Hübsche Zugaben

Was sind das eigentlich für Kerle, mit denen sich Stars wie Paris Hilton und Lindsay Lohan umgeben?

Samstagmorgen um ein Uhr dreißig am Tresen der Diskothek »LAX«, ein paar Schritte nördlich des Hollywood Boulevard. Die Zehn-Dollar-Bier-Nacht war gestern, heute kostet das Fläschchen wieder 15 Dollar – plus Trinkgeld. Schmeckt dafür einen Hauch abgestandener als in der Sportsbar nebenan. Doch man kommt ja nicht zum Biertrinken her, sondern um Paris Hilton oder Lindsay Lohan, Nicole Richie oder Mary-Kate Olsen kennenzulernen. Nirgends in Los Angeles hüpfen Starlets ausgelassener über die Tische und Sofas als im »LAX«.

Frauen dieses Kalibers ziehen magisch eine Sorte Männer an, die die amerikanische Vanity Fair als »Herren der Schmeißfliegen« bezeichnet: DJs, Gastronomen, Erben, andere Nichtsnutze, die sich prominente Freundinnen anlachen in der Hoffnung, die eigenen Karrieren zu fördern.

Früher hieß das Groupie Bianca und der Superstar Mick – gemeinsam veranstalteten sie einige der spektakulärsten Orgien der Popgeschichte und produzierten eine hübsche Tochter – heute hängen sich Jungs an die Fersen von weiblichen Superstars.

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Im Zeitalter von Emanzipation, Internet und Reality-TV laufen Groupie-Romanzen stumpfsinnig und unglamourös ab wie im Falle von Paris und Cisco. Da geht die Hotelerbin für ein paar Wochen mit dem erfolglosen Sänger Cisco Adler aus. Durch Zufall taucht im Internet ein Foto aus ihrem Besitz auf, das Ciscos gewaltigen Hodensack zeigt. Er erklärt in der New York Post: »Meine Eier sind berühmter als ich. Aber nicht wegen des Bildes haben wir uns getrennt, sondern wegen Mischa Barton. Sie ist die schönste Frau der Welt.« Kurz darauf unterschreibt seine bis dahin unbekannte Band Whitestarr einen Vertrag mit dem Musiksender VH-1, der Adler und Kollegen für die Reality-Show The Rock Life begleitet.

Noch niederträchtiger der Fall Wilmer Valderrama: Dieser ehemalige TV-Moderator und »LAX«-Stammgast plauderte in der Howard Stern Show sein Intimleben mit Lohan, Mandy Moore und Jennifer Love Hewitt aus (»Ihre Brüste waren echt«), um seine Sendung That ’70s Show zu bewerben. Nachdem die eingestellt wurde, arbeitet er jetzt an einem Film.

Erfolglose Männer unter dreißig, die von einer Karriere in der Entertainment-Industrie träumen, gibt es in Los Angeles wie Quallen am Strand von Grömitz. Und von Donnerstag bis Sonntag jagen sie im »LAX« die Mädchen, die ihnen den Weg zum Ruhm ebnen sollen. Als Erfolg wird der Abend gegenüber den Kumpels nur vermeldet, wenn man beim Verlassen des Clubs von den vor der Tür lauernden Paparazzi abgeschossen wird.

Neben Kevin Federline, dem Vater von Britney Spears’ Kindern, gilt der Mann als Pionier der Schmeißfliegen-Bewegung, der heute Nacht die Musik auflegt: DJ AM – dunkle, kurze Haare, Camouflage-T-Shirt, Goldkettchen. Bei ihm folgt auf Kung Fu Fighting der Cure-Song Boys Don’t Cry. Vor der Tür steht der Ferrari mit dem Nummernschild »I am AM«.

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Die Karriere bislang: Früh mit Crackrauchen angefangen, nach dem Entzug auf 160 Kilo hochgefressen. Die Magenverkleinerung half, die Hälfte abzuspecken. Daraufhin folgte die Verlobung mit Nicole Richie, die AMs Antlitz zu einem festen Bestandteil von Klatschheften wie OK! und National Enquirer machte. Auf Richie folgte Mandy Moore, nun lief es endlich rund im Beruf. Er wurde Teilhaber des »LAX«, Plattenvertrag und DJ-Gigs im gesamten Land folgten.

AM war zuletzt einige Monate mit dem Model Jessica Stam zusammen, trennte sich im Herbst, versuchte es im Winter noch mal mit Stam und gab schließlich auf, weil sie zu kompliziert sei. Er sagt: »Werde jetzt mal prüfen, was heute Abend geht.« Als er die DJ-Kanzel verlässt, um zu schauen, wer im Club ist, bildet sich um ihn eine Traube von jungen Mädchen. Herrlich verrücktes Los Angeles. Diese Stadt produziert nicht nur die trostlosesten Weltstars und deren männliche Groupies, sondern auch eine Generation junger Mädchen, die das Leben von Lohan und Hilton zu kopieren versuchen. Schaut man ihnen unter den Rock, tragen sie keine Schlüpfer, und schaut man ihnen in die Augen, sieht man nichts als Pupillen. Wie bei dem Girl, das neben mir einen 25-Dollar-Wodka-Red-Bull bestellt und mir etwas zuquietscht, das klingt wie: »Ich liebe Wodka und Red Bull und Wodka.«

AM sucht im Getümmel nach Bekannten, doch er entdeckt heute lediglich Courtney Love, die sich ihm kurz um den Hals wirft. Britney und Lindsay sind auf Entzug; Nicole Richie hat grad ihr Kind mit dem tätowierten Sänger Joel Madden bekommen (sie traf ihn im »LAX«, er trennte sich daraufhin von Hilary Duff); Mary-Kate hat den Club schon verlassen; Duff ist derzeit nicht wohlgelitten, weil sie in dem Song Gypsy Woman ihre Konkurrentinnen angiftete – und Mandy Moore, weil sie in einem Frauenmagazin über Richie lästerte. Geht denn heute gar nichts? »Wir warten mal ab«, sagt AM und begrüßt zwei Kumpels, von denen sich einer Wilson nennt und über einem Bier behauptet, mit Lindsay und einer Unbekannten eine tolle Nacht verbracht zu haben. Lindsay hat mal gesagt: »Wenn ich mit so vielen Männern geschlafen hätte, wie man mir nachsagt, wäre ich längst verhungert, denn mir bliebe keine Zeit zum Essen.« Doch Wilson bestätigt: »Hundert Prozent: Lindsay, ich und noch ein Girl.«

Wer ein wenig Zeit im Nachtleben von Los Angeles verbringt, muss sich ständig Geschichten wie diese anhören. Und ehrlich gesagt macht es Spaß, sich einen gedankenlosen Burschen wie Wilson – Marke vernachlässigter Millionärssohn mit wenig Muskeln, beschränkter Bildung – mit zwei Starlets in Aktion vorzustellen. Aber diese Anekdoten und die Figuren, die sie erzählen, haben auch etwas Tragisches, Kleinkariertes, Mitleiderregendes. Alle hier benehmen sich, als würden sie in der kaputtesten Seifenoper aller Zeiten mitwirken.

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Und weil wir uns in Hollywood befinden, ist dieses Drama längst zur Fernseh-serie verarbeitet worden – inklusive Gastauftritten von AM, Adler, Moore und Dutzenden anderen Mitgliedern dieser Szene. Die HBO-Show Entourage – lustigste TV-Serie über Hollywood aller Zeiten – basiert auf dem Alltag des Schauspielers Mark Wahlberg und seiner drei nutzlosen Kumpels aus Brooklyn, die gemeinsam durch Los Angeles streifen. Noch nie in der Geschichte des Fernsehens haben so viele Menschen in einer Serie mitgespielt, die auch im echten Leben Sex miteinander hatten. Entourage benutzt als Drehorte die Partys und Sportcenter, Discos und Restaurants, wo Stars mit Groupies in der Realität anbandeln. Ein kurzer Auftritt in Entourage gilt in Läden wie dem »LAX« als Ritterschlag – und wer im »LAX« Stammgast ist, taucht früher oder später in Entourage auf. Die Frage, ob hier die Kunst das Leben imitiert oder umgekehrt, stellt sich nicht, denn die Menschen, die in dieser Welt leben, unterscheiden nicht mehr zwischen Fiktion und Realität.

Einige Schmeißfliegen-Jungs lungern nicht im »LAX« rum, sondern kombinieren die Publicity, die ihnen die Freundin einbringt, mit ehrlicher, harter Arbeit. Harry Morton, künftiger Erbe des Hard-Rock-Cafe-Konzerns, verliebte sich 2006 in Lindsay Lohan – kurz nachdem er das mexikanische Restaurant »Pink Taco« gegründet hatte. Sie formulierte den hervorragenden Satz: »Harry ist der drittbeste Mann, den ich hatte.« Für einige Monate kamen in jedem Artikel über Lohan die Worte »Pink Taco« vor (auch während Lohan in einer Entzugsklinik war und Morton mit Rod
Stewarts Tochter Kimberley fotografiert wurde). Seitdem florieren die Geschäfte.

Morton eröffnete eine Handvoll Filialen zwischen Phoenix und Las Vegas, an den meisten Abenden hält er sich im Stammhaus am Santa Monica Boulevard auf. Hier essen die Darsteller von Entourage gern ihr Dinner – wenn der Laden nicht für Entourage-Dreharbeiten gesperrt ist.

Morton – Tätowierungen an Schultern und Beinen, Gesicht eines Mannes, der noch nie den Müll rausgebracht hat – gibt sich als Gentleman. Er rede nicht über vergangene Affären, und was derzeit mit Lindsay passiere, tue ihm sehr leid. »Ich hoffe, sie wird bald gesund. Sie soll wieder Filme drehen.« Morton erklärt, dass er derzeit mit einem Mädchen ausgeht, das noch nie im Fernsehen auftrat und dergleichen auch nicht vorhat. Dann verabschiedet er sich, denn heute ist kein guter Abend, um lange zu reden – vor der Tür warten Dutzende Gäste auf einen Sitzplatz.

Am Samstagmorgen gegen drei Uhr trifft im »LAX« die Eminenz von Hollywoods Nachtleben ein – DJ Steve Aoki, ein Asiate mit Haaren, die beinahe bis zum Hintern reichen. Er klatscht AM ab. Man spürt, dass die Synapsen in Aokis Gehirn ein wenig schneller arbeiten als die in den Köpfen der anderen Jungs im »LAX«. Er ist smart und besitzt als Einziger im Raum das Charisma eines Stars. Arm in Arm steht er am DJ-Pult mit Jessica Simpsons Schwester Ashlee. Aber stand nicht in der Zeitung, dass sie wahnsinnig glücklich ist mit dem tätowierten, kaum erfolgreichen Sänger Pete Wentz? AM sagt, Aoki und Ashlee seien bloß gute Freunde: Aoki sei einfach zu schlau, um sich mit einem dieser Mädchen einzulassen.