»Dieser Typ aus der zweiten Klasse macht mir Angst«

Wenn ein Mädchen anfängt, sich für Jungen zu interessieren, brechen schwere Zeiten an. Jedenfalls für ihren Vater.

Foto: as_seen / photocase.de

An unserem Kühlschrank hängt seit Kurzem ein Zettel mit dem Namen eines Jungen und vielen gemalten Herzen drum herum. Darum habe ich mir diesen Typen genauer angesehen. Auf dem Spielplatz. Er ist ja erst in der zweiten Klasse, keine 1,30 Meter groß, etwas blass, und er trägt Batman-Socken – trotzdem macht er mir Angst. Geht das jetzt schon los? Das mit den Jungs? Kann ich nicht noch ein paar Jahre lang der einzige Mann sein, den meine Tochter gern umarmt?

Ich spiele mit ihr mit Puppen Teeparty, ich lese Pferdegeschichten vor, ich habe ein eigenes Kostüm in ihrer Verkleidekiste und ich habe Aufklebeperlen auf ihr T-Shirt gebügelt. Noch sind wir ein Team.

»Was findet sie an dem?«, denke ich, ans Klettergerüst gelehnt, als der Kühlschrankzettelschwarm auf seinem Tretroller an mir vorbeifährt – bis mir klar wird, dass ich auf einen Siebenjährigen eifersüchtig bin. Meine Tochter wird bald acht, spätestens mit zwölf wird sie sich in irgendeinen Youtube- oder Boyband-Star verlieben. Vier Jahre bleiben mir, dann bin ich nicht mehr der »beste Papa der Welt«, den sie im Spiel heiraten möchte, sondern der nervige alte Mann, nur mehr wichtig als Taschengeldzahlstelle und Autoschlüsselbesitzer.

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Es kommt unweigerlich der Moment, den viele Väter, die ich kenne, fürchten: der erste Freund der Tochter. Als Vater eines Sohnes freut man sich vermutlich, wenn der seine erste Freundin nach Hause bringt. Aber warum löst bei vielen Männern der Gedanke an eine Tochter im Teenageralter vor allem Sorgen aus? Jahrhundertelang haben Väter ihre Töchter wie Singvögel im goldenen Käfig gehalten. In manchen Ländern dürfen junge Frauen vor der Hochzeit bis heute nicht ohne männliches Familienoberhaupt vor die Tür. Das ist natürlich absurd. Mir würde eine Drohne reichen, die meiner Tochter hinterherfliegt, wenn sie zum ersten Mal allein zur Schule laufen darf.

Meine Angst nährt sich an den Geschichten, die Frauen so gern über ihre wilde Teenagerzeit erzählen: Kollegin K., die sich schon mit 13 Jahren älter geschminkt in die Disko »P1« geschlichen hat, oder S., die als 16-Jährige trotz elterlichem Verbot oft per Anhalter fuhr. Werde ich schlafen können, wenn meine Tochter feiernd durch die Nächte zieht? Oder wird in meinem Kopf Aktenzeichen XY … ungelöst in Endlosschleife laufen? Der Vater meiner Freundin hat jahrelang vor der Disko im Auto gewartet, um seine drei Töchter abzuholen. Als meine Freundin mit 14 den ersten Jungen nach Hause brachte, fragte er danach: »Hast du ihn schon mal geküsst?«. Sie sagte grinsend: »Ja, klar«, und er antwortete rührend hilflos und entrüstet: »Das finde ich aber nicht gut!« Meine Kollegin erzählte mir, dass ihr Vater vor Schreck in eine Hecke gefahren sei, als er ihr aus dem Auto heraus hinterhergesehen habe, wie sie das erste Mal Händchen halten mit einem Jungen gelaufen sei. 
Der Beschützerinstinkt, der erwacht, wenn man Vater einer Tochter wird, ist ungeahnt stark. Die Welt da draußen kommt einem plötzlich so gefährlich vor. Wie man als Junge darin besteht, weiß man aus eigener Erfahrung. Dass Frauen ihre eigenen Wege haben, heikle Situationen zu meistern, übersieht man als Vater.

Schon als 15-Jähriger habe ich lange Umwege gemacht, um Freundinnen abends bis vor ihre Haustür zu bringen. Nur um zu wissen, dass sie gut ankommen. Vermutlich stand damals öfter mal ein Vater schwer besorgt hinter der Gardine und plante im Kopf meinen schmerzhaften Tod. Eigentlich ein beruhigender Gedanke.