Am Sonntag wählt Nordrhein-Westfalen einen neuen Landtag. Die Prognosen fallen unterschiedlich aus. Was man weiß: Die Traumergebnisse, die die SPD jahrzehntelang in den ehemaligen Arbeitervierteln erzielt hat, sind Geschichte. Dort, in den roten Revieren, versucht die AfD, die Leute auf ihre Seite zu ziehen. Und da sitzen sie jetzt, die alten Linken und die neuen Rechten, wenige Meter voneinander entfernt, in denselben Kneipen.
Zum Beispiel in Essen-Karnap. Ehemaliges Zechenviertel. In den besten Zeiten hatte Karnap, das hoch oben im Essener Norden liegt und an Gelsenkirchen grenzt, 12.000 Einwohner und 25.000 Arbeitsplätze, im Bergwerk, in der Glashütte, einer Kokerei, einem Kraftwerk. Heute leben hier noch knapp 8.000 Menschen. Die Zeche ist geschlossen, in der Glashütte verrichten nicht einmal 200 Menschen dieselbe Arbeit wie damals 6.000, die Arbeitslosenquote liegt bei fast 15 Prozent.
Von 27 Kneipen gibt es noch eine, das Alt Carnap. Also treffen sich hier alle: die alten Genossen der SPD; die ehemaligen Genossen der SPD, die sich freien, eher sozialdemokratische orientierten Wählergruppen angeschlossen haben; und die ehemaligen Genossen der SPD, die sich der AfD angeschlossen haben.
Unsere Autoren haben sich mit in die Kneipe gesetzt, mal an den einen Tisch, mal an den anderen Tisch. Sie haben mit den Leuten geredet, sie haben die Leute aber vor allem reden lassen. Und haben festgestellt, dass die, die jetzt an getrennten Tischen sitzen, mal viel verbunden hat: derselbe Ortsverein; derselbe Modegeschmack; dasselbe Interesse an der Heimat, dem Stadtteil, Essen-Karnap.
Nun gehören sie verschiedenen Parteien an. Und sehen ihre Heimat plötzlich auch ganz unterschiedlich: Für Guido Reil, einen ehemaligen Vorzeigesozi, der jetzt für die AfD kandidiert, befindet sich Essen-Karnap auf der Kippe, ist vermüllt und bedroht von Ausländern und Arbeitslosigkeit. Für Stephan Duda ist Essen-Karnap ein Idyll, in dem jeder sein Häuschen und seinen Garten und irgendeinen Posten in mindestens einem Verein hat.
Wie weit die beiden Lager damit tatsächlich auseinanderliegen – auch das haben die Autoren in der Kneipe herausgefunden.
Fotos: Theo Barth