Das Beste aus aller Welt

Axel Hacke macht sich Sorgen über den Nachwuchs der Trottellumme und philosophiert über die Herrschaft der Quallen.

Werden Quallen die Welt regieren?«, las ich in der Zeitung. Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn Quallen uns beherrschten. Wie jeder von uns im Wohnzimmer ein kleines Meerwasser-Aquarium hätte, ein Quallarium, in dem eine Qualle lebte, seine Qualle, ein sanft vor sich hin schwebendes, leise im Wasser treibendes Wesen, vor dem jeder von uns sich einmal am Tag einzufinden hätte, um Befehle zu empfangen: Iss Fisch, damit die Meere gereinigt werden von den Fressfeinden meiner Lieben! Heize die Ozeane, denn im warmen Wasser leben sie gern! Und halte eine Hand ins Wasser, damit ich dich bestrafen kann…So spräche mit singender Stimme der Quallenkopf.

Ich erinnere mich an den vergangenen Sommer: Wie schön war es immer gewesen, kopfüber vom Boot ins blaue Mittelmeer zu springen – und nun? Schaute jeder, bevor er sprang, mit der Taucherbrille ins Wasser, ob dort Quallen waren, und mancher blieb lieber an Bord. So beherrscht uns schon jetzt die Qualle ein wenig, und Jahr für Jahr wird ihre Macht größer, bis eines Tages mit schwerem Pflapfff eine Welle an den Strand schlagen wird, die nicht mehr aus Wasser besteht, sondern aus GLIBBER. Das war eklig jetzt. Was kann ich dafür? Ich habe die Welt nicht gemacht, überhaupt habe ich wenig Einfluss auf den Lauf der Dinge, und, ehrlich gesagt, möchte ich im Moment mit der Welt möglichst kaum zu tun haben. Ich mag es nicht, morgens am Telefon die Stimme eines Freundes zu hören, der sagt: »Ich habe alles in Bundesschatzbriefen angelegt, der Staat kann nicht pleitegehen.« Und dann im Radio zu erfahren, dass Island pleitegeht, immerhin ein Staat, bitte sehr. Ich möchte mich nicht mit der Entwicklung des Yen beschäftigen. Ich möchte nichts wissen von Leerverkäufen an der Wall Street. Das Wirtschaftsleben in Ehren, aber ich bin nicht auf der Welt, um mich mit dem Wirtschaftsleben zu befassen.

Das Problem an dem Gekreische um einen herum und leider auch in einem selbst ist: dass man sich verliert. Man beginnt, in der Menge zu treiben. Dann muss man zu einer Bergwanderung aufbrechen, sich in einen ziegelsteindicken Roman vertiefen oder sich wenigstens gegenseitig Tiergeschichten erzählen, ach, Tiergeschichten…

Meistgelesen diese Woche:

Hier einige Neuigkeiten über das Leben der Trottellumme. Die Trottellumme ist ein Vogel, der auf dem Wasser lebt, der Nordsee, aber er brütet an Land, an steilen Felswänden zum Beispiel auf Helgoland und der Isle of May an der schottischen Küste. Da stehen die Vögel zu Tausenden auf winzigen Klippenvorsprüngen, aufgerichtet wie Soldaten, und brüten pro Paar ein Ei aus. Wenn das Kleine geschlüpft ist, kommt der Tag des Lummensprungs, an dem die junge Trottellumme in Begleitung der Eltern aus höchster Klippenhöhe ins tiefe Meer springen muss; fliegen können diese Vögel nämlich schlecht, jedenfalls in der Luft, sie haben was von Pinguinen und fliegen sozusagen unter Wasser. Die Alten locken das Kind schnarrend und plärrend, mit »Örr« und »Err«, an eine geeignete Stelle, das Kind antwortet schrill: »Fürrit«. Dann hüpft es Kopf voran ins Tiefe.
Großartig. Ergreifend.

Aber Folgendes: Es gibt immer weniger Fische in der Nordsee, für die Trottellummen also wenig zu essen. Die Eltern, die für das Kind Nahrung holen, solange es auf der Klippe sitzt, sind immer länger unterwegs – und was haben Lummenforscher auf der Isle of May da beobachtet? Nachbarn schubsen allein gelassene Lummenkinder in die Tiefe und töten sie so. Von 99 kleinen Trottellummen auf der Insel kam fast die Hälfte so ums Leben. Tim Birkhead von der Universität in Sheffield sagt, dies sei eine der ungewöhnlichsten Verhaltensweisen, von denen er je gehört habe, »und es zeigt uns wirklich, dass draußen im Meer etwas Monumentales geschieht«.
Und wer ist schuld?

Was ich fragen wollte: Haben wir Besseres verdient als die Quallenherrschaft?

Illustration: Dirk Schmidt