten Proff, 42 Jahre, Biologe, DNA-Experte beim BKA. Wolfgang Stahl, Verteidiger von Beate Zschäpe.

Stahl: Eine Nachfrage zu gestern: Sie hatten erklärt, dass das Ergebnis Ihrer Untersuchung nichts darüber aussagt, wie eine Spur zustande gekommen ist. Können Sie etwas dazu sagen, inwieweit DNA-Spuren ubiquitär sind – insbesondere in einem Drei-Personen-Haushalt? Dass Objekte Spuren einer Person aufweisen, auch wenn diese Person nicht unmittelbar selbst mit dem Gegenstand in Kontakt gekommen ist?
Proff: Das ist ein Problem, dem wir täglich ausgesetzt sind. Das ist verstärkt worden durch die erhöhte Sensitivität in der Analyse. Wenn mehrere Personen in einem Haushalt leben, wenn zum Beispiel Kleidung aufeinanderliegt, dann können auch so DNA-Spuren übertragen werden. Letztlich muss man für eine bestimmte Spur die Konstellation prüfen. Die Übertragung von DNA hängt von vielen Faktoren ab. Es hängt sehr ab von der Feuchtigkeit der übertragenen Substanz. Wenn ich – um ein extremes Beispiel zu nennen – eine blutgetränkte Hand habe und damit ein Glas anfasse und dann ein anderer das Glas anfasst und dann einen Tisch, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dort auf dem Tisch die DNA der ersten Person zu finden ist. Es gibt dazu auch Studien. Letztlich muss man davon ausgehen: Wenn drei Personen in einem Haushalt leben, kann auch DNA übertragen werden. Die Werte, die ich heute und gestern genannt habe, kann man nicht auf die Übertragung anwenden, nur auf die DNA.
Stahl: Das habe ich so weit verstanden. Wenn ich irgendeine Spur habe, zum Beispiel mit einer Merkmalswahrscheinlichkeit von eins zu 45 Quadrillionen, unterliegt diese Wahrscheinlichkeit Einschränkungen?
Proff: Der Wert bezieht sich ja nur auf die Häufigkeit des gefundenen Musters. Es ist aber schwer im Nachhinein zu rekonstruieren, wie die DNA an einen Spurenträger gelangt ist.
Stahl: Ich frage mich, was muss der Senat bei der Beweiswürdigung beachten …
Götzl: Das ist unsere Sache – und nicht eine der Beurteilung des Sachverständigen!
Stahl: Lassen Sie mich doch meine Frage zu Ende stellen!
Götzl: Nein, da mischen Sie sich in einen Bereich ein, der unserer ist!
(Der Zeuge verlässt den Saal.)
Stahl: Ich möchte eine kurze Erklärung abgeben: Ich betrachte die Ergebnisse von DNA-Spuren-Untersuchungen sehr kritisch, und es wäre nicht das erste Mal, dass in diesem Verfahren etwas ganz mächtig aus dem Ruder geraten wäre. Der Sachverständige konnte nichts über die Aktivität eines Spurenverursachers sagen. Ich muss im Komplex Frühlingsstraße die Frage stellen, zu welchem Beweiswert soll das führen? Außer vielleicht, dass sich Beate Zschäpe in der Frühlingsstraße aufgehalten und dort gelebt hat.

Tag 232, 29. September
Manfred Götzl, Richter. Ralph Willms, Reinhard Schön, Anwälte der Nebenklage.

Götzl: Gestern kam ein Anruf des Fundbüros Köln-Ehrenfeld. Auf der Straße wurde eine DVD mit der aktuellen Nachlieferung von Akten zum NSU-Prozess gefunden. Wer diese DVD vermisst, möge sich bitte beim Fundamt Köln-Ehrenfeld melden.

(Ungläubiges Lachen im Saal, niemand meldet sich. Dann kommt Götzl auf die Nebenklägerin Meral Keskin zu sprechen, die wiederholt als Zeugin vorgeladen wurde und nie erschienen ist.)

Götzl: Herr Rechtsanwalt Willms, wann hatten Sie versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen? Willms: Die ganze Zeit.
Götzl Wann konkret?
Willms: Im Juni.
Götzl: Sie vertreten doch die Nebenklage Keskin, Ihre Mandantin ist mehrfach als Zeugin geladen worden. Ich verstehe das nicht.
Schön Nach meinem Wissen hat Herr Willms keinen Kontakt zu Frau Keskin.
Götzl: Können Sie mir den Sachverhalt erklären?
Willms: Wir sind doch mit Frau Keskin im Juni in der Wohnung gesessen. Dann hat mir Herr Özer gesagt, sie liege im Krankenhaus und werde Ende des Jahres nach Deutschland kommen.
Götzl: Sie müssen doch Kontakt zur Mandantschaft haben! Sie sind doch immer da!
Willms: Ich habe nicht direkt an Frau Keskin geschrieben, sondern über Herrn Özer.
Götzl: Herr Rechtsanwalt Schön, der Herrn Özer vertritt, schüttelt den Kopf. Entweder sorgen Sie jetzt in Kürze für Klarheit, Herr Rechtsanwalt Willms. Oder wir müssen hier Ermittlungen anstellen (schaut zu den Vertretern der Bundesanwaltschaft).

Tag 233, 30. September

Seda Basay, Anwältin der Nebenklage.

Basay: Die DNA-Untersuchungen des Sachverständigen Proff haben aus Sicht der Nebenklage unter anderem folgende wesentliche Ergebnisse ergeben: An dem Gewinde einer Plastikflasche, die im Aufenthaltsraum des Wohnmobils sichergestellt worden ist, fand sich eine DNA-Mischspur, in der sowohl von Uwe Böhnhardt als auch von der Angeklagten Zschäpe Merkmale nachgewiesen werden konnten. Nach Angaben des Sachverständigen ist eine mögliche Erklärung hierfür, dass beide Personen aus der Flasche getrunken hätten. Die DNA der Angeklagten Zschäpe an der Flasche sowie an einem ebenfalls im Wohnmobil sichergestellten langen braunen Haar und an zwei Paar Socken belegt eindeutig, dass sich die Angeklagte Zschäpe dort in der Zeit nach der Anmietung und vor dem Raubüberfall am 4. November 2011 aufgehalten haben muss. Insbesondere weil die DNA jeweils an Stellen nachgewiesen wurde, an denen es äußerst unwahrscheinlich ist, dass es sich um eine zufällige Übertragung handelt. (Pause.)
Die DNA-Nachweise lassen darauf schließen, dass die Angeklagte Zschäpe sich nicht nur längere Zeit im Wohnmobil aufgehalten hat, wie die Strümpfe zeigen, sondern sich möglicherweise auch im Wohnmobil befand, als die Pläne zum Raub- überfall und zum Fluchtweg ausgekundschaftet wurden.(Pause.)Ein wichtiges Indiz für die Täterschaft von Uwe Mundlos hinsichtlich des Mordes an Michèle Kiesewetter ergibt sich aus den vielfältigen DNA-Spuren auf einer mit dem Blut von Michèle Kiesewetter bespritzten und anschließend nicht gewaschenen Jogginghose, die im sogenannten Katzenzimmer der Frühlingsstraße gefunden wurde. Der Sachverständige Dr. Proff gab auch an, dass die Hose – der Qualität der DNA und ihrem äußeren Erscheinungsbild nach zu schließen nicht gewaschen worden sei. Einzige Erklärung hierfür ist, dass die Hose von dem Täter als Trophäe über all die Jahre aufbewahrt worden ist, genauso wie die aufgefundenen Dienstwaffen und sonstigen Ausrüs- tungsgegenstände von Michèle Kiesewetter und Martin A.
(Pause.)
Weiter bestätigen die DNA-Funde auch die bisherigen Hinweise auf ein Unterstützernetzwerk des NSU, das in die Vorbereitung der Taten des NSU eingebunden war: An mindestens drei Waffen wurde DNA sichergestellt, die jeweils bisher nicht identifizierten Personen zuzuordnen ist. Und zwar an der Trommel und dem Lauf des Revolvers, der im Aufenthaltsraum des Wohnmobils gefunden wurde, an dem Abzug der ebenfalls im Wohnmobil gefundenen Maschinenpistole. Dort wurde eine Mischspur von mindestens drei Personen festgestellt, wobei Mundlos und Böhnhardt als Mitverursacher nicht auszuschließen sind. Ferner wurden an der im Aufenthaltsraum des Wohnmobils sichergestellten Handgranate auch die Spuren von mindestens drei Personen gefunden, wobei Böhnhardt als Mitverursacher ebenfalls nicht ausgeschlossen werden kann. Auf einer Vielzahl von Ausspähmaterial wurde jeweils die DNA von einer unbekannten Person gefunden. Diese Spuren stellen einen deutlichen Hinweis dar, dass weitere Personen in die Vorbereitung der Straftaten des NSU eingebunden waren.

Tag 234, 7. Oktober

Manfred Götzl, Richter. Wolfgang Heer, Mathias Grasel, Verteidiger von Beate Zschäpe. Herbert Diemer, Bundesanwalt.

(Vor der Verhandlung hat Anwalt Ralph Willms sein Mandat niedergelegt und erklärt, seine Mandantin, Frau Keskin, existiere offenbar gar nicht. Er sei einem Betrug aufgesessen.)
Götzl: (schaut zu Heer) Sie wollten einen prozessualen Antrag stellen?
Heer: Frau Kollegin Sturm, der Kollege Stahl und ich stellen folgenden Prozessantrag: Der Herr Vorsitzende möge sich dienstlich dazu äußern:
1. Welches beziehungsweise welche Mitglieder des erkennenden Senats mit der Vorbereitung der Beschlussfassung betreffend die Nebenklage der Frau Keskin befasst waren;
2. ob er bereits vor der ersten Veröffentlichung in Spiegel Online beziehungsweise dem Antrag von Herrn Rechtsanwalt Willms vom 2.10.2015 über Erkenntnisse verfügte, dass das von Herrn Rechtsanwalt Willms vorgelegte Dokument gefälscht sein könnte;
3. ob Herr Rechtsanwalt Willms der Aufforderung des Vorsitzenden nachkam, sich am 232. Hauptverhandlungstag und am darauffolgenden Tag zu erklären und gegebenenfalls mit welchem Inhalt. Ferner wird beantragt, Herr Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Götzl, Herr Richter am Oberlandesgericht Dr. Lang und Herr Richter am Oberlandesgericht Kuchenbauer, die an dem Zulassungsbeschluss bezüglich der Nebenklage der Frau Keskin mitgewirkt haben, mögen sich dienstlich dazu äußern,
1. ob ihnen auffiel, dass in dem für Frau Keskin vorgelegten Dokument die Formularfelder betreffend die Angaben der Personalien des Patienten, der Krankenkasse, der Versichertennummer, der Vertragsarztnummer, der Diagnoseschlüssel sowie der Befunde und Therapie fehlten;
2. welcher der in dem Antrag von Herrn Rechtsanwalt Willms nebst Anlage dargelegten, einander jedoch ausschließenden Sachverhalte, nämlich einerseits, dass sich Frau Keskin zum Zeitpunkt der Explosion vor einem Restaurant befunden habe, und andererseits, sie sei während eines Barbierbesuches verletzt worden, der Entscheidung zugrunde gelegt wurde;
3. warum sie diese Diskrepanz sowie den Widerspruch zwischen dem Vortrag von Herrn Rechtsanwalt Willms hinsichtlich der seinem Antrag vom 23.4.2013 beigefügten Anlagen und den tatsächlich beigefügten Anlagen gegenüber Herrn Rechtsanwalt Willms nicht hinterfragten.

Diemer: Ich sehe keine Rechtsgrundlage für die Anforderung einer dienstlichen Erklärung. Grasel: Ich würde gerne eine kurze Unterbrechung beantragen, weil meine Mandantin keine Kenntnis von dem Antrag hatte.
Heer: Es gibt Bedingungen, unter denen eine vorherige Rücksprache schlicht nicht möglich ist. Wir haben Sie, Herr Vorsitzender, darauf hingewiesen.
Götzl: Sie haben die Möglichkeit, mit Herrn Grasel direkt Kontakt aufzunehmen, warum nehmen Sie das nicht wahr?
Heer: Ich weiß nicht, ob das hier der richtige Rahmen ist. Sie haben damals einen Unterbrechungsbeschluss gefasst zum Zwecke der Einarbeitung von Herrn Grasel und der internen Beratung der Verteidiger. Die interne Beratung hat nie stattgefunden – und an uns lag das nicht!
(Pause.)
Grasel: Ich möchte feststellen, dass weder mir noch Frau Zschäpe der Antrag, den Herr Heer vorgetragen hat, zuvor bekannt war. Anscheinend wurde aber der Senat vorab über den Antrag in Kenntnis gesetzt. Zur Behauptung des Kollegen Heer, dass keine Abstimmung beziehungsweise Einarbeitung stattgefunden habe, möchte ich sagen, dass das unzutreffend ist. Es fand eine gemeinsame, knapp zweistündige Besprechung mit allen drei Kollegen in meiner Kanzlei statt.
(Pause.)
Auch in der Folgezeit wurde öfter über das Verfahren gesprochen. Im Übrigen möchte ich anmerken, dass ich die drei Kollegen fragte, ob sie mir ihre Mitschriften aushändigen könnten zur Hauptverhandlung. Der Bitte wurde jedoch nicht entsprochen.
Heer: Ich erwidere, auch wenn das an Würdelosigkeit kaum noch zu unterbieten ist: Ich habe Herrn Grasel nicht unterstellt, dass er sich nicht eingearbeitet hat. Ich habe nur gesagt, dass dem Unterbrechungszweck – eine vernünftige Abstimmung zu gewährleisten – nicht entsprochen wurde. Mehr habe ich dazu nicht gesagt.

Urlaubsziel Fehmarn: Auf dem Campingplatz Wulfener Hals machten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos bis 2011 wiederholt mit dem Wohnmobil Urlaub. Böhnhardt hatte ein kleines Motorboot, Mundlos surfte, Zschäpe machte Gymnastik und kümmerte sich um das Abendessen.

Tag 235, 8. Oktober
Manfred Götzl, Richter. Wolfram Nahrath, Verteidiger von Ralf Wohlleben. Wolfgang Heer, Mathias Grasel, Verteidiger von Beate Zschäpe. Jochen Weingarten, Oberstaatsanwalt. Alexander Hoffmann, Sebastian Scharmer, Eberhard Reinecke, Anwälte der Nebenklage.

Nahrath: Die Verteidigung Wohlleben hat einen Antrag zu stellen.
Götzl: Worum geht es?
Nahrath: Um die Problematik der Nebenklägerin Keskin. Um die Problematik Verteidigung Zschäpe. Es handelt sich um einen Aussetzungsantrag.
Götzl: Dann stellen Sie ihn.Nahrath Die Verteidigung Wohlleben schließt sich den am 7.10. gestellten Prozessanträgen der Kollegen Heer, Sturm und Stahl an. Die Verteidigung Wohlleben stellt außerdem Folgendes fest: Rechtsanwalt Grasel erklärte, dass der von Rechtsanwalt Heer verlesene Antrag mit ihm und seiner Mandantin nicht abgesprochen worden sei. Die Rechtsanwälte Heer, Sturm und Stahl können die Angeklagte wegen der vollständig eingestellten Kommunikation mit der Mandantin nicht mehr effektiv verteidigen. Rechtsanwalt Grasel: verfügt bis zum heutigen Tage nicht über die Mitschriften der alten Verhandlungstage. Die Angeklagte Zschäpe ist spätestens seit 20.6.15 nicht mehr ordnungsgemäß verteidigt. Dies stellt einen Revisionsgrund dar. Die Verteidigung Wohlleben beantragt: Die Hauptverhandlung wird ausgesetzt. Der Senat sorgt für eine sachgerechte Verteidigung der Angeklagten Zschäpe. Und der Haftfbefehl gegen den Angeklagten Wohlleben wird ausgesetzt.
Grasel: Frau Zschäpe schließt sich dem Aussetzungsantrag an.
Heer: Frau Sturm und ich geben dazu ausdrücklich keine Stellungnahme ab.
Götzl: (zu Heer) Besteht denn ein Problem, Sitzungsniederschriften an Herrn Grasel zu übergeben?
Heer: Selbstverständlich bin ich, und ich denke, ich kann auch für die Kollegen Sturm und Stahl sprechen, dazu bereit, zur Einarbeitung von Rechtsanwalt Grasel in den Verfahrensstoff beizutragen.
Götzl: Besteht denn auch die Bereitschaft, entsprechend Unterlagen …
Heer: Ich habe mir meine eben abgegebene Erklärung genau überlegt!
Weingarten Zur Frage des Bestehens einer ordnungsgemäßen Verteidigung der Angeklagten Beate Zschäpe hat sich die Bundesanwaltschaft schon mehrmals geäußert. Klar ist, dass die Verteidigung nicht beeinträchtigt ist dadurch, dass eine Angeklagte nicht mit den Verteidigern spricht, auch wenn dies suboptimal sein mag. Es kann nicht ins Belieben eines Angeklagten gestellt werden, einen Prozess zu torpedieren.
Hoffmann: Es waren alles Kinkerlitzchen, eine Destruktion: Frau Zschäpe wollte alle drei Rechtsanwälte abschießen, damit es nicht weitergehen kann. Aber die Verteidiger Heer, Stahl und Sturm haben ja auch weiterhin Prozessaktivitäten entfaltet. Frau Zschäpe ist verteidigt! Scharmer: Erstens, die Kollegen Heer, Stahl und Sturm haben mehrfach ausgeführt, dass sie zur Kommunikation mit Frau Zschäpe bereit sind, schriftlich und mündlich. Deswegen liegt es rein an ihr, ob ihre Verteidigung in ihrem Sinne betrieben wird oder nicht. Zweitens, wenn die Verteidigung Wohlleben ausführt, das Verfahren müsste ausgesetzt werden, weil ein anderer Angeklagter schlecht verteidigt sei, sehe ich dafür überhaupt keine Grundlage.
Reinecke: Es ist darüber hinaus daran zu erinnern, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit den Prinzipien auseinandergesetzt hat, die insgesamt gewahrt werden müssen. In einem Fall setzt es sich mit dem Opferschutz auseinander. Eine Aussetzung des Verfahrens hieße, dass man in einem Jahr wieder hier sitzt, dass Zeugen erneut gehört werden müssten. Es heißt da aber beim Bundesverfassungsgericht, eine Neuauflage sei mit Nachteilen für den Opferschutz verbunden. Es könne mit einer Retraumatisierung einhergehen. Das ist inakzeptabel.

Tag 236, 13. Oktober
Manfred Götzl, Richter. Olaf Klemke, Nicole Schneiders, Verteidiger von Ralf Wohlleben. Herbert Diemer, Vertreter der Bundesanwaltschaft.

Götzl: Wir setzen im Verfahren fort. Nach geheimer Beratung ergeht folgender Beschluss: Die Anträge der Verteidigung von Herrn Wohlleben, die Hauptverhandlung auszusetzen und für eine sachgerechte Verteidigung der Angeklagten Beate Zschäpe zu sorgen sowie den Haftbefehl gegen Ralf Wohlleben auszusetzen, werden abgelehnt.
(Pause.)
Das Gericht muss die Hauptverhandlung aussetzen, wenn das sachgerecht erscheint. Es hat die Pflicht, eine faire Verhandlung zu gewährleisten, und hat eine Fürsorgepflicht für die Angeklagten. In den Anträgen heißt es, Rechtsanwalt Grasel sei noch nicht in der Lage, die Verteidigung ordnungsgemäß zu führen. Die Angeklagte Zschäpe würde durch die Verteidiger Heer, Stahl und Sturm nach der eingestellten Kommunikation zwischen der Angeklagten und ihnen nicht mehr ordnungsgemäß verteidigt. Dies trifft nicht zu.
Klemke: Wir beantragen eine Abschrift und eine Unterbrechung von 30 Minuten, um den Beschluss mit dem Mandanten zu beraten.
(Pause.)
Schneiders: Der Beschluss des Senats beruht auf einer nur unvollständig gewürdigten Tatsachengrundlage. Weiter blendet der Senat die Tatsache aus, dass die Angeklagte Zschäpe ihre drei Verteidiger auch mit einer Strafanzeige überzogen hat. Der Senat geht davon aus, dass die Verteidigung von Heer, Stahl und Sturm gleichwohl ordnungsgemäß geführt werde. Darauf kommt es aber nicht an. Maßgeblich ist alleine, ob das Vertrauensverhältnis zwischen der Angeklagten Zschäpe und Heer, Stahl und Sturm noch besteht oder endgültig und nachhaltig erschüttert ist. Davon ist auszugehen.
Götzl: Stellungnahmen dazu?
Diemer: Ich bitte, die Verhandlung fortzusetzen.
Götzl: Dann legen wir eine Pause ein.
Zuhörerin: Nein!
Götzl: (zur Besuchertribüne) Ich würde Sie dringend bitten, sich zurückzuhalten. Sie sind hier Zuhörer und stören nicht die Hauptverhandlung durch Zwischenrufe.

Tag 237, 14. Oktober
Manfred Götzl, Richter. Mario Brehme, Pharmareferent aus Rudolstadt, war bereits am Tag 218 vorgeladen. Olaf Klemke, Verteidiger von Ralf Wohlleben. Mathias Grasel, Verteidiger von Beate Zschäpe. Herbert Diemer, Bundesanwalt. Thomas Bliwier, Anwalt der Nebenklage.

Klemke: Die Verteidigung des Herrn Wohlleben bittet darum, die Hauptverhandlung für eineinhalb Stunden zu unterbrechen, um einen unverzüglich zu stellenden Antrag formulieren zu können.
Götzl: Dann machen wir Pause bis 11.45 Uhr.
(Nach der Unterbrechung wird die Verhandlung fortgesetzt.)
Klemke: Der Angeklagte Wohlleben lehnt die Richter Götzl, Lang, Kuchenbauer, Odersky und Feistkorn wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Der Angeklagte Wohlleben stützt das Ablehnungsgesuch auf den heutigen Beschluss des Senats. Die Richter blenden völlig aus, dass den Verteidigern Heer, Stahl und Sturm eine weitergehende Begründung wegen der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht nicht möglich war. Die Richter bewerten, dass die Verteidiger Heer, Stahl und Sturm die Angeklagte sachgerecht verteidigt hätten. Das geht aber nur, wenn man die Strategie der Verteidigung kennt. Es handelt sich bei dieser Aussage des Gerichts um eine Spekulation ohne jegliche Grundlage.
Bliwier: Ich habe selten einen so substanzlosen Antrag in der Hauptverhandlung hören dürfen.
Grasel: Die Angeklagte Zschäpe schließt sich dem von Herrn Klemke gestellten Befangenheitsantrag an und macht sich dessen Begründung, soweit sie sich auf ihre Person bezieht, zu eigen.
Diemer: Wir haben erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit des Befangenheitsantrags. Die Verteidigung von Frau Zschäpe kann unter keinem Gesichtspunkt einen Grund für einen Befangenheitsantrag von Wohlleben bieten. Aber wegen der Revisionssicherheit würden wir dem Senat empfehlen, den Antrag dem dafür vorgesehenen Spruchkörper vorzulegen. Aber wegen der Prozessökonomie sollten wir im Verfahren fortfahren.
Götzl
: Dann wird der Antrag vorläufig zurückgestellt, und wir kommen zum Zeugen Brehme.

(Mario Brehme betritt den Gerichtssaal.)

Götzl: Danke für Ihre Geduld. Wollen Sie von sich aus etwas Ergänzendes zu Ihrer letzten Befragung sagen?
Brehme: Wenn mir etwas einfällt, ergänze ich.
Götzl: Uns liegt eine Erkenntnismitteilung des Verfassungsschutzes vor. Darin heißt es, Ralf Wohlleben habe Mario Brehme, Tino Brandt und André Kapke am 27.10.2000 mitgeteilt, dass er von einem Stern-Journalisten aus Berlin angesprochen worden sei, ob er ein Interview mit den drei Flüchtigen aus Jena vermitteln könne. Er würde 50 000 bis 60 000 D-Mark zahlen. Was sagen Sie dazu?
Brehme: Ja, das hat uns Wohlleben mitgeteilt.
Götzl: Hier steht weiter, dass Sie das Angebot abgelehnt haben.
Brehme: Ich denke, dass es so gewesen ist. Dass ich gegen eine Annahme des Angebots gewesen bin, weil mir das zu heikel erschien.
Götzl: Können Sie das erklären?
Brehme: Die Verfolgungsmaschinerie des Staates war so weit fortgeschritten, dass ein Verbot des Thüringer Heimatschutzes kurz bevorstand und wir keine weiteren Gründe dafür liefern wollten. Dann hätte ja die Presse das Innenministerium vorgeführt und somit Handlungsdruck erzeugt. Es war besser, keine schlafenden Hunde zu wecken.
Götzl: Wie sollte das Interview aussehen?
Brehme: Das Interview sollten die Flüchtigen geben.
Götzl: Haben Sie überhaupt die Chance gesehen, Kontakt mit den Flüchtigen aufzunehmen?
Brehme: Es ging bei der Diskussion nur um das Ob, dann war Schluss.
Götzl: Lassen wir das mal so stehen. Man muss sich doch mit dem Ob gar nicht beschäftigen, wenn gar keine Möglichkeit besteht, die drei zu erreichen. Welche Rolle spielten die Flüchtigen in Bezug zum Thüringer Heimatschutz?
Brehme: Zum Thüringer Heimatschutz haben sie direkt keine Rolle gespielt, sie befanden sich im Gesamtzusammenhang der nationalen Szene. Sie waren Flüchtlinge. Das hatten wir in der DDR so gelernt: Flüchtlingen soll man helfen.

Tag 240, 22. Oktober
Manfred Götzl, Richter. Detlef Kundrus, 61, Kriminalhauptkommissar beim BKA Meckenheim, im Ruhestand. Olaf Klemke, Verteidiger von Ralf Wohlleben. Mehmet Daimagüler, Marcel Matt, Vertreter der Nebenklage.

(Ein anderer Senat des Oberlandesgerichts hat zuvor die Befangenheitsanträge von Ralf Wohlleben und Beate Zschäpe gegen das Gericht abgelehnt.)

Götzl: Es geht uns um die Auswertung von Kartenmaterial und Adressdateien.
Kundrus: Im Brandschutt in Zwickau wurde auch Adressenmaterial gefunden, eine DVD und ein USB-Stick. Dazu drei Blatt mit 19 Adressen aus Kiel. Es gibt einen Stadtplan von Kiel mit 19 Ziffern, alles handschriftlich. Auf dem Plan wurden handschriftlich auch zwei Rechtecke gezeichnet, S1 und S2. S1 umfasst den Landtag und das Villenviertel, S2 sind die Werften und der Wohnbereich der Arbeitnehmerschaft. Unser Ziel war es zu überprüfen, ob sich an den Stellen mit den Ziffern rechtsmotivierte Straftaten ereignet haben. Die Überprüfung verlief negativ. Bei den Adressen auf den Blättern handelte es sich um islamistische, türkische, auch Sinti- und Roma- und auch christliche Einrichtungen, das hat mich etwas erstaunt, das gehört ja nicht so in das Zielspektrum von Rechtsradikalen. Dann kamen dazu Einrichtungen der Christlich-Demokratischen Union. Das hat mich schon verwundert.
Götzl: Wir schauen uns die Asservate jetzt mal an. Ich bitte Sie, nach vorne zu kommen, Herr Kundrus.
Kundrus: Es steht da das Datum 4.9.2005 auf dem Ausdruck mit den Adressen. Wir haben darauf islamistische Kulturvereine …
Götzl: Sie verwenden jetzt zum zweiten Mal das Wort islamistisch. Was meinen Sie damit? Kundrus: Osmanisch, orientalisch. Wir haben Mitbürger, die nicht zum deutschen Volke gehören.
(Auf der Zuschauerbank wird Unmut laut.)
Klemke: (wendet sich an Götzl) Es ist unerträglich, dass ich mir solche Unmutsbekundungen von der Zuschauerbank anhören muss und Sie die Zuschauer nicht zur Ordnung rufen.
Götzl: (zu Klemke) Ich habe gebeten, ruhig zu sein, mit der entsprechenden Handbewegung. Das haben Sie vermutlich nicht gesehen.
Kundrus: Mein Ergebnis war: Diese Adressen waren nicht Zielobjekt rechtsextremistischen Handelns.
Matt: Sie haben nur Kartenmaterial ausgewertet oder auch Ortsbegehungen durchgeführt?
Kundrus:
In der Eile wurde erst nur Kartenmaterial gesichtet. Es folgte keine Vor-Ort-Besichtigung.
Daimagüler: Sie sagten, dass diese Adressen nicht Zielobjekt rechtsextremistischen Handelns waren.

Frühlingstraße 26, Zwickau: Auf diesem Grundstück stand das Haus, in dem das Trio zuletzt wohnte. Am 4. November 2011 setzte Zschäpe es in Brand.

Kundrus: Ja, wir haben in den Datensystemen der Polizei abgeklärt, ob von 2005 bis 2011 dort rechtsextremistische Straftaten passiert sind, dort wurde nichts festgestellt.
Daimagüler: Wurde mit den Vereinen, den Vereinsvorsitzenden oder Betreibern der Einrichtungen mal gesprochen, dass sie auf der Liste stehen?
Kundrus: Darüber liegen mir keine Erkenntnisse vor. Weil ich danach wieder in meine Dienststelle zurückgeführt wurde. Es wäre zwar logisch, aber ich weiß es nicht.
(Pause.)
Götzl: Das Gericht hat noch eine Verfügung zu verkünden, zu den Anträgen der Verteidigung, das Gericht möge dienstliche Äußerungen zum Fall Keskin abgeben: Weder für den Vorsitzenden noch für andere Richter besteht ein Anlass, dienstliche Erklärungen abzugeben. Es besteht kein Anspruch darauf. Der Grundsatz des fairen Verfahrens bedeutet nicht, dass die Richter ihre Motivation offenlegen müssen.

Tag 243, 10. November
Manfred Götzl, Richter. Wolfgang Heer, Mathias Grasel, Verteidiger von Beate Zschäpe. Mehmet Daimagüler, Anwalt der Nebenklage. Herbert Diemer, Bundesanwalt. Olaf Klemke, Nicole Schneiders, Verteidiger von Ralf Wohlleben.

Heer: Ich bitte um das Wort.
Götzl: Sie bekommen das Wort nachher. Ich will zunächst selbst Informationen anbringen.
Heer: Ich beanstande, dass Sie mir nicht das Wort erteilen. Es geht nicht um Rechtsnachteile von uns, sondern von unserer Mandantin.
Götzl: Mir geht es darum, etwas kundzutun.
Heer: Ich beantrage erneut, dass Sie mir das Wort erteilen!
Götzl: Nein, ich stelle das zurück. Sie bekommen das Wort nachher.
Diemer: Selbstverständlich muss dem Verteidiger das Wort erteilt werden, aber nicht genau dann, wann er es will.Heer Unsere Mandantin ist …
Götzl: (fällt Heer ins Wort) Nein, Sie wollen jetzt das kundtun, was …
Heer: Nein, ich missbrauche doch nicht mein Rederecht. Ich begründe nur meinen Antrag, das Wort zu erhalten. Die Worterteilung ist jetzt geboten, weil die Kollegen Sturm, Stahl und ich einen Antrag einbringen wollen im Sinne einer ordnungsgemäßen Verteidigung. Frau Zschäpe ist jetzt nicht ordnungsgemäß verteidigt. Ich weiß nicht, warum Sie sehenden Auges in einen Revisionsgrund rennen wollen. Ich möchte den Antrag einbringen, dass die Bestellung von mir und den Kollegen Sturm und Stahl als Pflichtverteidiger von Frau Zschäpe aufgehoben wird.
Götzl: Momentan wird Ihnen dafür das Wort nicht erteilt, das können Sie im Anschluss machen. Heer Ich habe das beanstandet. Die Rechtsfolge ist, dass der Senat einen Beschluss dazu fasst.
Götzl: Also das beantragen Sie? Soll dazu Stellung genommen werden?
Diemer: Der Beschluss muss ja gar nicht sofort stattfinden. Ich kann Sie so gar nicht verstehen, Herr Rechtsanwalt Heer! So kenne ich Sie gar nicht! Das ist ja lächerlich.
Heer: Zur Ihrer unsachlichen Anmerkung sage ich jetzt mal nichts. Auch Sie sollten doch kein Interesse daran haben, dass ein Revisionsgrund geschaffen wird. Unser Antrag ist der Länge nach überschaubar und er duldet aus unserer Sicht keinen Aufschub – und zwar im Interesse unserer Mandantin.

(Die Richter ziehen sich zur Beratung zurück und kehren dann in den Verhandlungssaal zurück.)

Götzl: Dann ergeht nach geheimer Beratung folgender Beschluss. Die Verfügung des Vorsitzenden, Rechtsanwalt Heer das Wort nicht zu erteilen, ist rechtmäßig.
(Pause.)
Götzl: Dann werden folgende Umstände mitgeteilt:
Am 31. August 2015 rief mich Rechtsanwalt Borchert an und teilte mit, die Angeklagte Zschäpe habe angedacht, sich in der Hauptverhandlung schriftlich zu äußern. Das werde aber eine Zeit dauern.
Am 10. September 2015 teilte Rechtsanwalt Grasel mit, dass die Erklärung vermutlich am 10. November abgegeben werden könnte.
Am 27. Oktober fand am Rande der Hauptverhandlung ein Ge-spräch mit Rechtsanwalt Grasel statt. Er denke, die Erklärung werde erst am 11.11. oder 12.11. abgegeben werden können. Rechtsanwalt Grasel wurde von mir angesprochen, dass ich beabsichtige, die Prozessbeteiligten vorab zu informieren.
Am 28.10. teilte Rechtsanwalt Grasel mit, er sehe keine Notwendigkeit, die anderen vorab zu informieren. Ich teilte mit, dass ich mich dazu verpflichtet sehe.
Am 28. Oktober 2015 sprach mich Rechtsanwalt Heer an, es gebe Gerüchte über eine veränderte Situation. Ich habe ihn an Rechtsanwalt Grasel verwiesen. Rechtsanwalt Borchert rief mich an und teilte mit, die Erklärung könne am 11.11. abgegeben werden, die drei anderen Verteidiger seien informiert. Auch die anderen Prozessbeteiligten könnten vorab informiert werden. Das zu Ihrer Information.
Daimagüler: Haben Sie Kenntnis darüber, ob Fragen zugelassen werden im Anschluss an die Erklärung von Frau Zschäpe?Grasel Es werden Fragen des Senats im Anschluss beantwortet. Fragen der Nebenklage werden nicht beantwortet.
(Pause.)
Heer: Herr Vorsitzender, die Kollegen Anja Sturm, Wolfgang Stahl und ich beantragen erneut die Aufhebung unserer Bestellung als Pflichtverteidiger der Angeklagten Beate Zschäpe. Diverse Medien hatten über Gerüchte berichtet, dass Herr Rechtsanwalt Grasel angeblich im November im Namen von Frau Zschäpe eine Erklärung vortragen werde. Der Vorsitzende ging auf die Bitte um Informationserteilung im Falle der Abgabe einer Erklärung für die Mandantin nicht ein. Indem der Senat uns jegliche Informationen über die ihm offensichtlich seit Längerem bekannte Absicht der Mandantin, die Verteidigungsstrategie grundlegend zu ändern, vorenthielt, hat er die Verteidigung in unzulässiger Weise beschränkt. Der Vorsitzende kann nicht einerseits wiederholt betonen, Frau Zschäpe werde von uns ordnungsgemäß verteidigt und wir hätten weiterhin im Sinne einer Verteidigung der Angeklagten agiert, und uns andererseits über derartige Absprachen mit Herrn Rechtsanwalt Grasel im Unklaren lassen.
Klemke: Die Verteidigung Wohlleben beantragt, die Hauptverhandlung für drei Stunden zu unterbrechen. Wir möchten ein Ablehnungsgesuch des Herrn Wohlleben gegen Senatsmitglieder formulieren.
(Pause.)
Schneiders: Der Angeklagte Wohlleben lehnt den Vorsitzenden Richter und alle Beisitzenden Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit ab.
Klemke: Die abgelehnten Richter haben in erheblichem Maße ihre Fürsorgepflicht gegenüber der Angeklagten Beate Zschäpe verletzt. Der Angeklagte Wohlleben muss befürchten, dass die Richter ähnliche Maßstäbe an seine Verteidigung anlegen.

Tag 245, 24. November
Manfred Götzl, Richter. Markus Graus, 45, und David Kampfhenkel, 33, Kriminalbeamte beim BKA.

(Der Befangenheitsantrag gegen die Richter ist von einem anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zurückgewiesen worden.)

Götzl: Es geht uns um die Auswertung von Asservaten, und zwar insbesondere um Kartenmaterial. Mich würde zunächst interessieren, womit Sie beschäftigt waren.
Graus: Meine Aufgabe war es, das Kartenmaterial und die Verzeichnisse zu sichten und zu vergleichen mit einer Liste der 10 000 – einem Verzeichnis von Personen und öffentlichen Einrichtungen, das in der Frühlingsstraße gefunden wurde – und auch zu vergleichen mit verfahrensrelevanten Tatörtlichkeiten. Wir haben die Asservate gesichtet, sie lagen in Bildform vor. Gestützt darauf haben wir Karten- und Verzeichnismaterial zusammengebracht. Das war überwiegend übereinstimmend. Meistens waren es Banken und Sparkassen. In der überwiegenden Zahl hatten wir keine Übereinstimmung mit verfahrensrelevanten Tatörtlichkeiten, aber zum Teil mit den Listen. In Stralsund zum Beispiel gab es eine Tatörtlichkeit, das betraf Banküberfälle.
Götzl: Bitte kommen Sie nach vorne.
Graus: Das hier ist Asservatenmaterial bezüglich Stuttgart. Da hatten wir einzelne Kennzeichnungen in Form einer Umkreisung von Straßen und Objekten. Das haben wir mit dieser Liste verglichen. Ich fange mal mit der Kronenstraße an. Die ist auf der Liste unter- strichen und markiert. In der Karte ist sie im Quadrat H 10. Wir haben verglichen, was sich dort befinden sollte, und das wurde an die Ermittler weitergegeben.
Götzl: Haben Sie da eine Rückkopplung erfahren?
Graus: Nein. Wir waren lediglich zuständig für die Beschreibung. Das musste auch zügig gehen, weil man dachte, das könnten weitere Anschlagsorte sein.
Götzl: Ich würde gerne jetzt noch mal die Abbildungen einzeln durchgehen.(Graus zeigt einzelne Kartenausschnitte, teils mit Markierungen.)
Graus: Hier handelt es sich um einen Kartenauszug von Eisenach. Es sind einzelne rote Fähnchen, rote Markierungen zu sehen. Man erhält sie beim Ausdruck aus einem Routenplaner. Was dort weiter ermittelt worden ist, kann ich nicht sagen. Ansonsten handelt es sich ausschließlich oder überwiegend um Banken, die hier aufgeführt sind. Die zweite Darstellung: Das müssten Asservate aus dem Wohnwagen sein. Wir haben hier eine handgezeichnete Skizze. Wie ein Grundriss. Daneben ist noch ein Grundrissbereich zusehen. Interessant ist die Schubertstraße mit der Aufschrift »Polizei«. Im oberen Bereich des Blattes sieht man Abkürzungen von Wochentagen und Zeitangaben.
Götzl: Dann Asservat 2.12.234.Graus Zu sehen ist eine Adressliste. Als Ausdruckdatum 3.4.2006. Es handelt sich um Personen und Verbände, Vereine, wie hier zum Beispiel religiöse Gemeinschaften. Korrelierend zu der Adressliste gibt es die Übersichtskarte.
Götzl: Asservat 2.9.23.2.
Graus: Auch hier wie eben eine Liste mit Banken und Sparkassen – in Greifswald. Wie man es von einem Routenplaner ausdrucken kann. Passend dazu ein Kartenausschnitt von Greifswald. Und in diesem Ausschnitt sind die hier aufgeführten Banken und Sparkassen zumindest straßentechnisch erfasst.
Götzl: Dann nehmen Sie bitte wieder Platz.

(Graus ab. Als Nächstes wird der BKA-Ermittler David Kampfhenkel befragt.)

Götzl: Es geht uns um die Auswertung von Asservaten. Um Kartenmaterial. Wie sind Sie vorgegangen?
Kampfhenkel: Das war am 1. Dezember 2011, also fast vier Jahre her. Da wurden mir und Kollegen Fotos von sichergestellten Computerausdrucken vorgelegt, die in der ausgebrannten Wohnung der Frau Zschäpe gefunden wurden. Ich hatte die Ausdrucke, die sich zu Münster, Kassel und Bielefeld zuordnen ließen. Das waren Kartenausdrucke. Im Detail weiß ich es nicht mehr genau, was alles auf den Karten dargestellt war. Woran ich mich genau erinnere: Es gab Adresslisten zu jeder Stadt. Und die Adressen hatten wir abgeglichen mit einer Adressliste, die wohl auf einem USB-Stick zuvor gefunden wurde. Und da waren auch die gleichen Adressen zu finden, von Poli- tikern, muslimischen Einrichtungen, auch Adressen, die jüdische oder christliche Einrichtungen betrafen. Die Ausdrucke selber wurden laut aufgedrucktem Datum am 3. und 4. April 2006 gedruckt. In dieser Zeit fanden zwei Morde statt, der eine in Kassel und der andere in Dortmund. Weshalb ich vermutet habe, dass es da einen Zusammenhang gab, dass man in andere Städte weiterreisen wollte.

(Kampfhenkel ab.)

Götzl: Wir kommen zu den von der Verteidigung gestellten Anträgen: Die Zurücknahme einer Pflichtverteidigerbestellung kann erfolgen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein derartiger wichtiger Grund liegt beispielsweise bei groben Pflichtverletzungen vor. Bei Anwendung dieser Grundsätze sind die Anträge abzulehnen. Es liegen keine Umstände vor, die den Zweck der Pflichtverteidigung ernsthaft gefährden. In der Gesamtschau kann von einer nicht mehr ordnungsgemäßen Verteidigung keine Rede sein.

Tag 248, 8. Dezember
Manfred Götzl, Richter. Beate Zschäpe, Angeklagte. Mathias Grasel, Verteidiger von Beate Zschäpe. Nicole Schneiders, Verteidigerin von Ralf Wohlleben.

Götzl: Ich gebe bekannt, dass Frau Zschäpe beantragt hat, Herrn Rechtsanwalt Dr. Borchert als Pflichtverteidiger beizuordnen. Und zum Prozedere erst mal: Soll heute eine Einlassung seitens Frau Zschäpe erfolgen?
Grasel: Die Einlassung ist für morgen vorgesehen.
Götzl: (wendet sich direkt an Zschäpe) Wie geht es Ihnen? Gut?
(Zschäpe nickt.)
Götzl: Was die Planung für diese Woche angeht: Morgen kann man davon ausgehen, so hab ich es verstanden, dass eine Erklärung von Frau Zschäpe erfolgt. Und für Herrn Wohlleben? Schneiders: Diese Woche werden wir noch keine Erklärung abgeben.
Götzl: (wendet sich an Grasel) Was Fragen anbelangt, wie soll das erfolgen?
Grasel: Von meiner Seite wäre die Vorstellung, dass wir die Möglichkeit bekommen, dass wir einen schriftlichen Fragenkatalog des Senats bekommen, den wir dann schriftlich beantworten.
Götzl: Also wird Frau Zschäpe keine Fragen selbst beantworten?
Grasel: Nein, das würde ich übernehmen.
Götzl: Und morgen sollen noch keine Fragen beantwortet werden?
Grasel: Nein, ad hoc wäre das schwierig. Ich denke, dass die Belastung nach der Einlassung einigermaßen groß sein wird, also dass wir froh wären, wenn auch der Donnerstag ausfällt und wir dann über das Wochenende die Fragen besprechen können.
Götzl: Dann ist es sicherlich sinnvoll, den morgigen Tag erst mal abzuwarten.

Tag 249, 9. Dezember
Manfred Götzl, Richter. Mathias Grasel, Verteidiger von Beate Zschäpe.

(Die für den 11. November angekündigte Einlassung von Beate Zschäpe hat sich um mehr als drei Wochen verzögert, weil sich ihr neuer Verteidiger Hermann Borchert in einem – laut eigenen Angaben – lange geplanten Urlaub befand. Er ist zur Verhandlung erschienen und nimmt neben Beate Zschäpe Platz.)

Götzl: Für heute ist angekündigt eine Erklärung der Angeklagten Frau Zschäpe, die durch ihren Verteidiger Rechtsanwalt Grasel verlesen wird.
Grasel: Sehr geehrter Herr Vorsitzender, nach Beratung mit meinen zwei Verteidigern, Herrn Rechtsanwalt Mathias Grasel sowie Herrn Rechtsanwalt Dr. Hermann Borchert, gebe ich zur Anklageschrift des Generalbundesanwaltes beim Bundesgerichtshof vom 5. November 2012 folgende Stellungnahme ab.
(Pause.)

Am 7. Oktober 1996 teilten mir Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit, dass sie am Tag zuvor am Sportstadion in Jena eine Bombenattrappe deponiert hätten. An dieser Aktion war ich nicht beteiligt.
(Pause.)
Die nächste von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt initiierte Aktion war das Abstellen der Kofferbombe auf dem Vorplatz des Theaterhauses in Jena. Ich war weder an der Vorberei-tung noch an der Durchführung dieser Aktion beteiligt.
(Pause.)
Am 18. Dezember 1998 überfielen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt den Edeka-Markt in Chemnitz. Ich war weder an der Vorbereitung noch an der Durchführung dieses Überfalls beteiligt.
(Pause.)
Am 6.10.1999 hatten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Post in der Barbarossastraße in Chemnitz und am 27.10.1999 die Post in der Limbacher Straße in Chemnitz überfallen. Weder an der Vorbereitung noch an der Durchführung dieser Raubüberfälle war ich beteiligt.
(Pause.)
Am 30.11.2000 überfielen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Post in der Johannes-Dick-Straße in Chemnitz. An der Planung und Durchführung der Aktion war ich nicht beteiligt.
(Pause.)

Mitte Dezember 2000, während der Adventszeit, erfuhr ich von den Geschehnissen am 9.9.2000. Ich war geschockt. Ich bin daraufhin regelrecht ausgeflippt. Auf meine Frage, warum sie einen Menschen getötet hatten, erhielt ich keine klare Antwort.
(Pause.)
Vom Bombenanschlag in der Probsteigasse in Köln erfuhr ich erst, als ich sie nach Berichten in der Presse darauf ansprach, ob sie etwas damit zu tun hätten.
(Pause.)
Mit Blick auf die Tatvorwürfe vom 13.6.2001 sowie 27.6.2001 kann ich mich nur insoweit äußern, dass ich weder an irgendwelchen Vorbereitungshandlungen noch an den Ausführungen beteiligt war. Ich war einfach nur sprachlos, fassungslos.
(Pause.)
Am 29.8.2001 begingen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt den Mord an Habil Kiliç in München. Ich war weder an der Vorbereitung noch an der Durchführung dieser Tat beteiligt.
(Pause.)
Am 25.9.2002 überfielen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Sparkasse in der Karl-Marx-Straße in Zwickau. Ich war weder an der Vor-bereitung noch an der Durchfüh-rung des Überfalls beteiligt.
(Pause.)
Mit dem Mord vom 25.2.2004 an Yunus Turgut in Rostock hatte ich nichts zu tun.
(Pause.)
Am 9. Juni 2004 begingen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt den Bombenanschlag in der Keupstraße in Köln. Ich war weder an den Vorbereitungshandlungen noch an der Tatausführung beteiligt.
(Pause.)
Sie erzählten mir auch von weiteren vier Morden, die sie am 9.6.2005 in der Scharrerstraße in Nürnberg, am 15.6.2005 in der Trappentreustraße in München, am 4.4.2006 in der Mallinckrodtstraße in Dortmund und am 6.4.2006 in der Holländischen Straße in Kassel begangen hatten. Meine Reaktion ist schwer zu beschreiben: Fassungslosigkeit, Entsetzen, das Gefühl von Machtlosigkeit.
(Pause.)
Am 25.4.2007 ermordeten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Polizistin Michèle Kiesewetter und verletzten den Polizisten Martin A. schwer. Sie hatten mich zuvor nicht darüber informiert.
(Pause.)
Ich weise den Vorwurf der Anklage, ich sei ein Mitglied einer terroris- tischen Vereinigung namens NSU gewesen, zurück.
(Pause.)
Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern und Angehörigen der Opfer der von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangenen Straftaten.
Götzl: Machen Sie sich diese Erklärung zu eigen, Frau Zschäpe?
(Zschäpe nickt.)

Tag 250, 15. Dezember
Manfred Götzl, Richter. Mathias Grasel, Verteidiger von Beate Zschäpe.

Götzl: Frau Zschäpe, Sie hatten ja erklärt, dass Sie grundsätzlich Fragen des Gerichts beantworten wollen. Mir geht es um Fragen zu Ihren persönlichen Verhältnissen. Es sind nur einige. Dann geht es auch zur Einlassung selbst. Auf Seite 32 Ihrer Erklärung haben Sie auf Ihren Alkoholkonsum abgestellt. Haben Sie vor dem Jahr 2006 Alkohol konsumiert, wie häufig und welche Mengen, und wie war die Wirkung auf Sie?
Grasel: Meine Mandantin fühlt sich nicht in der Lage, die Fragen des Senats unmittelbar und persönlich zu beantworten. Sie hat Sorge, dass sie angesichts der Umstände die Worte nicht so wählen kann, dass es nicht zu Missverständnissen kommen kann. Sie will die Fragen mit mir erörtern und dann durch mich verlesen lassen. Dieses Verfahren ist nicht üblich, aber deswegen nicht grundsätzlich nicht zulässig. Meine Mandantin will die Hauptverhandlung nicht in die Länge ziehen. Es ist ihr nach vier Jahren Untersuchungshaft nur nicht möglich, auf die Fragen sofort zu antworten. Ich weiß nicht, wie Sie das handhaben wollen, Herr Vorsitzender, sonst würde ich mir Ihre Fragen aufschreiben.
Götzl: Dann schreiben Sie sich das bitte auf.
(Götzl liest eine Liste von 55 Fragen vor.)
Das wären die Fragen, die ich an Sie hätte. Wollen Sie was dazu sagen? Wollen Sie darauf eingehen?
Grasel: Wir werden den Fragenkatalog in den nächsten Tagen abarbeiten. Ich fürchte, wir schaffen es nicht vor Weihnachten.

Tag 251, 16. Dezember
Ralf Wohlleben, 40, Angeklagter.

Wohlleben: Zu den Anklagevorwürfen: Die Bundesanwaltschaft wirft mir vor, dass ich Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bei der Organisierung ihres Lebens im Untergrund bis 2001 behilflich war. Dies soll ich als steuernde Zentralfigur getan haben. Diese Behauptung ist unzutreffend und beruht auf Spekulation. Mich kennt und kannte keiner der Unterstützer in Chemnitz. Sicherlich habe ich einen gewissen Beitrag zur Flucht geleistet. Es ist aber garantiert nicht so, dass man hierdurch eine maßgebliche Organi-sierung ihres Lebens im Untergrund erkennen kann.
(Pause.)
Was die Waffenbeschaffung anbelangt: Aufgrund der befürchteten Überwachung meiner Person wollte ich keine Waffe besorgen. Ich wollte auch nicht am Suizid von Uwe Böhnhardt schuld sein. Schließlich bekam Carsten S. den Auftrag von einem der Uwes. Ich fragte, wie er Waffen besorgen solle, wenn ich es schon nicht könne. Darauf wurde gesagt, er könne es beim Schulz im Madley versuchen. Ich versuchte, dem Wunsch nicht zu entsprechen. Ich verwies Carsten S. lediglich an Andreas Schulz. Aber ich ging nicht davon aus, dass er dort erfolgreich sein würde. Ich wurde nicht vermittelnd tätig oder erteilte Aufträge. Carsten S. hat auch nicht 2500 D-Mark von mir für die Waffe bekommen. Ich war finanziell nicht imstande, eine derartige Summe aufzubringen. Ich gehe davon aus, dass das Geld von Tino Brandt kam. Böhnhardt sagte, man solle zu Brandt gehen, wenn man Geld will.
(Pause.)
Wie alle anderen habe auch ich vom NSU erst im November 2011 erfahren. Unerklärlich ist mir, warum der Staat trotz lückenloser Überwachung und Durchsetzung der rechten Szene mit Spitzeln nicht fähig war, die drei aufzuspüren.
(Pause.)
Ich bin entsetzt, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt so kaltblütig Menschen getötet haben. Ich kann es kaum glauben und habe kein Verständnis dafür. Ich war mit ihnen befreundet und habe sie nur deshalb bei der Flucht unterstützt. Hätte ich gewusst, wie sie sich entwickeln, hätte ich ihnen nicht geholfen. Ich bedaure jede Gewalttat, durch die Menschen getötet oder verletzt wurden. Den Angehörigen der Opfer gilt mein Mitgefühl.

Tag 252, 17. Dezember
Manfred Götzl, Richter. Laura Schalle, 30, Kriminalbeamtin beim BKA.

Götzl: Es geht uns um die Durchsuchung in Zwickau am 10.4.2013 bei Frau Susann E., der Ehefrau des Angeklagten André E.
Schalle: Ich war als Durchsuchungskraft eingeteilt. Im Wohnzimmer ist mir eine Porträtzeichnung aufgefallen, DIN-A4-groß, in dunkelbraunem Holzrahmen. Das Bild zeigt das Porträt zweier Männer, sie erinnerten mich an das Fahndungsbild von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Wir baten darum, das Bild mitnehmen zu dürfen, was Herr E. vehement ablehnte. Wir machten dann ein Foto davon. Auf dem Bild waren ein Symbol und ein Schriftzug. Bei dem Symbol könnte es sich um eine Rune handeln, die Rune für Tod, und das Sterbedatum. Beim Schriftzug handelt es sich um das Wort »unvergessen« in altdeutscher Schrift. Durch Kollegen ist mir bekannt geworden, dass sich Herr E. in der Haft mit Zeichnen befasst haben soll. Deswegen lag die Vermutung nah, dass er das selbst gefertigt hat.

(Schalle legt Fotos vom Wohnzimmer der Familie E. vor: ein großer Fernseher, über dem Fernseher das Bild. Es zeigt Mundlos und Böhnhardt, getrennt durch die Todesrune.)

Fotos: Paula Markert; Illustrationen: Stuart Patience