Bekenntnisse eines lausigen Schenkers

Woher kommen die ganzen furchtbaren Dinge im Kleiderschrank meiner Frau? Ach, die habe ich ihr ja geschenkt! Unser Autor erklärt, warum er es trotz seines schlechten Geschmacks nicht lassen kann.

Schöne, passende Geschenke zu finden, kann einer Expedition ins Ungewisse gleichen.

Kleiderschränke sind die Elefanten unter den Möbelstücken: Sie vergessen nichts. Öffne ich morgens meinen, sagt er mir ­jedes Mal: Weißt du noch, damals? Ja, ja, denke ich dann, damals, und versuche, etwas zum Anziehen zu finden, das mich nicht aussehen lässt, als ginge ich gleich in die Jugenddisco im evangelischen Gemeindehaus.

Ich gebe selten etwas weg. Nicht weil es schön ist oder mal teuer war, ich gestehe mir bloß nicht gern ein, dass ich alt ­werde und dick. Und so sammelt sich dort allerlei Bizarres aus den modischen Phasen, die ich durchlebt habe: schrille Hem­den, T-Shirts von längst aufgelösten Grunge-Bands, ironisch gemeinte Pullover, Hosen mit Schlag, von meiner ­seligen Oma gestrickte Socken. Zöge ich alles gleichzeitig an, ginge ich als Hipster aus Neukölln durch. Weil ich dazu aber zu alt bin - und zu dick -, ist mein Kleiderschrank bloß ein Archiv des schlechten Geschmacks.

Das ließe sich noch ertragen, stünde nicht direkt daneben der Kleiderschrank meiner Frau. Er ist ein ganz anderes Kaliber, nicht so kumpelhaft nostalgisch wie meiner. Der ausgezeichnete Geschmack meiner Frau ist ihm zu Kopf gestiegen, ja, ich würde ihn als arrogant bezeichnen. Er mahnt mich ­täglich mit aristokra­tischer Strenge: Du bist ein Tölpel, ein Banause, ein Kretin, sieh nur, was du angerichtet hast. Ganz oben links, in einem Fach, an das man nur herankommt, wenn man auf einen Hocker steigt, bewahrt er, als wäre es Erpressungsmaterial, mit dem er mich jederzeit fertigmachen könnte, die Kleidungsstücke auf, die ich meiner Frau geschenkt habe - und die sie nicht anzieht.

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Das Fach setzt sich schon farblich von den anderen ab. Inmitten der gedeckten Töne, die meine ausgesprochen schöne und elegante Frau bevorzugt, sieht es aus wie Jürgen von der Lippe, der durch einen saudummen Zufall auf ein Paparazzi-Foto ­neben die Herzogin von Cambridge geraten ist. Ein rosafarbe­ner Pullunder liegt auf einem irisierenden Morgenmantel mit japanischem Kranichmuster, darüber ein grünes Baseballtrikot mit gelbem Schriftzug und ein sackähnliches Kapuzen­sweat­shirt in einem Ton, der an das Erbrochene eines Hundes erinnert, wenn er Gras gefressen hat. Dazu noch zwei, drei Paar ungetragene Schuhe, auf deren Leder sich bereits der Staub fest­gesetzt hat, und ein Schälchen voller Schmuck, der für meine Verhältnisse durchaus kostspielig war, aber jetzt, da er so glanzlos herumliegt, aussieht, als hätte ich ihn auf dem Jahrmarkt geschossen. Ein disparates Bündel ist das in diesem Fach im Klei­derschrank meiner Frau, zusammengehalten von meinem tragischen Wunsch, ihr eine Freude zu machen.

»Das ist aber schön!«, sagt sie, wenn unsere Kinder ihr ein Bild überreichen, das sie im Kindergarten für sie gemalt ­haben. »Das ist aber schön«, sagt sie, wenn ich ihr etwas zum Anziehen schenke. Man beachte im zweiten Fall das fehlende Ausrufe­zeichen. Seine Abwesenheit bedeutet für den Satz das Gleiche wie die Abwesenheit eines Stöpsels in einer Badewanne: Er läuft unaufhaltsam aus, und ich fange an zu frösteln. Hinzu kommt, dass meine Frau ihn nicht auf »Das« betont, wie wenn sie ihn voller Stolz und Inbrunst zu unseren Kindern sagt, sondern auf »schön«, und dieses Wort ein bisschen in die Länge zieht: »schöööön«. Ganz am Ende geht sie einen Halbton mit der Stimme hoch, sodass eigentlich nicht nur ein Ausrufezeichen fehlt, sondern ein Fragezeichen an seine Stelle getreten ist: »Das ist aber schöööön?«

Nein. Ist es nicht. Jetzt merke ich es auch: Ich liege schon wieder daneben. Es tut mir leid, mein Schatz. Das kann man umtauschen. Mittlerweile lege ich den Kassenbon immer schon in die Geschenkschachtel mit hinein.

Während in den Bildern unserer Kinder, die - ganz nüchtern betrachtet - ja keine Meisterwerke sind, sondern eben nur das, was sie sind, nämlich Bilder von Elefanten mit ­unschön verrutschten Rüsseln und irgendwie feindselig ­dreinschauenden Meerjungfrauen, immerhin noch ein ­gewisses Entwicklungspotenzial zu entdecken ist, mache ich sogar Rückschritte: Meine Geschenke werden immer ­hässlicher und unbrauchbarer. Letzthin bedankte sie sich für die »Tages­decke«, wie sie sie nannte. Es handelte sich um einen Poncho. Warum ist das so? Warum gebe ich nicht endlich auf? Ich habe keine Antwort auf diese Fragen. Alle paar Monate, meistens nach dem Eingang eines nennenswerten Geldbetrags auf meinem Konto, entbrennt in mir der wahnhafte Enthu­siasmus, meiner Frau etwas schenken zu wollen, und in diesem Zustand der Unzurechnungsfähigkeit gehe ich einkaufen. Vielleicht ­ließe sich mithilfe einer Magnetresonanztomografie ­ermitteln, dass mein Vorderhirn währenddessen genauso ausflippt wie das eines Lottogewinners, der zentnerweise Koi­karpfen für seinen Gartenteich bestellt. Vielleicht kann ich in diesen Momenten nicht mehr wissen, wie schlecht mein ­Geschmack ist. Vielleicht verfolge ich unterbewusst die ­archaische Absicht, meine Frau für andere Männer weniger ­attraktiv zu machen. Vielleicht will ich sie auf mein Niveau herunterziehen, um an ihrer Seite nicht mehr auszusehen wie ihr Cousin, der übers Wochenende aus Cloppenburg zu Besuch gekommen ist. Vielleicht ist es mir zu einfach, ihr das zu schenken, was sie sich ohnehin selbst schenkt. Vielleicht hoffe ich auf ein Wunder - dass sie eines Tages mit einem dieser grotesken Fummel vor mich tritt und sagt: »Genau das habe ich immer gesucht, ich wusste es nur nicht! Woher hast DU es ­gewusst? Hach, ich lieb dich so!« Dann lächle ich ein kühnes Kennerlächeln, sie umarmt und küsst mich, wir gehen zu­sammen auf eine Neuköllner Hipster-Vernissage, verkaufen die ­Bilder unserer Kinder für einen sechsstelligen Betrag als spektakuläre Outsiderkunst und müssen nie wieder arbeiten.

Das wesentlich leichter zu lösende Rätsel ist, warum sie die Klamotten nicht tatsächlich umtauscht oder mir nicht gleich verbietet, ihr etwas zum Anziehen zu schenken: aus Mitleid. Aus Mitleid zieht sie die eine oder andere Textilie dann doch mal an, wenn sie von niemandem außer mir gesehen wird, das Baseballtrikot zum Schlafen oder das hundekotzgrüne Kapuzen­sweatshirt bei der Gartenarbeit. Aus Mitleid bewahrt sie die Klamotten eine ganze Weile auf, bis sie schließlich im ge­zeiten­haften Wechsel von Winter- zu Sommer- und wieder zu Winterkleidung aus dem Kleiderschrank gespült werden und nicht wieder dorthin zurückkehren. Das geschieht stets zu unser beider Erleichterung.

Bald ist es wieder so weit: Der Frühling ist da, das Fach oben links im Kleiderschrank meiner Frau, an das man nur herankommt, wenn man auf einen Hocker steigt, wird sich leeren. Etwa zur gleichen Zeit müsste das Honorar für diesen Text auf meinem Konto eingehen. Ich fürchte mich schon ­davor, was ich mit dem Geld mache.

Foto: kallejipp/photocase.de